Rechte Drohungen gegen Kommunalpolitiker war das Thema bei "Markus Lanz" am Donnerstag.Bild: screenshot zdf
Deutschland
17.01.2020, 12:1217.01.2020, 12:36
Bei "Markus Lanz" stand am Donnerstagabend mal wieder Politik auf der Tagesordnung. Allerdings nicht die internationale, wie zuletzt häufig, sondern die Innenpolitik. Genauer ein Feld, das sonst vergleichsweise wenig Beachtung erfährt: die Kommunalpolitik.
Viele Kommunalpolitikerinnen und -politiker sehen sich Bedrohungen und Anfeindungen ausgesetzt, meist aus der rechten Ecke. Zu Gast war Arnd Focke, der ehemalige Bürgermeister von Estorf, einer kleinen Gemeinde in Niedersachsen. Er hat zum Jahreswechsel seinen Rücktritt erklärt. Der Grund: Bedrohungen durch Rechtsradikale.
Der niedersächsische Mininsterpräsident Stephan Weil (SPD), der ebenfalls zu Gast war, erinnerte daran, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt:
"Es gibt eine ganze Latte von Beispielen. Pianisten, Journalisten, Polizeipräsidenten, Kommunalpolitiker, Landtagsabgeordnete – es ist wirklich ein Gift, das in unsere Gesellschaft reinträufelt."
Stephan Weil über Bedrohungen durch Rechtsradikale
Es gebe dabei ein Muster: "Sie engagieren sich, häufig im Kampf gegen Rechts, und dann gibt es Drohungen. Nicht nur gegen sie selbst, auch gegen die Familie. Das schafft ein Gefühl der Unsicherheit." Zu befürchten sei, dass das einen Abschreckungseffekt habe. Viele würden bei Kommunalwahlen nicht mehr antreten wollen, sagte Weil: "Diese Entwicklung rührt an die Grundfesten der Demokratie."
Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer betonte, Kommunalpolitiker seien das schwächste Glied. "Bundespolitiker reisen mal nach Sachsen, werden dort angefeindet." Das sei schlimm und gebe spektakuläre Bilder, wie etwa bei Angela Merkel in Bad Freienwalde oder Heiko Maas in Zwickau.
Aber: "Die kommen da hin mit ihrer Entourage, haben Personenschutz und reisen wieder ab. Aber die Kommunalpolitiker im Vogtland, in Ostsachsen, in der Lüneburger Heide, die möglicherweise ehrenamtlich einen Einsatz für die Demokratie bringen, die sind immer dort. Die sind beim Bäcker, beim Metzger, beim Fußballverein. Die müssen mit der Angst leben."
Fockes Vorgeschichte
Focke selbst kam dann auch mal zu Wort. Seitdem er 14 Jahre alt sei, habe er immer ein Ehrenamt ausgeübt. "Erst Kirche, dann Fußballverein." Zu den Hintergründen seines Rücktritts erklärte er, er habe seit seiner Wahl 2012 eine klare Position gegen Rechts eingenommen. "Wir hatten beispielsweise ein Bürgerfest mit Public Viewing und da hat jemand die erste Strophe des Deutschlandlieds gesungen. Den habe ich angezeigt."
Das sei der erste Kontakt mit dem Thema gewesen. Weiter sei es mit Drohungen gegen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und Hakenkreuz-Aufklebern gegangen. Das habe er wieder zur Anzeige gebracht. Der nächste Schritt seien Drohanrufe gewesen. "Es gab den einen oder anderen anonymen Anruf nachts. Das habe ich aber abgetan." Genau wie Beleidigungen auf Facebook, sagte Focke.
Entscheidung reifte an Weihnachten
"Wann kam es näher?", wollte Lanz jetzt wissen. "Wann kam es so nahe, dass sie den Entschluss gefasst haben, Schluss mit der Kommunalpolitik zu machen?"
