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Deutschland
Für CDU und SPD könnte es ein schwarzer Sonntag werden. Den Koalitionspartnern im Bund droht der Machtverlust ihrer Ministerpräsidenten in zwei Ländern. Angst macht vielen der Höhenflug der AfD.
Jörg Blank und Basil Weg, dpa
Es droht eine historische Premiere mit Schockwirkung,
wenn am 1. September in Sachsen und Brandenburg gewählt wird.
- Erstmals könnten die Rechtspopulisten von der AfD in zwei Bundesländern Landtagswahlen gewinnen – und eine Regierungsbildung der etablierten Parteien extrem erschweren.
- Es ist durchaus möglich, dass solche Ergebnisse die ohnehin von Anfang an wackelige große Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Mark erschüttern könnten.
- Ein großes Problem: Die Spitzen von CDU und SPD im Bund können wegen interner Konflikte nur mit eingeschränkter Kraft wahlkämpfen.
Der Siegeszug der Rechtsextremen
Nicht unwesentlich ist, dass mit Wahlerfolgen in Sachsen, Brandenburg
und am 27. Oktober in Thüringen Vertreter des völkisch-nationalen
"Flügels" innerhalb der AfD bundesweit an Einfluss gewinnen könnten.
- Im Zentrum steht der Thüringer AfD-Chef und Rechtsaußen Björn Höcke.
- Auch der brandenburgische AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz gilt als Vertreter des "Flügels". Beobachter halten ihn für den Strippenzieher in der AfD und für noch einflussreicher als Höcke.
- Der sächsische Spitzenkandidat Jörg Urban bekennt offen Sympathie für die Gruppierung.
In Umfragen haben die Rechtspopulisten die SPD in Brandenburg
überflügelt, in manchen Erhebungen auch die CDU in Sachsen. In
Sachsen wackelt der Stuhl von Ministerpräsident Michael Kretschmer
(CDU), in Brandenburg der seines SPD-Kollegen Dietmar Woidke. Und in
Thüringen muss Ministerpräsident Bodo Ramelow um sein Amt zittern,
die AfD liegt in der jüngsten Umfrage hauchdünn hinter der
Linkspartei und vor der CDU.
Bereits seit ihrer Gründung 2013 hatte die AfD auf Anhieb beachtliche
Wahlerfolge. Seit 2016 ist sie in Sachsen-Anhalt zweitstärkste Kraft
(24,3 Prozent), ebenso in Mecklenburg-Vorpommern (20,8). Zur
stärksten Kraft schaffte sie es auf Landesebene bisher nicht.
Warum der AfD-Höhenflug? Was ist los im Land?
Eine "ungute
Grundstimmung" hat der frühere Brandenburger Ministerpräsident
Matthias Platzeck (SPD) in Teilen Ostdeutschlands ausgemacht. Der
Chef der Kommission 30 Jahre Deutsche Einheit beschreibt das so:
"Zusammenbruch nach 1990, Finanzkrise 2008 und Flüchtlingskrise 2015, alles in einer Generation."
Bei nicht wenigen Menschen habe sich das
Gefühl ausgebildet, der Staat, von dem sie das eigentlich erwarten,
habe nicht mehr alles im Griff und schütze sie nicht mehr
hinreichend, sagte Platzeck.
Die AfD verärgert die etablierten Parteien mit Wahlkampfslogans in
Anlehnung an die Zeit der DDR-Bürgerrechtsbewegung. "Vollende die
Wende", proklamiert die Partei etwa. "Mir dreht sich der Magen um",
sagte Woidke dazu. Doch es könnte gut sein, dass sich viele Wähler
nicht stören an der "Verlogenheit", wie es die kommissarische
SPD-Chefin Manuela Schwesig nannte.
Warum kämpft CDU-Spitze nicht um den Osten?
In Sachsen schien es aus Berliner Perspektive in den vergangenen
Wochen geradezu so, als würden Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin
Annegret Kramp-Karrenbauer parteiinternen Gegnern aus der
Bundespolitik das Wahlkampffeld kampflos überlassen müssen.
Schlagzeilen macht dagegen Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg
Maaßen. Sächsische CDU-Wahlkämpfer zeigen sich gern mit dem
umstrittenen Mitglied der ultrakonservativen Splittergruppe
Werteunion, anders als mit der Parteiprominenz aus Berlin, so scheint
es jedenfalls manchmal. Für seine Kritik an der Migrationspolitik der
Kanzlerin und für seine harten sicherheitspolitischen Thesen erhält
Maaßen gerade im Osten viel Beifall.
