Die Union ist mit dem Bürger:innen-Geld, also dem Nachfolger von Hartz IV, unzufrieden. CDU-Chef Friedrich Merz machte erst kürzlich eine Kampfansage an die Ampel und Menschen im Leistungsbezug. Die Union will, sollte sie 2025 wieder in der Regierung sein, die neue Grundsicherung radikal reformieren.
Der Name soll weg, neue Sanktionen her. Merz und seine Partei werfen dabei mit (vermeintlichen) Fakten über das Bürger:innen-Geld und seine Bezieher:innen um sich. Was ist dran, an den Vorwürfen der Union? Die wichtigsten Fragen ums Bürger:innen-Geld klärt watson.
Etwa 5,5 Millionen Menschen in Deutschland beziehen Bürger:innen-Geld. Das sind etwa 6,5 Prozent der Einwohner:innen. Doch nicht alle sind arbeitslos oder -suchend. So waren im August 2023 rund 1,5 Millionen von ihnen Kinder unter 15 Jahren, die in Bürger:innen-Geld-Familien leben.
Bleiben also vier Millionen Erwachsene in Bezug. Diese Gruppe dröselt sich auf in Menschen, die arbeiten und trotzdem auf Bürger:innen-Geld angewiesen sind und in Menschen, die ausschließlich von der staatlichen Leistung leben. So sind etwa 20 Prozent der vier Millionen Beziehenden sogenannte Aufstocker:innen. Konkret handelt es sich dabei um knapp 800.000 Menschen.
40 Prozent der vier Millionen Erwachsenen können laut Informationen des Ministeriums für Arbeit und Soziales nicht oder nur bedingt arbeiten. Die Gründe sind vielfältig: Studium, Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder kurzfristige Arbeitsunfähigkeit. Summa summarum bleiben etwa 40 Prozent der vier Millionen übrig, die tatsächlich arbeiten können. Wie "Vorwärts" berichtet, befindet sich ein Teil der erwerbsfähigen Bürger:innen-Geld-Beziehenden, in arbeitspolitischen Maßnahmen. Also etwa Umschulungen, Coachings oder Weiterbildungen.
Zusammengefasst sind von den 5,5 Millionen Bürger:innen-Geld-Empfängern also:
Die Erhöhung der Regelbeträge des Bürger:innen-Geldes haben Anfang des Jahres für Diskussionen gesorgt. Der Vorwurf: Beziehende hätten so viel Geld nicht verdient, die Inflation sei außerdem gesunken.
Die sogenannte Fortschreibung des Bürger:innen-Geldes erfolgt laut Sozialministerium über zwei Schritte. So wird auf der einen Seite die Preisentwicklung, etwa von Lebensmitteln, in den Blick genommen. Auf der anderen Seite werde zudem die Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter beobachtet.
Die vergleichsweise starke Erhöhung 2024 (61 Euro für Alleinstehende) hängt mit den hohen Lebensmittelpreisen 2023 zusammen. Bei der Preisbetrachtung werden nämlich aktuelle Preisentwicklungen mit dem Vorgängerjahr (2022) verglichen. Sinken die Preise, könnte es demnach auch sein, dass das Bürger:innen-Geld wieder sinkt.
Willkürlich kommt die Erhöhung also nicht, in Anbetracht der hohen Lebensmittelpreise 2023 dürfte sie für viele Bürger:innen-Geld-Beziehende auch reichlich spät kommen. Wir erinnern uns: Durch die Energiekrise und die hohe Teuerungsrate sind auch die Lebensmittelpreise im vergangenen Jahr stark gestiegen. Einrichtungen wie etwa die Tafel mussten Stopps verhängen, weil sie der Nachfrage nicht gewachsen waren.
Wie der Paritätische Wohlfahrtsverband errechnet hat, bräuchte es für eine armutsfeste Absicherung mindestens 725 Euro – das Bürger:innen-Geld ist aus Sicht des Verbandes demnach immer noch zu niedrig. Seit dem ersten Januar erhalten Alleinstehende 563 Euro. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren erhalten 471 Euro. Kinder zwischen sechs bis 13 Jahren bekommen 390 Euro gezahlt und Kinder unter fünf Jahren 357 Euro.
Doch. Das ergeben mehrere Berechnungen, etwa die des Politikwissenschaftlers Eric Seils vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach hätten Alleinstehende, die in Vollzeit zum Mindestlohn arbeiten, ein um 532 Euro höheres Nettoeinkommen als Bürger:innen-Geld-Beziehende.