Die Entscheidung sei an Weihnachten gereift, erklärt Focke. "Es gab zwei Zettel in meinem Briefkasten. Einmal stand drauf "Geh zu deinen Ziegenfickern", einmal "Wir vergasen dich wie die Antifa". Dazu wurde mein Auto mit Hakenkreuzen beschmiert." Danach habe er drei schlaflose Nächte gehabt.
"Dann habe ich für mich die Entscheidung getroffen, du musst aus dieser Nummer raus."
Ob das nicht das falsche Signal sei, wollte Lanz wissen. Hätten jetzt nicht die anderen gewonnen? Die Antwort: "Das ist eine völlig legitime Frage. Das mag sich wie ein Sieg anfühlen, aber durch die mediale Aufmerksamkeit steigt der Druck auf den rechten Raum in Niedersachsen immens. Jeder muss seine persönliche Grenze definieren, ich habe das getan." Er werde aber auch weiterhin ehrenamtlich tätig sein, betonte Focke.
Wo kommt das her?
Bei der Analyse der Hintergründe kam die Runde auch auf die AfD zu sprechen. "Welt"-Journalistin Claudia Kade erklärte: "Wir müssen uns Gedanken machen über den Ton, den wir im Landtag und im Bundestag haben, der dann offenbar rüber schwappt in diese Täterwelt."
Sunderemeyer schlug in dieselbe Kerbe. Wenn AfD-Chef Gauland sage, "wir holen uns unser Land zurück", dann impliziere das, dass andere vorher vertrieben würden. "Und andere, egal ob das AfD-Sympathisanten sind oder andere aus dieser nationalpopulistischen Bewegung, setzen das dann vor Ort um."
Es gibt eine gesellschaftliche Verrohung – in diesem Punkt herrschte Einigkeit, das sah auch Focke so.
"Wir haben zuwenig Toleranz, Wertschätzung, Respekt."
Arnd Focke
Was kann man tun?
Bei der Frage, was man gegen das Problem tun könne, gingen die Meinungen auseinander. "Der Staat muss mehr machen", sagte Weil. Die wehrhafte Demokratie sei keine Leerformel. Die Polizei könne das Problem nicht lösen, hielt Sundermeyer dagegen. Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe. "Die Hemmschwellen sind weg."
Kade und Fock betonten, Bildungspolitik sei wichtig. "Einen fünfzigjährigen Springerstiefelträger brauchen wir nicht einzufangen", sagte Focke. "Aber 14-jährige sollten wir noch erreichen können. Nicht damit, dass die Großeltern irgendwann mal einen Krieg verschuldet haben, sondern eher: Es gab da mal einen Krieg, lass uns mal gemeinsam überlegen, wie wir verhindern, dass so etwas wieder passiert."
Weil indes wünschte sich auch mehr Anerkennung für Kommunalpolitiker: Er würde sich wünschen, dass jeder, der die Sendung sehe, morgen einem Gemeinderatsmitglied, dem er auf der Straße begegne, auf die Schulter klopfe und sage 'Finde ich toll, dass du das machst."
Überhaupt seien die Bürgerinnen und Bürger gefragt. Es gebe keine Demokratie ohne Demokraten. Wenn jemand beispielsweise rechte Sprüche in der Kneipe höre, solle er oder sie widersprechen:
"Wenn wir nicht alle als Bürgerinnen und Bürger merken, es geht um uns, das sind Angriffe auf uns, dann bleiben die anderen alleine."
Stephan Weil
Anmerkung der Redaktion inklusive Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir behauptet, der hier formulierte Urteilsspruch würde eine Frau betreffen, die sich gegenüber Medien als Betroffene zum MeToo-Skandal bei der Linken geäußert hatte. Das war inhaltlich falsch. Wir bedauern den Fehler und haben die entsprechenden Passagen korrigiert bzw. entfernt. Richtig ist: Verurteilt wurde eine Frau, die sich als Reaktion auf die damaligen Medienberichte auf Social Media zu dem Fall äußerte.