Die AfD will ein linksextremistisches Netzwerk in einer Hamburger Schule aufgedeckt haben. Die Schule ist fassungslos und wehrt sich gegen die Vorwürfe, Schüler und Lehrer würden eine vermeintliche "Antifa Area" dulden.
Eine Geschichte darüber, wie die AfD wirklich "wirkt".
Die Geschichte beginnt, so erzählt es die AfD, mit einer Mitteilung über das Meldeportal der Hamburger AfD-Fraktion. Die hatte im September des vergangenen Jahres eine Seite freigeschaltet, auf der sie Schüler und Lehrer dazu aufruft, "Verstöße gegen das Neutralitätsgebot" an Schulen zu melden. Kritiker sehen darin eine Denunziationsplattform. Schulsenator Ties Rabe (SPD) sagte noch im September: "Hier werden Kinder zu Denunzianten gemacht und einseitig für Anliegen der AfD instrumentalisiert."
Über dieses Portal will die AfD Hinweise erhalten haben, dass in der Hamburger Ida-Ehre-Schule linksextremistische Kräfte ihr Unwesen treiben. "Die AfD-Bürgerschaftsfraktion hat von verschiedenen Personen über das Informationsportal 'Neutrale Schulen Hamburg' konkrete Hinweise auf Aktivitäten einer verfassungsfeindlichen linksextremistischen Antifa-Gruppierung an der Ida Ehre Schule (IES) erhalten." So steht es in der "Kleinen Anfrage", die die AfD-Hamburg daraufhin Anfang März in der Hamburger Bürgerschaft stellt.
Zur Beweisführung sind der Anfrage Bilder von Antifa-Aufklebern auf Pinnwänden und Türen in der Hamburger Schule beigelegt. Hinweisgeber, so die AfD, hätten übereinstimmend über einen wachsenden und immer offeneren Einfluss der linksextremistischen Antifa-Gruppe 'Antifa Altona Ost' berichtet. Diese werde von einem Teil der Schüler unterstützt und von den Lehrern geduldet. Besonders auf eine Klasse würden sich die Aktivitäten konzentrieren. Es sei sogar eine "Antifa Area" eingerichtet worden, auf der "einschlägiges linksextremistisches Propagandamaterial" ausgestellt werde.
Tatsächlich wird nach der AfD-Anfrage die Hamburger Schulbehörde aktiv. In den Märzferien wird eine Begehung der Schule angeordnet. In der Antwort des Senats auf die "Kleine Anfrage" der AfD heißt es: "Die zuständige Schulaufsicht hat eine Begehung des Schulgebäudes Lehmweg 14 durchgeführt. Die genannten Plakate wurden nicht vorgefunden. Die Schulaufsicht hat die Hausverwaltung beauftragt, die genannten Aufkleber im Klassenraum und hinter der Eingangstür zu entfernen beziehungsweise die Wandaufschrift zu übermalen und hat sich von der unverzüglichen Aufnahme dieser Arbeit überzeugt."
Bei dieser "Begehung" wird das Kürzel "A.C.A.B." ("All Cops are Bastards") übermalt und der Sticker der "Antifa Altona Ost" von einer Pinnwand entfernt.
Die AfD feiert das als Erfolg. Es sei "ein linksextremistisches Netzwerk an einer Hamburger Stadtteilschule aufgedeckt" worden.
Die Empörung im Netz über die angeblich linksextremistische Keimzelle in einer Hamburger Schule ist groß, die AfD verkauft ihr Meldeportal als investigativen Gefahrenmelder und das "Hamburger Abendblatt" springt auf: "Linksradikale betreiben ungestört Propaganda an Schule".
Dann melden sich Schüler und Schule selbst zu Wort.
Eine Schülerin der Klasse, die von der AfD in der Senatsanfrage besondere Erwähnung findet, erzählt am Mittwoch eine ganz andere Geschichte. Die "Mopo" hat ihre Stellungnahme im Wortlaut übernommen. Die Schülerin schreibt von einem Missverständnis. Die besagte Pinnwand in der mutmaßlichen "Antifa Area" sei als "Meinungswand" gedacht gewesen, die Schüler auch über extremes Denken miteinander ins Gespräch bringen sollte. "Der verantwortliche Lehrer hatte damit ein Projekt geplant, bei dem über das Aufkleben ALLER MÖGLICHEN Sticker einzelne Interessen gesammelt werden sollten, um darüber Parteiprofile zu ermitteln." Keinesfalls seien Schüler für politische Meinungen rekrutiert worden.
Das sieht auch die Schule so, die in den vergangenen Tagen durch die angebliche "Antifa Area" in die Schlagzeilen geraten war. In einer Stellungnahme erklärte sie, die Aufklebersammlung sei im Rahmen eines Projektvorhabens des Oberstufenprofils "Sich Einmischen – Kunst als kulturelle Kompetenz" entstanden. Die Unterrichtsplanung habe vorgesehen, nach den Frühjahrsferien im Rahmen des Themas "Europawahl – um welche Inhalte geht es eigentlich?" auch die Inhalte der "Wand" recherchieren zu lassen und zur Diskussion zu stellen.
Entsetzt sei man von Seiten der Schulleitung über den medialen Umgang. Es sei von Teilen der Presselandschaft die Sichtweise der AFD-Fraktion übernommen worden, ohne dass die betroffene Schule die Zeit hatte, faktenbasiert zu antworten.
Die Schüler seien in der Presse kriminalisiert und Lehrer entweder als naiv oder linksextrem bezeichnet worden. "Wir verwahren uns gegen derartige Darstellungen und halten fest, dass wir als Schulleitung stolz sind, Teil einer politischen, antifaschistischen Schulgemeinschaft zu sein."
Rückendeckung bekommen Schüler und Schule auch von Anna Gallina und Emilia Fester von den Hamburger Grünen. Sie kritisieren das Vorgehen der Behörden scharf. "Aus Aufklebern an der Schule abzuleiten, hier dürfe ungestört extremistisches Gedankengut verbreitet werden, ist absurd und völlig überzogen." Durch die aktuelle Empörungswelle laufe man Gefahr, sich "von irgendeiner rechten Partei den Diskurs diktieren zu lassen und ihr Denunziationsportal gesellschaftsfähig zu machen."
Insofern ist die Geschichte weniger eine Geschichte über eine Schule in Hamburg, in der Schüler und Lehrer durch eine Nähe zur Antifa auffallen. Vielmehr erzählt sie etwas darüber, wie es die AfD schafft, ihre Themen zu setzen und eine Welle der Empörung loszutreten. Was mit "Hinweisen" auf einem AfD-Petz-Portal begonnen hat, wurde über die Politik in die Behörden und schließlich in die Medien getragen.