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Fall Lübcke: So real ist die Bedrohung durch rechtsextremen Terrorismus

Rechtsterroristische Strukturen sind eine Bedrohung – und reichen teilweise bis in die Sicherheitsbehörden hinein. (Symbolbild)
Rechtsterroristische Strukturen sind eine Bedrohung – und reichen teilweise bis in die Sicherheitsbehörden hinein. (Symbolbild)Bild: imago images/becker&bredel/montage: watson
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Nach dem Fall Lübcke: So real ist die Bedrohung durch rechtsextremen Terrorismus

17.06.2019, 16:5117.06.2019, 17:00
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Im Fall des erschossenen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Polizei am Wochenende einen Tatverdächtigen festgenommen. Bei dem 45-Jährigen handelt es sich um einen einschlägig vorbestraften Kasseler Neonazi: Schon 1993 soll Stephan E. an einem Rohrbombenanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft beteiligt gewesen sein. 2009 soll er außerdem gemeinsam mit mehreren Hundert weiteren Neonazis an einem Überfall auf eine DGB-Demonstration in Dortmund teilgenommen haben.

Es sind noch nicht alle Hintergründe der Tat bekannt. Ob Stephan E. alleine gehandelt hat oder Mittäter hatte zum Beispiel. Die Bundesanwaltschaft erklärte am Montagnachmittag, dass sie der Frage nachgehe. Bislang gebe es keine Hinweise auf eine "Einbindung in eine rechtsterroristische Vereinigung".

Klar ist aber: Die Bedrohung durch rechten Terror in Deutschland ist groß. Und die Sicherheitsbehörden tun nicht immer genug, um mögliche Opfer zu schützen.

Die NSU-Morde

Der Schock war groß, als der NSU sich im Jahr 2011 selbst enttarnte. Die drei Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hatten von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet – neun Männer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Antifaschistische Initiativen und Szenekenner hatten seit Jahren vor der Gefahr durch rechtsextreme Gewalt gewarnt – die von Sicherheitsbehörden immer wieder klein geredet wurde. Vor allem migrantische Initiativen hatten außerdem früh Neonazis als Täter der Mordserie vermutet. Vom Ausmaß der Taten des NSU waren jedoch selbst viele Experten überrascht.

Demonstration im Gedenken an die Opfer des NSU in Dortmund.
Demonstration im Gedenken an die Opfer des NSU in Dortmund.Bild: imago images / Anja Cord

Das Thema war nun auf der Tagesordnung. Neonazis hatten gemordet, hatten Sprengstoffanschläge verübt. Unterstützt wurden sie dabei von einem Netzwerk Gleichgesinnter. Möglich war all das nur, weil Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste ihre Arbeit über Jahre hinweg nicht richtig gemacht hatten. Die Polizei machte die Angehörigen der Erschossenen vielfach zu Verdächtigen. Die Rolle des Verfassungsschutzes ist mit dem Wort Behördenversagen noch vorsichtig umschrieben.

Rechter Terror ist kein Einzelfall

Die Bedrohung durch rechtsextremen Terror ist in Deutschland seitdem nicht gesunken. Mehrere Fälle aus der letzten Zeit zeigen, dass rechtsterroristische Netzwerke bis in Polizeibehörden und die Bundeswehr hineinreichen.

SEK-Beamte horteten Munition für den "Tag X"

Erst in der vergangenen Woche nahm die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern einen ehemaligen und drei aktive SEK-Beamte fest. Drei der Männer sollen Munition aus LKA-Beständen gestohlen und an den vierten Beschuldigten weitergegeben haben. Dieser vierte Mann habe Kontakt "zu Personen aus der sogenannten Prepper-Szene", wie die Staatsanwaltschaft Schwerin mitteilte.

Die Hausdurchsuchungen und anschließenden Verhaftungen der Polizisten waren Teil von Ermittlungen, die schon seit 2017 gegen die rechtsextreme "Prepper"-Gruppe "Nordkreuz" laufen. Deren Mitglieder hatten sich auf einen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung vorbereitet und wollten in diesem Fall an einem "Tag X" linke Politiker und Aktivisten festsetzen und töten. Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat.

Das Hannibal-Netzwerk

Die Gruppe "Nordkreuz" ist nur ein Teil eines bundesweiten Netzwerks von Rechtsextremen, die sich auf einen gewaltsamen Umsturz vorbereiteten – und zum großen Teil in Sicherheitsbehörden oder dem Militär arbeiten. Unter dem Namen "Hannibal" wurde dieses Netzwerk maßgeblich durch Recherchen der "taz" der Öffentlichkeit bekannt.

Im Zentrum des Netzwerks stand André S., ehemaliger Soldat des Kommando Spezialkräfte, einer Elitetruppe der Bundeswehr. Er war Administrator mehrerer "Prepper"-Chatgruppen. Zu einer dieser Gruppen gehörte auch Franco A., der Soldat, der sich eine Tarnidentität als syrischer Flüchtling zulegte, im Wiener Flughafen eine Pistole versteckte und gegen den die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelte.

