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Ioannis Lagos: Verurteilter Neonazi kassierte weiter EU-Gelder

October 12, 2020, Athens, Greece: European Parliament member Ioannis Lagos who had been found guilty along with others of leading a criminal organization, and face five to 15 years in prison, talks in ...
Oktober 2020: Trotz seiner Verurteilung genoss der Neonazi Lagos viele Freiheiten.Bild: imago images / Eurokinissi / Zuma Wire
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System mit Lücken: Wie ein verurteilter Neonazi weiter EU-Gelder kassierte

Recherchen zeigen, wie der ehemalige Abgeordnete und Neonazi Ioannis Lagos trotz rechtskräftiger Verurteilung Zehntausende Euro aus Brüssel erhielt.
29.10.2025, 17:5829.10.2025, 17:58

Als Europas Justiz im Oktober 2020 ein klares Signal gegen Rechtsextremismus setzte, feierten viele das Urteil als historischen Moment: Die griechische Neonazi-Partei Goldene Morgenröte wurde als kriminelle Vereinigung verurteilt, ihre Führung zu langjährigen Haftstrafen.

Doch während die Parteispitze in Athen hinter Gitter kam, führte einer ihrer prominentesten Köpfe sein Leben in Brüssel ungestört weiter – alles bezahlt von europäischen Steuergeldern, wie eine aktuelle Recherche zeigt.

Demnach erhielt der verurteilte Neonazi Ioannis Lagos, damals Mitglied des Europäischen Parlaments, nach seiner Verurteilung weiterhin öffentliche Gelder. Diese beliefen sich auf über 28.900 Euro, zusätzlich zu seinem Jahresgehalt von rund 64.000 Euro. Die Zahlungen liefen weiter, während Lagos offen erklärte, er wolle seiner Verhaftung entgehen.

Ein verurteilter Straftäter – mit Zugang zur EU-Kasse

Der griechische EU-Abgeordnete Lagos war im Oktober 2020 zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah ihn als führende Figur der rechtsextremen Goldenen Morgenröte, die wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung schuldig gesprochen wurde.

Feb. 8, 2016 - Athens, Greece - Golden Dawn parliamentarian Yannis Lagos addresses protesters during a protest rally against the construction of a transit camp for migrants and refugees at Schisto sub ...
2016: Lagos machte aus seiner rechtsextremen Gesinnung keinen Hehl. Bild: imago stock&people / ZUMA Press

Doch anstatt inhaftiert zu werden, blieb Lagos monatelang in Brüssel – als vollwertiges Mitglied des EU-Parlaments, wie die Recherche von "FragDenStaat" zeigt. Er nutzte weiter sämtliche Privilegien seines Mandats: vom Stimmrecht bis zu vom Parlament finanzierten Reisen.

"FragDenStaat" konnte nach einem erfolgreichen Gerichtsverfahren erstmals die Ausgabenbelege eines EU-Abgeordneten einsehen. Daraus geht hervor, dass Lagos zwischen seiner Verurteilung und seiner Auslieferung im Frühjahr 2021 weiterhin vom Parlament finanzierte Reisen unternahm. Diese Reisen zwischen Brüssel und Athen wurden über das hauseigene Reisebüro bezahlt.

Was Lagos dort tat, ist unklar. Bekannt ist nur: Kaum hatte das griechische Gericht seinen Antrag auf Aufschub der Haftstrafe abgelehnt, kehrte er am nächsten Tag auf Kosten der EU zurück in die belgische Hauptstadt.

Immunität als Schutzschild: auch für den Neonazi

Sein Status als Abgeordneter bot Lagos einen rechtlichen Schutz: Solange das Parlament seine Immunität nicht aufhob, konnte er weder verhaftet noch ausgeliefert werden. Für ihn wurde es ein Schlupfloch, das ihm fast sieben Monate Freiheit verschaffte.

Erst im April 2021, fast sieben Monate nach seiner Verurteilung, hob das Europäische Parlament seine Immunität auf.

Athen, Griechenland - Ioannis Lagos, der letztes Jahr als führendes Mitglied im Prozess gegen die Neonazi-Partei Golden Dawn verurteilt worden war, landete am Samstagnachmittag nach seiner Auslieferun ...
Ioannis Lagos 2021 bei seiner Auslieferung nach Belgien.Bild: imago images / Tatiana Bolari / ANE Edition

In dieser Zeit bat er auf der Plattform X um Spenden, um seine Anwaltskosten zu decken.

In einer E-Mail, die "FragDenStaat" vorliegt, beschwerte sich Lagos über die Kürzung seiner Bezüge während der pandemiebedingten Aussetzung des Parlamentsbetriebs: "Es ist unfair, dass uns die uns zustehenden Tagegelder vorenthalten werden." Kurz darauf tauchte er wieder auf den Anwesenheitslisten des EU-Parlaments auf – und erhielt erneut seine Zulagen. Er nutzte die Monate, um laut eigenen Angaben ein "europäisches Land" zu suchen, das ihm Asyl gewähren würde.

Bis heute kaum Kontrolle über EU-Gelder

Der Fall zeige ein strukturelles Problem: Die Ausgaben europäischer Abgeordneter werden laut Recherche nicht extern kontrolliert. Über die Zahlungen wachen im Wesentlichen die eigenen Finanzabteilungen des Parlaments. Dort laufen laut internen Angaben monatlich rund 15.000 Reisekosten-Transaktionen auf. Das ist eine Menge, die gründliche Kontrollen kaum zulässt.

"Das Risiko ungerechtfertigter Zahlungen ist ein wiederkehrendes Risiko für die Finanzabteilung", räumte das Parlament bereits 2020 ein. Auch der Europäische Rechnungshof prüft die Ausgaben der Abgeordneten nur stichprobenartig. Im Jahr 2018 wurden zwischen acht und 25 Zahlungen kontrolliert, obwohl über 185.000 Transaktionen anfielen. Eine unabhängige Sonderprüfung hat es bislang laut der Recherche nie gegeben.

Trotz wiederholter Skandale, von unklaren Spesenabrechnungen bis hin zu Betrugsverdachtsfällen, bleibt es bei internen Prüfungen. "Öffentlich gewählte Vertreter, die öffentliche Mittel verwenden, sollten höchsten Standards der Rechenschaftspflicht unterliegen", heißt es im internen Journal des Europäischen Rechnungshofs von 2018. Doch das Parlament kontrolliert sich im Wesentlichen selbst.

Der Fall Lagos zeigt, wie weit diese Standards von der Realität entfernt sind. Während ein verurteilter Neonazi ungehindert weiter öffentliche Gelder erhielt, bleibt das System, das das ermöglichen konnte, bis heute undurchsichtig.

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