Wie lange kann sich Andrea Nahles noch an der Spitze der SPD halten? Die Parteichefin ist in den vergangenen Wochen stark unter Druck geraten. Am Dienstag will sie über ihren Vorsitz der SPD- Bundestagsfraktion abstimmen lassen. Bild: www.imago-images.de
Deutschland
Am Montagabend hatte SPD-Chefin Andrea Nahles für eine Überraschung gesorgt: In einer ZDF-Sendung hatte die Fraktionsvorsitzende angekündigt, über ihren Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion schon am Dienstag abstimmen lassen zu wollen. Eigentlich war diese Abstimmung erst für den September geplant.
- Nahles' Vorgehen löste unter manchen Abgeordneten Ärger und Verunsicherung wegen mangelnder Abstimmung aus.
- An diesem Mittwoch wollen die Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin über Konsequenzen aus den Niederlagen bei der Europa- und Bremenwahl beraten. Es ist die erste Aussprache der 152 Abgeordneten nach dem Wahldesaster.
- Dabei dürfte auch die Ankündigung der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles, sich bei einer vorgezogenen Neuwahl in der kommenden Woche den Abgeordneten zu stellen, eine zentrale Rolle spielen.
Einen Gegenkandidaten oder
eine Gegenkandidatin zu Nahles bei der Abstimmung am Dienstag gab es zunächst nicht.
Heftige Kritik an der Entscheidung von Andrea Nahles
Der Vorsitzende der SPD in Nordrhein-Westfalen, Sebastian
Hartmann, bemängelte ausgebliebene Absprachen. "Ich bin überrascht,
dass wir am Montag im Parteivorstand über Zusammenhalt und
inhaltliche Profilschärfung gesprochen haben, mit klaren
Verabredungen für die nächsten Schritte, und dann wenige Stunden
danach plötzlich über die Medien eine Fraktionsvorsitzenden-Wahl
ausgerufen wird", sagte er der "Westdeutschen Zeitung" (Mittwoch).
Stattdessen sei verabredet worden, dass der Vorstand nach dem
kommenden Wochenende zu einer Klausurtagung zusammenkomme und dort
etwas auf den Tisch lege. "Jetzt wird das von einer parteiinternen
Personaldiskussion überschattet, die noch dazu von oben begonnen
wurde. Wir müssen uns immer fragen: Interessiert das irgendeinen
Wähler außerhalb der SPD?"
Ist der Nahles-Plan rechtlich sauber?
Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Mittwoch)
gibt es ferner SPD-intern Zweifel daran, dass eine vorgezogene Wahl
ohne den vorherigen Rücktritt von Nahles rechtlich gültig wäre.
Nahles-Kritiker verweisen demnach auf die Geschäftsordnung der
SPD-Bundestagsfraktion, in der es heißt, dass Mitglieder des
Fraktionsvorstandes bis zur Mitte der Legislaturperiode gewählt
seien. Diese Frist könne man nicht beliebig verkürzen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten
Schneider, unterstützt Nahles und ihren Vorstoß. "Wenn es Kritik
gibt, sollte das mit offenem Visier an der geeigneten Stelle
vorgetragen werden", sagte er der "Rheinischen Post" (Mittwoch). Man
habe jetzt das geordnete Verfahren zur regulären Wahl des
Fraktionsvorsitzes eingeleitet. "Wir stehen vor entscheidenden
Herausforderungen in den kommenden Wochen. Deshalb ist es wichtig,
dass wir Klarheit schaffen und diese lähmenden Debatten beenden."
Ähnlich äußerte sich die SPD-Linke Hilde Mattheis. "Die Debatte
würde über die Sommerpause nicht aufhören. Deshalb stimme ich Andrea
Nahles in der Analyse zu: Die Führungsfrage ist jetzt zu klären",
sagte die Bundestagsabgeordnete der "Passauer Neuen Presse"
(Mittwoch).
Auch an der Basis stieß das Vorgehen von Nahles auf Zustimmung.
Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) riet ihr zum Verzicht auf
den Fraktionsposten. "Sie kann für die SPD kein Zugpferd mehr
werden", sagte er dem "Tagesspiegel" (Mittwoch). Flensburgs
Oberbürgermeisterin Simone Lange sagte MDR Aktuell, sie wünsche sich,
"dass jetzt der personelle Wechsel tatsächlich auch in der
Bundestagsfraktion eingeläutet wird". Sie sprach von einer Haltung in
der SPD, "die nur noch von Angst gezeichnet ist - von Angst vor
Neuwahlen, von Angst vor dem Scheitern. Und wenn wir jetzt nicht in
der Lage sind, uns zu öffnen und neue Wege anzubieten, dann wird es
auch weiter bergab gehen." Lange war im April 2018 bei der Abstimmung
über den SPD-Vorsitz gegen Nahles angetreten und hatte überraschend
starke 27,6 Prozent geholt. Sie gilt als Vertreterin des linken
Parteiflügels.
Mit 15,8 Prozent hatten die Sozialdemokraten am Wochenende bei
der Europawahl historisch schlecht abgeschnitten und landeten auf
Platz drei hinter den Grünen.
(pb/dpa)
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