Rechtsextreme Drohbriefe

Der Lübecker Hauptbahnhof, das Gelsenkirchener Finanzamt und mehrere Gerichte mussten seit Dezember 2018 wegen Bombendrohungen geräumt werden. Hinter den Drohungen steckten Täter, die sich in Droh-Emails, die auch an Politiker, Journalistinnen und zivilgesellschaftliche Gruppen verschickt wurden, unter anderem als "Wehrmacht" und "Nationalsozialistische Offensive" bezeichneten.

Polizisten sperren nach einer Bombendrohung im März 2019 das Chemnitzer Rathaus ab.
Polizisten sperren nach einer Bombendrohung im März 2019 das Chemnitzer Rathaus ab.Bild: imago images/hertel

Ein Tatverdächtiger wurde im April festgenommen. Zunächst wurde angenommen, dass die Bedrohungsserie damit beendet sei. Dann wurden jedoch erneut Droh-Emails verschickt. Unter anderem die Amadeu-Antonio-Stiftung erhielt nach der Festnahme weitere Drohungen.

Der Christchurch-Anschlag

Wie groß die Bedrohung durch rechtsextremen Terrorismus international ist, zeigte der Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch am 15. März. Der Täter erschoss 51 Menschen und streamte seine Tat live auf Facebook. Den Link zum Livestream und zu einem mehr als 70 Seiten langen Pamphlet postete er kurz zuvor auf "8chan". Das Imageboard ist bei Rechtsextremen international beliebt. Dort werden nicht nur rassistische Memes verbreitet. Attentäter wie der Täter von Christchurch werden dort zu Helden und Vorbildern stilisiert.

Unterschätzen Behörden die Gefahr?

Über das Internet stehen potentielle Rechtsterroristen über Ländergrenzen hinweg in Kontakt und radikalisieren sich gegenseitig. David S., der 2016 in und an einem Münchner Einkaufszentrum neun Menschen erschoss, stand zuvor mit einem späteren amerikanischen Schul-Attentäter in Kontakt. Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb warnt in seinem Buch "Einsame Wölfe" vor der Gefahr durch rechtsterroristische Einzeltäter.

Im watson-Interview sagte er im vergangenen Jahr:

"[...] wenn sich die Gesellschaft weiter polarisiert, wenn der Verbalradikalismus sich weiter breitmacht und wenn die Migrations- und Flüchtlingsthematik weiter so aufgeladen ist wie derzeit, dann ist es relativ wahrscheinlich, dass die Zahl rechtsextremer Einzeltäter, die dagegen 'ein Zeichen setzen' wollen, größer wird."

Den Sicherheitsbehörden wirft Hartleb vor, diese Gefahr zu unterschätzen. Diese Sorge teilt er mit anderen Experten. Robert Lüdecke von der Amadeu-Antonio-Stiftung sagte watson im April: "Spätestens nach Christchurch sollten die Behörden umso mehr alarmiert sein. Jemand, der mit der rechten Szene sympathisiert und Waffen hortet, ist ein potentieller Rechtsterrorist." Zuvor hatte die Polizei bei einer Hausdurchsuchung in Hannover Waffen, Munition und Nazi-Devotionalien gefunden – konnte aber keine Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund erkennen. Kurz später musste die Behörde diese Einschätzung revidieren.

Rechtsextreme führen "Feindeslisten"

Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war durch seine Haltung zur Flüchtlingspolitik in das Visier von Rechtsextremen geraten. In den Sozialen Medien und auf rechtsextremen Websites wurde in den vergangenen Jahren mehrfach Lübckes Privatadresse veröffentlicht. Neben Massen an Hasskommentaren wurden dabei auch unverhohlene Mordaufrufe gepostet.

An der rechten Kampagne gegen Walter Lübcke beteiligte sich auch die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach. In Kommentaren unter Steinbachs Posts befanden sich noch bis vor kurzem Morddrohungen gegen Lübcke.

Die Hasskommentare und Mordaufrufe gegen Lübcke sind kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren wurden außerdem mehrfach von Rechtsextremen geführte "Feindeslisten" bekannt, auf denen die Namen von politischen Gegnern vermerkt sind. Darunter befinden sich unter anderem Politikerinnen, Aktivisten und Journalisten. Tagesschau.de berichtete im Juli 2018 von Listen mit mehr als 25.000 Namen, Telefonnummern und Adressen, die deutsche Sicherheitsbehörden seit 2011 gefunden haben.

Oft wissen Personen, die auf solchen Listen stehen, davon jedoch gar nichts – selbst wenn die Listen der Polizei bekannt sind. Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt kritisieren das schon seit Jahren. Franz Zobel, Vorstandsmitglied des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), sagt:

"Das BKA und die Landeskriminalämter müssen alle Einzelpersonen und Institutionen informieren, die auf Feindes- oder Todeslisten genannt werden."

Dann könnten die Betroffenen zumindest selber einschätzen, wie groß die Gefahr ist, und welche Schutzmaßnahmen sie treffen können. Für Zobel geht das Informieren Betroffener auch mit einem Ernstnehmen des Problems einher. Rechtsterrorismus sei "eine anhaltende Bedrohung für die gesamte Gesellschaft, insbesondere wenn sie verharmlost wird".

Zobel fordert deshalb: "Drohungen gegen Politiker, Journalisten, politisch engagierte Geflüchtete und Migranten und Menschen, die sich antifaschistisch engagieren, müssen endlich ernst genommen werden."

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