Es droht eine historische Premiere mit Schockwirkung, wenn am 1. September in Sachsen und Brandenburg gewählt wird.
Nicht unwesentlich ist, dass mit Wahlerfolgen in Sachsen, Brandenburg und am 27. Oktober in Thüringen Vertreter des völkisch-nationalen "Flügels" innerhalb der AfD bundesweit an Einfluss gewinnen könnten.
In Umfragen haben die Rechtspopulisten die SPD in Brandenburg überflügelt, in manchen Erhebungen auch die CDU in Sachsen. In Sachsen wackelt der Stuhl von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), in Brandenburg der seines SPD-Kollegen Dietmar Woidke. Und in Thüringen muss Ministerpräsident Bodo Ramelow um sein Amt zittern, die AfD liegt in der jüngsten Umfrage hauchdünn hinter der Linkspartei und vor der CDU.
Bereits seit ihrer Gründung 2013 hatte die AfD auf Anhieb beachtliche Wahlerfolge. Seit 2016 ist sie in Sachsen-Anhalt zweitstärkste Kraft (24,3 Prozent), ebenso in Mecklenburg-Vorpommern (20,8). Zur stärksten Kraft schaffte sie es auf Landesebene bisher nicht.
Eine "ungute Grundstimmung" hat der frühere Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) in Teilen Ostdeutschlands ausgemacht. Der Chef der Kommission 30 Jahre Deutsche Einheit beschreibt das so:
Bei nicht wenigen Menschen habe sich das Gefühl ausgebildet, der Staat, von dem sie das eigentlich erwarten, habe nicht mehr alles im Griff und schütze sie nicht mehr hinreichend, sagte Platzeck.
Die AfD verärgert die etablierten Parteien mit Wahlkampfslogans in Anlehnung an die Zeit der DDR-Bürgerrechtsbewegung. "Vollende die Wende", proklamiert die Partei etwa. "Mir dreht sich der Magen um", sagte Woidke dazu. Doch es könnte gut sein, dass sich viele Wähler nicht stören an der "Verlogenheit", wie es die kommissarische SPD-Chefin Manuela Schwesig nannte.
In Sachsen schien es aus Berliner Perspektive in den vergangenen Wochen geradezu so, als würden Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer parteiinternen Gegnern aus der Bundespolitik das Wahlkampffeld kampflos überlassen müssen.
Schlagzeilen macht dagegen Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. Sächsische CDU-Wahlkämpfer zeigen sich gern mit dem umstrittenen Mitglied der ultrakonservativen Splittergruppe Werteunion, anders als mit der Parteiprominenz aus Berlin, so scheint es jedenfalls manchmal. Für seine Kritik an der Migrationspolitik der Kanzlerin und für seine harten sicherheitspolitischen Thesen erhält Maaßen gerade im Osten viel Beifall.
Erst am vergangenen Sonntag verschaffte ihm Kramp-Karrenbauer in einem Interview der Zeitungen der Funke-Mediengruppe ungewollt Rückenwind. Auf die Frage nach einem möglichen Verfahren zum Ausschluss Maaßens aus der CDU antwortete sie, sie "sehe bei Herrn Maaßen keine Haltung, die ihn mit der CDU noch wirklich verbindet". Zudem dürfte auch ihr neues Amt als Verteidigungsministerin AKK beim Wahlkampf zeitlich binden.
Die Kanzlerin absolviert zwar Routinetermine wie am Mittwoch beim Luftfahrtgipfel in Halle/Leipzig. Am Tag vor den Wahlen, dem 31. August, erhält sie die Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig.
Auch beim Wahlkampfabschluss mit Kretschmer am 30. August in Leipzig ist sie nicht dabei. Aus Berlin kommt Kramp-Karrenbauer. Für die CDU dürfte es da ein Defizit sein, dass sie den Kanzlerinnenbonus nicht ausspielen kann.
Der Wahlkampf sei Sache der neuen Parteiführung, wird im Kanzleramt Merkels Zurückhaltung begründet, wie schon vor der Europawahl Ende Mai. Doch Merkel dürfte nicht unglücklich sein, dass sie nicht durch Sachsen und Brandenburg touren muss. Sie hat nicht vergessen, wie sie im Bundestagswahlkampf 2017 gerade in Sachsen von Mitgliedern des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses mit geradezu menschenverachtenden Sprüchen beschimpft worden ist.
Falls die AfD in Sachsen und Brandenburg am Wahlabend tatsächlich vorne liegen sollte, dürften sich jene in der CDU bestärkt sehen, die Kramp-Karrenbauer für eine Fehlbesetzung an der Parteispitze halten – und schon gar nicht für fähig, das Land als Kanzlerin zu führen.
Doch in der CDU wird nicht erwartet, dass AKK am Tag danach intern in Turbulenzen gerät. Zu labil sei die Lage mit dem Koalitionspartner SPD.
Man will nicht noch mehr Unsicherheit. Auch in der CSU heißt angesichts eines möglichen Rückzugs der SPD aus der Regierung Ende des Jahres und einer womöglich schon im Frühsommer anstehenden vorgezogenen Neuwahl das Motto: Nichts tun, was AKK destabilisiert.
Auch die Bundes-SPD – so hatte man den Eindruck – nimmt Niederlagen bei den Landtagswahlen fast etwas resigniert in Kauf. Wochenlang schien die gebeutelte Partei gefangen in ihrer Suche nach einer Nachfolge für Andrea Nahles an Partei- und Fraktionsspitze. Hinter vorgehaltener Hand zeigten sich die Wahlkämpfer in den Ländern genervt.
Im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale in Berlin, so scheint es, markiert der 1. September eher den Tag, an dem die Bewerbungsfrist für den SPD-Vorsitz endet. Und nicht so sehr den ersten wichtigen Wahltermin nach dem 15,8-Prozent-Debakel bei der Europawahl Ende Mai.
In Brandenburg hoffen die Genossen, dass es mit den erstarkten Grünen für Rot-Rot-Grün reicht. Dabei ist sogar möglich, dass die Grünen im Dauerhoch die SPD auch in Brandenburg überflügeln. Die dortige Grünen-Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher macht deutlich, dass sie auch für das Amt der Ministerpräsidentin bereitstehe, "sollte es uns nach der Rangfolge der demokratischen Parteien zustehen".
Und in Sachsen wäre es schon ein kleines Wunder, würde die SPD nicht auf einen einstelligen Wert abstürzen. Dass es für die Krisenpartei neuen Rückenwind aus den Ländern gibt, scheint ausgeschlossen. Am Ende könnte sogar eine Koalition aller Parteien jenseits der AfD nötig werden – das wäre wohl der größte Triumph der AfD.