Am Vatertag wird Christian Säfken einen letzten Brief an seine CDU schreiben. "Da werden keine Ausschweifungen drin stehen", sagt der 42-Jährige zu watson. "Ich verfasse nur eine Liste mit Dingen, die in meinen Augen nicht mehr gehen."
Säfken wird also schreiben: vom Rechtsruck in seiner Partei, vom Innovations-Tiefschlaf bei der Union und von gebrochenen Wahlkampf-Versprechen. Er wird auch von seiner Partei-Chefin sprechen, Annegret Kramp-Karrenbauer, deren furiosen Auftritt in einer Pressekonferenz Säfken am Montag fassungslos am Bildschirm miterlebte.
19 Jahre lang war der Osnabrücker Jurist Mitglied bei den Christdemokraten. Er hat an der Basis Plakate geklebt, stand stundenlang an Werbe-Ständen der CDU, verteilte Zettel. Aber jetzt ist Säfken raus, "maßlos enttäuscht" wie er sagt und überzeugt: "Mein Kündigungsschreiben wird AKK selbst nie lesen". Dabei wollte er es jedoch nicht belassen.
Säfken setzte deshalb zusätzlich noch einen Tweet ab. Er hoffte, damit wenigstens ein klein bisschen Aufmerksamkeit für seine Gründe zu bekommen, die CDU endgültig zu verlassen. Und diese Aufmerksamkeit kam in größerem Ausmaß, als er es je gedacht hätte: Seine Worte schlugen so heftig ein, dass die CDU-Führung den Knall im Berliner Konrad-Adenauer-Haus kaum überhört haben kann.
Nach der AKK-Äußerung schrieb Säfken:
Knapp 22.000 Likes gab es für ihn, und 4.000 Retweets. Der Grund für die enorme Aufmerksamkeit ist einfach: Säfkens Worte fielen mitten in den wütenden Sturm gegen die CDU und ihre Chefin. AKK wird nach ihrem kontroversen Auftritt nach der Europa-Wahl vorgeworfen, sie wolle kritische Meinungen vor Wahlen zensieren. "Die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich", hatte AKK gesagt.
Die Reaktionen auf Kramp-Karrenbauers Worte lassen sich in vier Gruppen aufteilen. Eine davon besteht allein aus Säfken.
Kritiker und Fassungslose, die heftig gegen AKK austeilen.
CDUler und jene, die versuchen, AKKs Worte irgendwie zu verteidigen.
Parteiinterne Kritiker wie etwa das Lager des AKK-Konkurrenten Friedrich Merz, die das Tohuwabohu zur parteiinternen Machtprobe nutzen.
Merz fuhr einen direkten Angriff gegen den AKK-Flügel der Partei:
Und da war zum Vierten wie gesagt Säfken, ein Veteran von der Basis, dem das Alles schlicht zu viel wurde.
Gegen die Wucht seines Tweets, verblassten Friedrich Merz' Worte regelrecht. "Sie haben Haltung, Respekt", schrieben die Leute an Säfken oder "Willkommen in der Moderne".
Aber der 42-Jährige provozierte auch den direkten Streit mit einigen seiner alten Weggefährten. Sogar die erste Reihe der CDU meldete sich zu Wort. Der digitalpolitische Sprecher Tankred Schipanski etwa unterstellte Säfken per Tweet Medieninkompetenz und das Verbreiten von Fake News.
"So etwas bestätigt nur, wie schlecht diese Partei gerade öffentlich kommuniziert" sagt Säfken zu watson. Anstatt ihm zuzuhören, würde direkt gegen ihn angeredet. Und es stimmt: Der kurze Schlagabtausch zwischen dem Basis-Politiker und Schipanski scheint geradezu prototypisch zu zeigen, wie groß die Verunsicherung in der CDU gerade ist.
Lest hier noch einmal die Zusammenfassung der schlimmsten Zitate aus der Partei:
Säfken legt dabei Wert darauf, zu betonen, dass er sich nicht jetzt erst zum Austritt entschieden habe. Schon lange sei vor allem der Rechtsruck in der Partei kaum noch auszuhalten gewesen. Während die Arbeit von liberalen Gruppen wie der "Union der Mitte" von der Parteispitze systematisch erschwert worden sei, hätten rechtsgerichtete Politiker der sogenannten "Werte Union" freies Spiel gehabt.
Säfken selbst stand einmal im Auge eines Shitstorms von AfD-Anhängern und Rechten, die einen seiner Tweets aus dem Zusammenhang rissen und gegen ihn verwendeten. Er wurde beleidigt, bekam Morddrohungen. "Es kann nicht sein, dass man sich in der Union an solche Leute anbiedern will", sagt er.
Das Verhalten der CDU in Bezug auf die Union-Kritik der Youtuberum Rezo sei dann schlicht zu viel gewesen. Säfken nennt es maximal daneben. "Diese Youtuber haben Lobby gemacht, so wie es jedes andere Unternehmen und jeder Verband auch tut. Das muss eine Partei wie die CDU aushalten", sagt er. Auch die Anspielung von AKK auf "analoge Regeln" hinke völlig.
"Diese Regeln betreffen Schmähkritik, Drohungen und strafrechtliches Handeln, und sie gelten außerdem schon jetzt on- wie offline", sagt er auch als Jurist. Und all diese Aussagen ausgerechnet nach dem Tag nach der krachenden Niederlage bei den EU-Wahlen. "Schlicht Wahnsinn", sagt Säfken.
Ob es einen Weg gibt, dass er es sich noch einmal überlegt? Säfken sagt zum jetzigen Zeitpunkt "Nein". Erst einmal müsse sich einiges in seiner alten Partei verändern, die für ihn einmal vor allem für Bürgerrechte und eine Kultur des Kompromisses stand. "Es würde mich freuen, wenn mein Handeln dazu beigetragen hätte."
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