Eine vierköpfige Familie, bei der ein Elternteil zum Mindestlohn arbeitet und der andere nicht erwerbstätig ist, habe zwischen 412 Euro bis 640 Euro mehr, als eine vierköpfige Familie im Bezug. Auch bei anderen Haushaltskonstellationen hat sich in der Berechnung ergeben, dass sich Arbeit – auch auf Mindestlohnniveau – im Vergleich zum Bürger:innengeld monetär auszahlt.
Für die Berechnung wurden laut WSI Daten des Statistischen Bundesamts und der Bundesagentur für Arbeit zu monatlichen Arbeitszeiten und durchschnittlichen Kosten der Unterkunft im Bürgergeld kalkuliert. Einbezogen wurden zudem alle Steuer- und Abgabenzahlungen sowie Sozialleistungen, die Menschen in der jeweiligen Haushaltskonstellation erhalten.
Durch die Sozialleistungen abseits des Bürger:innen-Geldes, haben auch Geringverdiener:innen die Möglichkeit, auf Hilfe vom Staat zurückzugreifen. Sie können zum Beispiel Wohngeld und Kinderzuschläge beantragen oder bekommen die Möglichkeit, in preisgünstigeren Sozialwohnungen zu leben.
Und auch die sogenannten Aufstocker:innen haben am Ende des Monats mehr Geld zur Verfügung, als Menschen, die nicht arbeiten. Denn durch das Bürger:innen-Geld wurden die Freibetragsgrenzen etwas nach oben korrigiert. Das heißt, das Bürger:innen-Geld wird bis zu einem gewissen Gehaltsbetrag weniger stark gekürzt, als es unter dem Vorgängermodell Hartz IV noch der Fall war.
Bürger:innen-Geld ist aus Sicht von CDU-Chef Friedrich Merz der erste Schritt hin zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ein Konzept, das die Union – natürlich – "klar" ablehnt. Bedingungslos ist das Bürger:innen-Geld allerdings keineswegs. Und auch sonst hat die staatliche Unterstützung wenig mit dem Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens zu tun, das regelmäßig gefordert wird.
Wer berechtigt ist, Bürger:innen-Geld zu beziehen, erhält zunächst den Regelsatz. Zusätzlich werden die Kosten für die Unterkunft bezahlt, sofern diese den Ansprüchen des Amts gerecht wird: Dabei zählen sowohl die Höhe der Miete, als auch die Größe der Wohnung. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bekommen darüber hinaus Zugang zu Leistungen für Bildung und Teilhabe – etwa Unterstützung bei Klassenfahrten.
Eine Grundsicherung also, die es Menschen ohne Arbeit oder mit einem zu geringen Einkommen ermöglichen soll, dennoch Teil der Gesellschaft zu sein. In der Realität sieht das oft anders aus: Die Grundsicherung reicht vielen Betroffenen nicht, um bis zum Ende des Monats gut über die Runden zu kommen. Stattdessen berichten Armutsbetroffene regelmäßig, jeden Cent zweimal umdrehen zu müssen. Spontane Ausgaben seien kaum möglich, nicht wenige verlassen sich beim Lebensmitteleinkauf auf die Tafeln.
Bedingungslos ist das Bürger:innen-Geld auch nicht: Nach wie vor können Leistungsbezieher:innen sanktioniert werden, sollten sie ihren Pflichten nicht nachkommen. Eine Nachschärfung des Gesetzes sieht nun vor, dass Beziehenden bis zu zwei Monate die Leistungen gekürzt werden können. Und zwar dann, wenn sie zumutbare Arbeitsangebote ablehnen, obwohl ihnen die Erwerbstätigkeit möglich ist.
Was laut "Vorwärts" anders als bei Hartz IV nicht mehr geht: Streichung von Bezügen, weil Menschen Meldefristen versäumt oder Fortbildungsangebote abgelehnt haben. In Fällen von psychischen Erkrankungen dürfe das Bürger:innen-Geld ebenfalls nicht gestrichen werden. Das Jobcenter muss zudem weiterhin für die Miete der sanktionierten Menschen aufkommen.
Die Erwerbslosen-Quote ist seit der Einführung des Bürger:innen-Geldes nicht signifikant gestiegen. Vielmehr liegt die Arbeitslosenquote mit zwischen fünf und sechs Prozent nach wie vor historisch tief.