Mit seiner Kritik an dem Sänger Gil Ofarim, der im Verdacht steht, einem Leipziger Hotelangestellten zu Unrecht Antisemitismus vorgeworfen und ihn so verleumdet zu haben, hat sich nun Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) viele Gegner gemacht. Kritisiert wird er für eine bestimmte Wortwahl, aber auch für eine Aussage zum Thema Antisemitismus sowie für Vorverurteilung.
Kretschmer veröffentlichte am Donnerstagabend bei Facebook ein Statement, in dem er unter anderem schrieb, es sei "das Schlimmste, jemanden als Antisemit zu bezeichnen. Dies für Falschaussagen und Verleumdung zu missbrauchen, ist schockierend und zutiefst verachtenswert." Er schrieb zudem, dass das in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Vertrauen "zwischen Deutschen und Juden" nicht selbstverständlich sei, sondern "ein hohes und wertvolles Gut, ein Wert, den wir uns nicht zerstören lassen".
Vor allem für die Differenzierung zwischen Deutschen und Juden bekam Kretschmer viel Kritik. Viele werfen dem Minister vor, durch diese Trennung eine Unvereinbarkeit zwischen "deutsch sein" und "jüdisch sein" zu suggerieren.
Am Donnerstagabend erwiderte Kretschmer bei Twitter darauf: "Zur Klarstellung: Deutschland steht zurecht in einer besonderen historischen Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk. Heute gibt es zum Glück wieder ein vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland und eine große Zahl deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens."
Doch seine Wortwahl an dieser Stelle war nicht das einzige, was die Menschen an Kretschmers Kritik an Ofarim störte. Auch seine Aussage, es gäbe nichts Schlimmeres, als als Antisemit bezeichnet zu werden, rief viel Kritik hervor. "Ich würde behaupten, Antisemitismus ist schlimmer", schrieb ein User dazu.
Eine andere Nutzerin schlug in die gleiche Kerbe. "Das Schlimmste ist, von Antisemitismus betroffen zu sein", machte sie deutlich. Kretschmer würde durch seine Argumentation "der ritualisierten Abwehr antisemitischer Vorwürfe" bewusst Vorschub leisten und "antisemitische Täter:innen schützen".
Überhaupt störte es viele, dass der sächsische Ministerpräsident Gil Ofarim Verleumdung vorwirft, noch bevor ein Gericht sein Urteil gefällt hat. Eine Userin mahnte Kretschmer deshalb zu mehr Vorsicht und Zurückhaltung, ein anderer attestierte dem Minister eine "erstaunliche intellektuelle Fehlleistung".
Auch die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International Sachsen" äußerte sich inzwischen dazu. Sie seien "fassungslos", dass Kretschmer in seinem Statement zwischen "Deutschen und Juden" unterscheide und ermahnten den Minister, dass – bis ein Gericht das Gegenteil beweise – Ofarims Unschuld vermutet werden müsse. Kretschmer sollte diese Regel kennen und respektieren, meint "Amnesty".
Zum Hintergrund: Die Staatsanwaltschaft Leipzig wirft nach umfangreichen Ermittlungen dem Künstler Gil Ofarim falsche Verdächtigung und Verleumdung vor. Der angebliche Antisemitismus-Vorfall im Leipziger "The Westin" habe sich nicht so zugetragen, wie Ofarim es in einem am 4. Oktober 2021 aufgenommenen und später im Internet geposteten Video geschildert hatte. Danach sollte ihn ein Hotelmitarbeiter aufgefordert haben, seine Kette mit Davidstern abzunehmen.
(nik/mit Material von dpa)