Deutschland
Nach der Wahlschlappe in Thüringen ist in der CDU ein neuer Machtkampf entbrannt. Friedrich Merz teilt kräftig aus, JU-Chef Tilman Kuban stellt offen die Kanzlerfähigkeit von Annegret Kramp-Karrenbauer infrage. Wie geht es in der CDU weiter – und wie gut stehen AKKs Chancen, aus der Krise wieder rauszukommen? Ein Gespräch mit dem renommierten Parteienforscher Oskar Niedermayer.
watson: Es herrscht Unruhe in der CDU. Parteichefin AKK wird offen angegriffen. Erleben wir eine Revolte gegen die Parteispitze?
Oskar Niedermayer: Ich würde sagen: Ja, wir erleben gerade den Versuch einer Revolte gegen die Parteispitze. Ob es zum finalen Aufstand und zur Machtfrage auf dem Parteitag kommt, wird sich aber erst noch in den nächsten Tagen und Wochen klären, wenn sich verdeutlicht hat, wer zu wem hält. Jedenfalls liegt bei der CDU einiges im Argen – und das ist nicht allein auf die Thüringen-Wahl zurückzuführen.
Sondern?
Thüringen ist nicht die erste Wahl in diesem Jahr gewesen, bei dem die CDU ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren hat. Man denke nur an die Europawahl, Brandenburg und Sachsen. Das nagt an der Partei.
Eine solche Unruhe, wie sie aktuell vorherrscht, gepaart mit Personaldebatten kennt man sonst nur von der SPD. Wieso lässt sich die CDU darauf ein?
Die CDU hält nur treu zu ihren Frontleuten, solange sie gute Ergebnisse bei den Wahlen garantieren. Doch die Ergebnisse sind schon länger nicht mehr zufriedenstellend, also wird die Partei nun zunehmend unruhig. Das liegt auch daran, dass sich die GroKo gerade in einer sehr unsicheren Lage befindet: Wenn Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans neue SPD-Vorsitzende werden, die SPD tatsächlich die große Koalition aufkündigen und es Neuwahlen geben würde, dann würde sich ganz schnell und akut die Frage stellen, wer Kanzlerkandidat für die Union wird.
Wie schätzen Sie denn AKKs Chancen auf die Kanzlerkandidatur ein?
Je früher die nächste Wahl kommt, desto geringer sind ihre Chancen. Wenn die SPD nach der Halbzeitbilanz in der GroKo bleibt und die nächsten Bundestagswahlen erst wie geplant 2021 stattfinden, hat AKK noch genug Zeit, um Boden gutzumachen.
Bei vorzeitigen Neuwahlen wird es eng für sie. Wenn man sich ihre aktuellen Umfragewerte anschaut, die sie in der Bevölkerung verzeichnet, dann kann man sich schwer vorstellen, dass sie zum Zugpferd für die Union taugt.
Oskar Niedermayer
Kramp-Karrenbauer hat jetzt ihre Kritiker aufgefordert, im Streit um die Kanzlerkandidatur öffentlich Farbe zu bekennen. Ist das schon Verzweiflung?
Das ist Vorwärtsverteidigung. Die kann klappen, aber auch nicht. Andrea Nahles ist zuletzt mit dieser Strategie kläglich gescheitert.
Nahles wollte die Diskussion um sie beenden und hatte deswegen die Abstimmung über den SPD-Fraktionsvorsitz vorgezogen. Doch die Diskussion ging so heftig weiter, dass Nahles noch vor der Abstimmung ihren Rücktritt erklärte. Droht AKK ein ähnliches Schicksal? In gut drei Wochen steht ja der Parteitag an…
Die wesentliche Frage ist, wie sich AKKs potenzielle Konkurrenten zueinander verhalten. Jetzt hängt alles davon ab, was Friedrich Merz, Jens Spahn und Armin Laschet machen.
Bekämpfen sie sich gegenseitig? Oder verbünden sie sich, indem sie sich auf einen von sich einigen und diesen gemeinsam unterstützen? Dann wird es für AKK viel gefährlicher. Das wissen aber nur Merz, Spahn und Laschet selbst. Auffällig ist jedenfalls, dass sich Laschet in den vergangenen Tagen ebenfalls aus der Deckung getraut hat und AKK in einem Ton kritisiert hat, der von ihm bislang nicht zu hören war.
