Am Dienstag haben die Regierungen von Bund und Ländern bestehende Einschränkungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie verlängert – und manche davon verschärft. Bis 14. Februar sollen Schulen und Kitas grundsätzlich geschlossen bleiben – wobei mehrere Bundesländer schon bekannt gegeben haben, dass sie davon gegebenenfalls abweichen. Arbeitgeber werden angehalten, ihre Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten zu lassen, sofern dagegen keine "zwingenden Gründe" sprechen – und im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften müssen künftig OP-Masken oder FFP2-Masken getragen werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist bei der Konferenz mit den Ministerpräsidenten offenbar sehr laut geworden. Laut Teilnehmern soll Merkel der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, auf deren Kritik entgegnet haben: "Das lasse ich mir nicht anhängen, Frau Schwesig, dass ich Kinder quäle und die Arbeitnehmerrechte missachte."
Am Donnerstag stellte sich die Kanzlerin nun Journalistinnen und Journalisten und beantwortete auch eine watson-Frage. Wir haben die Pressekonferenz begleitet.
Das Projekt Nord Stream 2 wird angesprochen. Merkel sagt, dass sich ihre Einstellung dazu nicht verändert habe. Man müsse besprechen, welche Wirtschaftsbeziehungen mit Russland im Gas-Bereich akzeptabel wären. Es werde dabei auch mit der Biden-Administration unterschiedliche Meinungen geben. