Es sieht nicht gut aus in Sachen Corona: Das Robert Koch-Institut meldete am Freitag den neunten Tag in Folge einen Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz – auf nun 1439. Die Gesundheitsämter verzeichnete am Freitag 252.836 Neuinfektionen und 249 Todesfälle binnen 24 Stunden. Dennoch sollen schon in wenigen Tagen die Corona-Schutzmaßnahmen deutlich zurückgefahren werden.
Ein Beschluss der Bundesregierung sieht vor, dass ab dem 20. März die Masken- und Testpflicht weitestgehend fallengelassen wird. Lediglich in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Einrichtungen mit besonders gefährdeten Menschen, wie Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen, werden diese Regelungen weiterhin greifen. In "Hotspot"-Gebieten mit schwierigem Ausbruchsgeschehen sollen außerdem weiterhin zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden können, darunter auch die Test- und Impfnachweispflicht.
Dennoch warnte Gesundheitsminister Karl Lauterbach am Freitag in Berlin vor Sorglosigkeit. "Die Lage ist objektiv viel schlechter als die Stimmung", sagte der SPD-Politiker in der Bundespressekonferenz mit Blick auf wieder stark steigende Infektionszahlen. Lauterbach bezeichnete die Lage als kritisch und wandte sich gegen pauschale Einschätzungen, dass die Omikron-Variante milder sei. "Wir können nicht zufrieden sein mit einer Situation, wo 200 bis 250 Menschen jeden Tag sterben." Dies sei eine unhaltbare Lage, auf die man reagieren müsse.
Auch der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, bewertet die derzeitige Corona-Lage in Deutschland als angespannt. "Nach wie vor erkranken viel zu viele Menschen schwer an Covid und nach wie vor sterben auch zu viele Menschen an dieser Erkrankung. Und nach wie vor erleiden auch viele Menschen Langzeitfolgen von Covid", sagte Wieler.
Diese Langzeitfolgen können nicht nur physischer, sondern auch psychischer Natur sein. Denn vor allem junge Leute haben unter der Pandemie und den Einschränkungen stark gelitten. Seit Monaten gibt es Berichte darüber, dass viele Jugendliche nach zwei Jahren Pandemie an Depression und Angstzuständen leiden. Das Problem: Es gibt zu wenige Therapieplätze, oftmals müssen Betroffene monatelang auf Hilfe warten.
Auf die Frage von watson-Redakteurin Joana Rettig, ob es bald eine Reform der therapeutischen Bedarfsplanung gäbe, sagte Lauterbach in der Bundespresskonferenz: "Daran werden wir arbeiten, das gehört zu einem der vielen Projekte, die wir in den nächsten Monaten beginnen werden." Er betonte, dass die Regierung neben Gesetzen zur Finanzierung von Krankenkassen, zum Pflegebonus und zur Triage-Regelung, auch sehr schnell ein Gesetz zur Bedarfsplanung der Psychotherapie vorlegen würde.
Auf die weitere Nachfrage, was getan würde, um jungen Menschen nicht den Sommer wegzunehmen, antwortete Lauterbach wenig hoffnungsvoll: Einen "unbeschwerten Sommer", wie wir ihn letztes Jahr gehabt hätten, halte er für "sehr unwahrscheinlich". "Von daher müssten wir auch im Sommer mit bestimmten Maßnahmen rechnen", sagte der Gesundheitsminister.
Auch auf Twitter blicken einige Nutzer mit sorgenvollem Blick auf die warmen Sommermonate. "Damit die FDP ihren albernen symbolischen FreeDummDay bekommt, versemmeln wir den Niedriginzidenz-Sommer für alle...vielen Dank auch...", kritisierte eine Userin aufgebracht.
Denn während die Einen die Öffnungen kaum erwarten können, hält sich bei Anderen die Vorfreude eher in Grenzen. In Anlehnung an den "Freedom Day", wie der 20. März von einigen Leuten hoffnungsvoll genannt wird, trendet auf Twitter momentan der Hashtag #FreeDummDay. Darunter finden sich einige User, die den Lockerungen, ähnlich wie Lauterbach und Wieler, eher kritisch gegenüberstehen.
"Niemandem entsteht ein gesundheitlicher oder wirtschaftlicher Schaden, wenn er noch ein paar Wochen Maske trägt", schrieb ein User entschieden. "Aber allen entstehen wirtschaftliche – und den Millionen Vorerkrankten auch gesundheitliche – Schäden, wenn nicht."
Auch eine weitere Twitter-Nutzerin kritisierte, dass Lockerungen derzeit nicht angemessen seien: "Wenn ein Stück Stoff vor Mund und Nase und ein Stäbchen als belastender bewertet werden, als Krankheit und Tod und die produktive Gesundheit einer kompletten Gesellschaft, dann ist Solidarität an ihrem Tiefpunkt und langfristiges Denken nicht vorhanden."
"Die Lage ist also weiterhin angespannt, aber wir können das Infektionsgeschehen mit unserem Verhalten beeinflussen", sagte Wieler. Er wiederholte seine Impfappelle und betonte, viele schwere Verläufe, Todesfälle und Langzeitfolgen könnten durch die Impfung vermieden werden. "Die Impfung ist und bleibt der beste und sicherste Weg zur Immunität", sagte er. Er forderte auch alle Menschen auf, die weiteren bekannten Schutzmaßnahmen einzuhalten, Wachsamkeit zu bewahren und insbesondere auf besonders gefährdete Gruppen zu achten.
(fw)