Erst am vergangenen Sonntag verschaffte ihm Kramp-Karrenbauer in
einem Interview der Zeitungen der Funke-Mediengruppe ungewollt
Rückenwind. Auf die Frage nach einem möglichen Verfahren zum
Ausschluss Maaßens aus der CDU antwortete sie, sie "sehe bei Herrn
Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet".
Zudem dürfte auch ihr neues Amt als Verteidigungsministerin AKK beim
Wahlkampf zeitlich binden.
Die Kanzlerin absolviert zwar Routinetermine wie am Mittwoch beim
Luftfahrtgipfel in Halle/Leipzig. Am Tag vor den Wahlen, dem 31.
August, erhält sie die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig.
Doch klassische Wahlkampfauftritte bestreitet Merkel nicht.
Auch beim
Wahlkampfabschluss mit Kretschmer am 30. August in Leipzig ist sie
nicht dabei. Aus Berlin kommt Kramp-Karrenbauer. Für die CDU dürfte
es da ein Defizit sein, dass sie den Kanzlerinnenbonus nicht
ausspielen kann.
Der Wahlkampf sei Sache der neuen Parteiführung, wird im Kanzleramt
Merkels Zurückhaltung begründet, wie schon vor der Europawahl Ende
Mai. Doch Merkel dürfte nicht unglücklich sein, dass sie nicht durch
Sachsen und Brandenburg touren muss. Sie hat nicht vergessen, wie sie
im Bundestagswahlkampf 2017 gerade in Sachsen von Mitgliedern des
fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses mit geradezu
menschenverachtenden Sprüchen beschimpft worden ist.
Was ein AfD-Sieg für die Parteien bedeuten würde
1. CDU/CSU
Falls die AfD in Sachsen und Brandenburg am Wahlabend tatsächlich
vorne liegen sollte, dürften sich jene in der CDU bestärkt sehen, die
Kramp-Karrenbauer für eine Fehlbesetzung an der Parteispitze halten –
und schon gar nicht für fähig, das Land als Kanzlerin zu führen.
Doch
in der CDU wird nicht erwartet, dass AKK am Tag danach intern in
Turbulenzen gerät. Zu labil sei die Lage mit dem Koalitionspartner
SPD.
Man will nicht noch mehr Unsicherheit. Auch in der CSU heißt
angesichts eines möglichen Rückzugs der SPD aus der Regierung Ende
des Jahres und einer womöglich schon im Frühsommer anstehenden
vorgezogenen Neuwahl das Motto: Nichts tun, was AKK destabilisiert.
2. SPD
Auch die Bundes-SPD – so hatte man den Eindruck – nimmt Niederlagen
bei den Landtagswahlen fast etwas resigniert in Kauf. Wochenlang
schien die gebeutelte Partei gefangen in ihrer Suche nach einer
Nachfolge für Andrea Nahles an Partei- und Fraktionsspitze. Hinter
vorgehaltener Hand zeigten sich die Wahlkämpfer in den Ländern
genervt.
Im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale in Berlin, so
scheint es, markiert der 1. September eher den Tag, an dem die
Bewerbungsfrist für den SPD-Vorsitz endet. Und nicht so sehr den
ersten wichtigen Wahltermin nach dem 15,8-Prozent-Debakel bei der
Europawahl Ende Mai.
In Brandenburg hoffen die Genossen, dass es mit den erstarkten Grünen
für Rot-Rot-Grün reicht. Dabei ist sogar möglich, dass die Grünen im
Dauerhoch die SPD auch in Brandenburg überflügeln. Die dortige
Grünen-Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher macht deutlich, dass sie
auch für das Amt der Ministerpräsidentin bereitstehe, "sollte es uns
nach der Rangfolge der demokratischen Parteien zustehen".
Und in Sachsen wäre es schon ein kleines Wunder, würde die SPD nicht
auf einen einstelligen Wert abstürzen. Dass es für die Krisenpartei
neuen Rückenwind aus den Ländern gibt, scheint ausgeschlossen. Am
Ende könnte sogar eine Koalition aller Parteien jenseits der AfD
nötig werden – das wäre wohl der größte Triumph der AfD.
Robert Habeck ist wohl eine der einprägsamsten Figuren der Politiklandschaft Deutschlands. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler der Bundesrepublik. Als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat er sich einen Namen als pragmatischer und kommunikationsstarker Politiker gemacht.