Am 8. Dezember 2021 hat die Ampelkoalition den Regierungsauftrag übernommen. Im Bundestag sitzen seit dieser Legislaturperiode so viele junge Menschen, wie noch nie. Bei einigen von ihnen hat watson nachgefragt, wie ihr erstes Jahr gelaufen ist.
Juso-Chefin Jessica Rosenthal erklärt, sie hätte an ihrem ersten Tag im Bundestag nicht erwartet, drei Monate später mit einem Krieg in Europa konfrontiert zu sein. "Plötzlich mussten wir über Waffenlieferungen, Energiepreisbremsen und Entlastungspakete sprechen, damit alle gut durch den Winter kommen", sagt die 30-Jährige.
Trotz allem sei sie mit dem ersten Ampeljahr zufrieden. Die Ampel habe wichtige Projekte auf den Weg gebracht – insbesondere für junge Menschen. Als Beispiel nennt Rosenthal die Bafög-Reform. Sie fährt fort:
Was Rosenthal jedoch nicht erwähnt: Wegen der Energiekrise hat die Ampel Kohlekraftwerke reaktiviert.
"Nach einem Jahr im Bundestag bin ich sicher, dass ich genau dort angekommen bin, wo ich sein möchte", fasst Carmen Wegge zusammen. Warum das so ist? "Hier hat man die Chance, die Welt zum Besseren zu verändern." Die 33-Jährige sitzt ebenfalls für die Sozialdemokrat:innen im Parlament.
Der schönste Moment sei für Wegge die Streichung von Paragraf 219a – dem Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – gewesen. "Ich durfte das verhandeln und umsetzen, wofür Frauen und Verbände jahrzehntelang gekämpft haben."
Und noch etwas hat Wegge froh gemacht:
Überrascht hätte Wegge, dass sie mit den Telefonen im Plenarsaal nach draußen telefonieren. Und, dass die jungen Abgeordneten ihrer Fraktion "stabil dabei blieben", weiße Sneaker zu tragen.
Emilia Fester ist aktuell die jüngste Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie beschreibt ihr erstes Jahr im Parlament als "unfassbar vielfältig, spannend, aber manchmal auch ernüchternd." Sie habe in der Zeit mehrere kleine und einen großen Erfolg feiern können, erklärt sie.
Welcher das war?
Ein Recht, das 1,3 Millionen junge Menschen in Deutschland betreffe. Die 24-Jährige sagt: "Dieser Erfolg zeigt, wie wichtig die Repräsentation junger Stimmen ist. Ich bin froh darüber, genau diese Stimmen im Bundestag vertreten zu können."
Auch für Hanna Steinmüller waren der Krieg in Europa und die Monate im Krisenmodus eine Herausforderung. Die 29-Jährige ist trotzdem froh, dass sie in ihrem Fachbereich – der Wohnungspolitik – einiges erreichen konnte. Sie nennt den Heizkostenzuschuss und die Wohngeldreform. "Dennoch stehen auch in Zukunft harte Debatten innerhalb der Koalition an", befürchtet sie.
Steinmüller stellt klar: Kompromisse seien wesentlich für eine Demokratie – auch wenn das manchmal frustrierend sei.
Besondere Freude mache Steinmüller die Arbeit im Wahlkreis. "Ich lerne viele tolle Menschen, Initiativen und Unternehmen kennen und versuche ihre Ideen in das politische Berlin zu bringen oder sie auf anderen Wegen zu unterstützen." Das mache ihren Alltag abwechslungsreich und lebendig. Und es helfe über manche kurze Nacht. Die Grünen-Politikerin räumt ein:
Die Klimakrise und der Krieg in Europa, sagt die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer, zwängen auch die Abgeordneten in vielen Bereichen zum Umdenken.
Die 29-Jährige führt aus:
Es sei nicht einfach, unter diesem Druck gemeinsame Prioritäten zu finden. "Das führt zu harten Debatten und ja, die können wirklich frustrierend sein." Trotzdem hat sie den Eindruck, dass die Ampelkoalition die Gesellschaft abbildet und zu guten Kompromissen in der Lage ist.
Was FDP-Politikerin Ria Schröder besonders überrascht hat: "Die Bürokratie im Bundestag." Es gebe sogar ein Formular, das man ausfüllen müsse, um einen Nagel in die Wand hauen zu dürfen. Besonders gefreut hat sich die 30-Jährige über die Bafög-Erneuerung.
Schröder sagt:
Die damalige Entscheidung, zu kandidieren, würde die FDP-Politikerin auch heute noch immer wieder genauso treffen. "Es ist eine großartige Chance, dass ich mich im Bundestag für junge Menschen und Bildungsgerechtigkeit einsetzen kann." Dafür sei sie sehr dankbar.
Bevor er für die FDP in den Bundestag eingezogen ist, hat Maximilian Funke-Kaiser als Landesvorsitzender der Julis Bayern die konstruktive Oppositionsarbeit unterstützt. Jetzt aber habe er die Möglichkeit – gerade im Bereich Digitalisierung – konkret mitzuwirken. Und Verbesserungen voranzutreiben.
Der 29-Jährige sagt:
Natürlich gebe es auch Kritik und manche Kompromisse seien nötig: "Entscheidungen müssen aber endlich mal auf langfristigen und nachhaltigen Erfolg ausgerichtet sein", macht Funke-Kaiser deutlich. Und dafür würde er jedes Mal wieder kandidieren.
Das erste Jahr im Bundestag, meint Philipp Hartewig, war spannend und vielseitig. In vielen Bereichen aber auch herausfordernd. Denn: Gesetzgebung ist komplex. Vor jeder Entscheidung, erklärt Hartewig, stehe ein Abwägungsprozess. Es sei nicht immer leicht, diesen Prozess nach außen hin nachvollziehbar darzustellen.
Der 28-Jährige sagt:
Im Bundestag setze sich Hartewig deshalb für gute Sportanlagen und die Förderung der Athlet:innen ein. Die Entscheidung zu kandidieren, würde er heute erneut treffen.
"Der Job nimmt wirklich das komplette Leben ein", stellt Heidi Reichinnek klar. Ihre Fraktion habe einen Nachteil gegenüber den anderen: Dadurch, dass die Linke im Bundestag so wenige Abgeordnete hat, muss "jede:r den Workload übernehmen, den in anderen Fraktionen drei bis vier MdB (Mitglieder im Bundestag, Anm. d. Red.) machen." Privatleben gebe es zwischen Plenum, Ausschuss und Terminen kaum noch.
Die 34-Jährige macht aber deutlich: Trotz allem sieht sie ihren Job als riesiges Privileg an. Ihre Partei sei die einzige Fraktion, die die Perspektive von Menschen einbringe, die sonst übersehen werden. Sie zählt auf: "Menschen, die nicht mehr wählen gehen, Menschen, die Angst vor den Rechnungen im Briefkasten haben. Dafür lohnt sich das alles."
Allein dafür würde sie noch einmal kandidieren.