Im Bundestag läuft die Generaldebatte zum Abschluss der Haushaltswoche. Die Parteien liefern sich seit 9 Uhr am Morgen einen Schlagabtausch um die Regierungspolitik. Zentrales Thema sind die Krawalle in Chemnitz und die Aussagen des Verfassungschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen über die Echtheit gewisser Video-Szenen.
Mehrere Oppositionspolitiker forderten Merkel im Vorfeld auf, sich zu den jüngsten Kontroversen um Maaßen und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zu positionieren. Anlass für den traditionellen Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition ist die Diskussion über den Etat des Bundeskanzleramts.
Die Debatte wurde hitzig geführt. Während der Rede des SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs verließ die AfD-Fraktion kurzzeitig geschlossen den Saal. Der SPD-Mann hatte vorher in Richtung der AfD gesagt: "Rechtsradikale sind nicht nur ein Problem, sie sind unappetitlich." Und weiter: "Hass macht hässlich, schauen Sie mal in den Spiegel (...) dann sehen sie, was die Republik in den 20ern und 30ern ins Elend geführt hat."
"Die Wahrheit ist: Es hat in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben. Und so widerlich Hitler-Grüße sind: Das wirklich schlimme Ereignis war die Bluttat zweier Asylbewerber."
"Frau Merkel, Sie nannten das Zusammenrottung", sagte Gauland an die Kanzlerin gewandt. Sie habe damit die Demonstrationen im "Duktus eines totalitären Staates" kritisiert.
"Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben." Gauland reduziere komplexe Sachverhalte auf ein einziges Thema, bezogen auf die Minderheit der Migranten. Er gehöre auf den "Misthaufen" der deutschen Geschichte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte, das sei der fünfte Haushalt in Folge ohne neue Schulden. "Das ist eine gute Nachricht für die junge Generation." Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen sei auf einem sehr niedrigen Niveau, und im Herbst würden voraussichtlich erstmals über 45 Millionen Menschen erwerbstätig sein. "Wir können alle gemeinsam stolz auf diese Erfolge sein."
Die Bewältigung der Zuwanderung entscheide über den Zusammenhalt oder Zerfall Europas:
"Diese Herausforderung erscheint mir jedenfalls noch weitaus größer als Frage für den Zusammenhalt der EU als was wir in der Eurozeit erlebt haben."
Auch die Europawahl 2019 werde von der Frage geprägt sein, ob es den Gegnern gelinge, Europa zu zerstören. "Wenn Europa einfach sagt, wir schaffen uns ab, dann wird das schief gehen", sagte Merkel. Deutschland könne nur in einem funktionierenden Europa stark sein. "Es ist in unserem Interesse, für ein starkes Europa zu sorgen."
Die Kanzlerin sagte, sie verstehe und teile die Empörung über den Tod eines Menschen, doch dies könne keine Entschuldigung für "menschenverachtende Demonstrationen" sein. Es gebe weder eine Entschuldigung noch eine Begründung für "Hetze", "Naziparolen" und Übergriffe auf Menschen, "die anders aussehen."
Merkel sagte mit Blick auf Chemnitz und andere Orte, es habe zuletzt mehrfach "schwere Straftaten" gegeben, bei denen die mutmaßlichen Täter Asylsuchende waren. Das mache sie "betroffen".
Sie könne es verstehen, wenn es die Menschen aufwühle, dass in Chemnitz ein Ausreisepflichtiger unter den Tatverdächtigen sei, sagte Merkel. In diesem Bereich müssten "Missstände" behoben werden. Daran arbeite die Regierung "mit aller Entschiedenheit".
Merkel betonte:
"Juden und Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten zu unserer Gesellschaft. Es gelten bei uns Regeln, und diese Regeln können nicht durch Emotionen ersetzt werden. Das ist das Wesen des Rechtsstaats."
Die Mehrheit der Menschen in Deutschland arbeite für ein gutes und tolerantes Miteinander, sagte Merkel weiter.
Eine Beteiligung der Bundeswehr im Syrien-Konflikt schloss Merkel erneut nicht aus. "Von vornherein einfach 'nein' zu sagen, egal was auf der Welt passiert, das kann nicht unsere Haltung sein." Die kategorische Absage des Koalitionspartners SPD an ein mögliches Eingreifen der Bundeswehr in den Syrien-Krieg kritisierte Merkel scharf.
"Einfach zu behaupten, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, das kann auch nicht die Antwort sein." Während CDU und CSU dies stark beklatschten, herrschte bei der SPD Schweigen, SPD-Partei und Fraktionschefin Andrea Nahles schaute demonstrativ auf ihr Handy.
Christian Lindner hat der Regierungskoalition Untätigkeit vorgeworfen. Der vorgelegte Bundeshaushalt sei "ein Haushalt der fahrlässig verweigerten Gestaltung." Und weiter: "Niemals wäre es leichter, dass sich unser Land neu erfindet. Nichts aber passiert."
Lindner sagte, die Bundesregierung hätte "unnötige Staatsbeteiligungen", wie die an der Deutschen Telekom, auflösen können. Dies hätte den Weg für den Abbau alter Schulden, dringend nötige Investitionen in die Digitalisierung oder das vollständige Entfallen des Solidaritätszuschlags ab 2021 ermöglicht, sagte Lindner. So sei aber ein "Haushalt der verpassten Chancen" vorgelegt worden.
Die FDP hat die anderen Parteien zur Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik aufgerufen, um der Politik der AfD zu begegnen. Lindner forderte einen Migrations- und Integrationskonsens in Bundestag und Bundesrat. Dafür müssten sich die "staatstragenden Parteien der Mitte" zusammentun. "Das wäre das Mittel, um die da kleinzumachen", sagte Lindner mit Blick auf die AfD-Fraktion.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warf er vor, er habe "pauschal Migration zu einem Problem" erklärt. "Das Problem ist das Management der Migration, für das ihre Partei seit fünf Jahren Mitverantwortung trägt", sagte Lindner.
Mit Blick auf Olaf Scholz, Finanzminister: "Die Menschen lassen sich nicht mit Sozialleistungen kaufen, Herr Scholz."
Andrea Nahles bekräftigte ihr Nein zu einer militärischen Beteiligung Deutschlands im Fall eines Vergeltungsschlages nach einem Giftgas-Einsatz in Syrien.
Nahles sagte:
"Das Völkerrecht kennt aus gutem Grund kein Recht auf militärische Vergeltung und schon gar nicht durch einen Staat oder durch eine irgendwie zusammengestellte Koalition".
Nur die Vereinten Nationen könnten die internationale Gemeinschaft ermächtigen, auch militärisch zu handeln. "Solange dies nicht geschieht, können wir Sozialdemokraten keinem gewaltsamen Eingriff in Syrien zustimmen."
Mit Blick auf die AfD sagte sie: "Sie marschieren Seit' an Seit' mit Neonazis und verhöhnen unser Land und unsere Werte. Ihre Maske ist gefallen."
(pb/dpa/rtr)