Bei den Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg sind nach aktuellem Stand acht Menschen tödlich verletzt worden.Bild: imago / Hanno Bode
Deutschland
10.03.2023, 18:3610.03.2023, 18:47
Sie kamen zusammen, um in der Bibel zu lesen, wollten ihren Glauben ausüben. Sie gingen in ihr Gotteshaus – einige von ihnen verließen es nie wieder. Acht Menschen haben am Donnerstagabend ihr Leben verloren – darunter auch ein ungeborenes Kind. Die Mutter überlebte den Amoklauf in einem Gebäude der Zeugen Jehovas schwer verletzt. Auch der Täter ist unter den Toten.
Ein Mann legt vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf Blumen nieder.Bild: dpa / Georg Wendt
Laut Polizeiermittlungen handelt es sich dabei um Philipp F., ein früheres Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Der 35-Jährige habe laut Berichten eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, vor allem gegen die Zeugen Jehovas gehegt. Nun hat er mehrere von ihnen mit sich in den Tod gerissen. Die ganze Glaubensgemeinschaft steht unter Schock, meint Luis Miraldo im Gespräch mit watson.
Zeugen Jehova Mitglied warnt vor Spekulationen über den Täter
Miraldo ist eigenen Angaben zufolge seit 1996 Mitglied der Zeugen Jehovas. Und offenbar wollte er seinen Augen nicht trauen, als er von dem Amoklauf las: "Als ich es gestern in den Nachrichten las, habe ich es für fake gehalten", meint er. Das Geschehen in Hamburg erschüttere ihn. Er denke viel an seine "betroffenen Glaubensbrüder".
Spurensicherung am Tatort: Die Ermittlungen sind in vollem Gange.Bild: imago / Eibner-Pressefoto/Marcel von Fehrn
Er warnt vor wilden Spekulationen über den Täter und seine Motive. "Was ihn angetrieben hat, werden wir wahrscheinlich nie genau erfahren", sagt der Zeuge Jehovas. Er selbst übt seinen Glauben leidenschaftlich aus, spricht offen darüber, meldet sich auf eine Anfrage von watson über Instagram innerhalb kurzer Zeit zurück.
Auf seinem Profil schreibt Miraldo etwa: "Die for your passion", also "stirb für deine Leidenschaft" – dahinter verlinkt er die Website der Zeugen Jehovas. Er wirkt wie ein lebensfroher Mensch. Zwischen Bildern von Katzenbabys, Autos und Natur findet man immer wieder den 54-Jährigen mit großer, schwarzer Brille und breitem Lachen abgebildet.
Ein Bild zeigt einen Anhänger. Darauf steht: "Ich aber und meine Hausgenossen, wir werden Jehova dienen." Ein Zitat aus der Bibel der Zeugen Jehovas: die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift.
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Für ihn sei die Tat des ehemaligen Mitglieds F. nicht nachvollziehbar. Er spricht am Telefon viel über die Inhalte seines Glaubens, schweift gern einmal ab. Erzählt von Vergebung. Von Unterstützung, die Menschen in seiner Religionsgemeinschaft bekämen.
Auch spricht er darüber, dass Menschen, die ausgeschlossen würden, wieder zurückkommen könnten, wenn sie wollten.
Die Zeugen Jehovas sind eine sehr fundamentalistisch geprägte Gemeinschaft. Verletzen Mitglieder die Regeln oder verhalten sich der Meinung der Gemeinschaft nach "unbiblisch", müssen sie mit einem Mitglied tiefgreifend über ihr Verhalten sprechen. Etwa, wenn sie eine sexuelle Beziehung mit einer Person außerhalb der Glaubensgemeinschaft haben. Und sie können für ihre Fehltritte bestraft werden – dazu gehört auch der Ausschluss.
Verlässt ein Mitglied die Gemeinschaft freiwillig oder wird ausgeschlossen, dürfen Familienmitglieder, die noch immer Teil der Gemeinde sind, keinen Kontakt mehr zu ihm oder ihr pflegen.
Doch laut Miraldo bekommen Menschen Unterstützung, wenn sie wieder aufgenommen werden wollen – etwa von den zuständigen "Ältesten".
Amoklauf schüchtert Zeugen Jehova nicht ein
Gräuel gegenüber dem Täter verspürt Miraldo nicht. Er sagt:
"Ich als Zeuge Jehovas spüre keinen Hass gegen diese Person – ob er nun Zeuge Jehovas war oder nicht – es gibt da keinen Unterschied. Die Tat an sich ist zu verurteilen."
Auch wenn er das Blutbad als besonders grausam bezeichnet, er fühlt sich damit nicht persönlich angegriffen. "Als Angriff gegen uns als Zeugen Jehovas sehe ich es nicht", meint er.
Ob der Amoklauf Miraldo Angst einflöße, in Zukunft öffentliche Veranstaltungen seiner Glaubensgemeinschaft zu besuchen, verneint er. "Alle unsere Zusammenkünfte sind öffentlich. Diesen Sonntag bin ich auf einem Kongress mit circa 700 Personen", sagt er.
Bei so manchen Themen machen die meisten einfach dicht, zu trocken, zu öde, zu technisch. Manche von ihnen schmecken nach Aktenstaub, riechen vielleicht auch etwas nach Tweed-Sakkos und Mottenkugeln. Das gilt etwa für Steuerfragen, die durchaus wichtig, aber eben nur schwer zu verkaufen sind. In eine ähnliche Kerbe schlagen die Sozialabgaben.