Merz hingegen hat im ZDF ausdrücklich Merkel kritisiert und nicht AKK, weil diese seiner Meinung nach keine so negative Rolle gespielt habe. Stattdessen betonte Merz, dass er AKK seine Unterstützung "auch in schwierigen" Zeiten zugesagt habe. Warum macht er das?
Merz richtet seine Kritik aus taktischen Gründen an Merkel und nicht an AKK. Er ist potenzieller AKK-Konkurrent um die Kanzlerkandidatur und möchte deswegen nicht als Königinnenmörder dastehen. Daher vermeidet er eine offene Schuldzuweisung an AKK.
Ist AKK an ihrer verfahrenen Situation selbst schuld oder hat sie einfach Pech gehabt?
AKK hat selbst einiges dafür getan, dass die Zweifel an ihr gewachsen sind. Sie hat eine Reihe von Fehlern gemacht, die einzeln nicht so gravierend sind, aber in ihrer Gesamtheit eben schon. Aber auch Angela Merkel hat in den vergangenen Tagen nicht gerade dazu beigetragen, dass AKK glänzt.
Was meinen Sie?
In der Debatte um die Sicherheitszone in Syrien hätte es eine klare Ansage von der Bundeskanzlerin gebraucht. Wenn AKK einen so weitreichenden außenpolitischen Vorschlag macht, dann muss das erstens mit der Kanzlerin abgesprochen sein. Zweitens muss Merkel dann hinter dem Vorschlag stehen, drittens muss sie dafür sorgen, dass auch die Koalition diese Linie fährt. Und viertens muss die Kanzlerin dann zu ihrem Außenminister Heiko Maas sagen: Entweder du fährst gar nicht in die Türkei oder du vertrittst dort die Regierungslinie pro Sicherheitszone.
Stattdessen kritisierte Maas auf der offenen Bühne die eigene Verteidigungsministerin – das hat es so noch nie gegeben. Und da hat auch Angela Merkel Schuld daran, dass AKK so brüskiert wurde.
Oskar Niedermayer
Am Ende ist es aber nicht Merkel, die kritisiert wird, sondern AKK.
AKK hat versucht, durch diesen Vorschlag wieder an Boden gutzumachen. Wenn er funktioniert hätte, wäre das auch ein großer Erfolg gewesen. Das Risiko war jedoch groß. Am Ende hat der Vorstoß AKK nicht geholfen, sondern geschadet, auch medial. Und das ist heikel, denn je länger diese verheerende Außenwirkung von AKK andauert, desto mehr verfestigt sich das als Image.
Ist es nicht möglich, dass die Debatte um AKK und die Kanzlerkandidatur einfach wieder abebbt?
Ich glaube nicht, dass diese Debatte schnell aufhört.
Warum?
Die Katze ist schon aus dem Sack. AKK hat versucht, den Sack wieder zuzubinden, indem sie forderte, dass sich ihre Gegner aus der Deckung trauen sollen. Doch die Debatte hat ja nicht aufgehört seitdem, das lässt sich so schnell nicht eindämmen. Selbst, wenn sich die CDU zurückhalten würde, werden die Medien das Thema am Kochen halten.
Was sind die Folgen dieser Debatte für die CDU? Dass es mit der CDU als Volkspartei nicht so rasant bergab gegangen ist wie mit der SPD, wurde doch auch immer damit erklärt, dass Wähler Stabilität bevorzugen und interne Streitereien sowie Führungsgezanke ablehnen. Jetzt scheint die CDU diesen Kurs für einen Machtkampf zu verlassen.
Die CDU geht damit tatsächlich eine große Gefahr ein. Es kommt jetzt darauf an, wie lange diese Debatte andauert. Über Führung kann natürlich auch gestritten werden – aber nicht sehr lange. Der Machtkampf in der CDU darf sich nicht über Monate hinziehen und zu einem schmutzigen Streit entwickeln. Da wäre es aus CDU-Sicht die bessere Variante, es zu einem Showdown auf dem Parteitag kommen zu lassen und dort einen Beschluss herbeizuführen, der dann gilt. Dann müssten AKKs Gegner bis dahin aber wissen, wie sie vorgehen wollen.
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