Das Grundgesetz wird 70 und die Interpretation seiner Inhalte ist so umkämpft wie selten zuvor. In dieser Reihe zeigen wir euch Fälle, Personen und Streitigkeiten, durch welche die ersten 19 Artikel im "GG" besonders nah an unseren Alltag herangerückt sind.
02.05.2019, 17:49
Im vergangenen Oktober laden Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Hasan Salihamidzic vom FC Bayern zu einer Pressekonferenz ein – sie wird für Wochen und Monate der öffentlichen Diskussion sorgen.
"Wir werden das in diesem Stil nicht mehr weiter akzeptieren", sagte Rummenigge damals, um dann zu Grundsätzlichem auszuholen: Die Berichterstattung in den Medien arbeite sich nur noch an einzelnen Fußballspielern ab. Und deshalb wolle Rummenigge die Journalisten jetzt einmal an den Artikel 1 des Grundgesetzes erinnern, in dem es heißt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Das, so sagt der Manager weiter, scheine für den Fußball nicht mehr zu gelten. Der FC Bayern werde das nicht länger hinnehmen.
Die Aufregung über Rummenigges Ausfall fielen heftig aus. Viele machten ihm und Uli Hoeneß Vorwürfe: Die Manager des Rekordmeisters würden selbst regelmäßig Spieler persönlich angreifen, die ihnen nicht passten. Weniger Aufmerksamkeit dagegen bekam eine andere Kritik: Rummenigge selbst würde mit seinen Aussagen die Menschenwürde herabsetzen.
Der Artikel 1 steht nicht umsonst am Anfang des Grundgesetzes, denn die "Würde des Menschen" ist der höchste Wert in unserer Gesellschaft.
Das bedeutet: Der Staat dient den Menschen und nicht etwa die Menschen dem Staat. Der Artikel 1 ist eine direkte Antwort auf die Schrecken des "Dritten Reichs" und soll Unrechtsregime und Willkür verhindern. Nie wieder soll der Mensch zu einem Objekt herabgewürdigt werden.
Alles, was im Grundgesetz auf den Artikel 1 folgt, trägt die Menschenwürde deshalb in sich. Sie ist der Leitgedanke, auf dem die Bundesrepublik ruht. Und das führt zu schwierigsten Konflikten:
Ist es etwa in Ordnung, einem Kindesentführer mit Schmerzen zu drohen, um an Informationen über seine Opfer heranzukommen? Oder: Darf die Bundeswehr ein gekapertes Flugzeug mit Unschuldigen abschießen, das von Terroristen entführt wurde?
Für solche Fragen ist das Verfassungsgericht zuständig, dicke Rechtskommentare arbeiten sich daran ab. Und dann plötzlich eben auch: Karl-Heinz Rummenigge.
Auslegungssache
Der Bayern-Manager beantwortete – vermutlich ungewollt – öffentlich die Frage nach der Menschwürde im Alltag.
Sein Argument klang nachvollziehbar: Gibt es eine öffentliche Kampagne gegen bestimmte Spieler, inklusive Beleidigungen, harscher Kritik und "würdeloser" Behandlung, dann müssten sie eigentlich davor beschützt werden, oder?
Nein, in diesem Sinne meint es das Grundgesetz nicht mit Artikel 1.
Kritische Stimmen warfen dem Manager deshalb vor, den Verfassungsgrundsatz als Allzweckwaffe zu verwenden, um auf die Berichterstattung der Medien (deren Freiheit wiederum in Art. 5 GG garantiert wird) einzuwirken. Kritik á la "Der spielt einen Dreck zusammen" ist zwar beleidigend, aber sie entmenschlicht einen Fußballspieler eben noch nicht. Gegen öffentliche Beleidigungen können sich Betroffene außerdem etwa mit den Mittel des Strafgesetzbuches wehren.
Als Rummenigge die Kritik an seinen Spielern mit komplizierten Menschenrechtsverletzungen wie Folter auf eine Ebene stellte, verwässerte er die Menschenwürde zu einer Medienschelte. Und zeigte, dass er selbst wohl einigen Nachholbedarf in Sachen Grundrechte benötigte.
Die Reaktion des Bayern-Managers
Rummenigge blieb auch nach einer großen Welle der Kritik bei seinen Worten. Er sagte: "Sinn und Ziel der ganzen Geschichte war, der Mannschaft und dem Trainer zu zeigen, dass wir bereit sind, sie nach außen zu schützen", sagte er. Einige Profis hätten sich sogar bei ihm bedankt.
Auf seine Fehlinterpretation der Menschenwürde nach dem Grundgesetz ging der Bayern-Manager seitdem nie wieder ein.
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