Ein älterer Mann mit Schnauzer läuft zügig auf die Kamera zu. "Ich will nicht fotografiert werden", sagt er mit strengem Ton. Er hebt seine Stimme, der Tonfall erinnert an einen Offizier, der seinen Untergebenen Befehle erteilt.
Doch die Aufnahme stammt weder von einem Truppenübungsplatz noch von der Front, sondern offenbar aus dem mittelhessischen Geilshausen, einem Ortsteil der Gemeinde Rabenau. Das zumindest geht aus einer Videoaufnahme von "hessencam" hervor.
Laut eigener Angabe handelt es sich dabei um ein Jugendvideoprojekt aus Wetzlar, das sich für Demokratie einsetzt und ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen will. Die Macher:innen sprachen mit Schaulustigen und Besucher:innen bei einem AfD-Treffen. Nun sorgt ihr Video für Furore in den sozialen Medien.
"Wenn Sie noch einmal Fotos machen, nehme ich Ihnen die Kamera weg", droht eine Frau und erklärt, hier herrsche Kameraverbot. Ein Polizist schaltet sich dazu, will offenbar schlichten, die aufgeheizte Stimmung beruhigen.
"Vor den Türen der AfD: Hausverbot für uns", heißt es im Post von "hessencam" auf X (ehemals Twitter). Die Kamera schwenkt auf ein Gebäude mit Aufschrift: "Dorfgemeinschaftshaus Geilshausen". Die Fenster sind mit Plakaten beklebt. Darauf stehen Parolen wie: "Weil wir für euch sind, sind sie gegen uns"; "Heizen, wie wir es wollen".
Laut "hessencam" werden angeblich Interviews gestört. Als Anwesende das Auto des SPD-Bundestagsabgeordneten Felix Döring erspähen, vergleichen sie ihn mit dem berüchtigten nationalsozialistischen Kriegsverbrecher Josef Mengele. Zum Hintergrund: Mengele arbeitete als Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau und überwachte etwa die Vergasung der Opfer.
"Dieser Verbrecher hat für die Impfpflicht gestimmt", behauptet einer der Passanten. "Und das vergleichen Sie jetzt mit dem Holocaust?", will der Mann hinter der Kamera wissen. Doch der Gesprächspartner winkt ab und läuft davon.
Doch da kommt schon die nächste Ansage, die für allerhand Gesprächsstoff in den sozialen Netzwerken sorgt. Ebenfalls ein älterer Mann outet sich vor laufender Kamera als Nationalsozialist. Der Kameramann bohrt nach und will wissen, warum? "Weil Sie mich am Arsch lecken können", lautet seine Antwort. Am Ende des Videos springt erneut der aufgebrachte Mann vom Beginn in die Kamera. Diesmal schreit er regelrecht, mit weit aufgerissenen Augen: "Raus!"
Diese Eindrücke der AfD-Sympathisant:innen lösen bei vielen Menschen Empörung aus.
"Knapp 90 Sekunden Einblick in die politische Hölle der AfD", schreibt etwa Europa-Abgeordneter (CDU) Dennis Radkte auf X. Dass solche "Typen" Verantwortung übernommen sollen, sei für ihn unvorstellbar. "Bekämpfen auf allen Ebenen und mit allen Mitteln des Rechtsstaates", fordert er.
Grünen-Politiker und Mitglied des Niedersächsischen Landtags Michael Lühmann geht noch einen Schritt weiter: Er fordert auf X ein Parteiverbot als Reaktion auf das Video.
Der Account "UnionWatch", der sich sonst den Skandalen der CDU und CSU widmet, kommentiert das Video – mit einer Warnung. "Um diese Menschen buhlen CDU, CSU und FDP. Wie weit ins Extreme wollen diese Parteien mit ihrer Sprachen und Gesetzesvorschlägen abrutschen, bevor sie merken, dass mit ihnen keine Demokratie zu machen ist?"
Anfang Oktober finden die Landtagswahl in Hessen satt. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey führt die CDU deutlich in Hessen mit 29 Prozent. Dahinter folgen SPD und Grüne. Die AfD kommt derzeit auf den vierten Platz mit 15 Prozent. Damit erreicht die Partei in Hessen nicht ihre Umfrageergebnisse auf Bundesebene.
Denn im Wahltrend zur Bundestagswahl belegt die AfD momentan den zweiten Platz hinter der CDU mit etwa 20 Prozent.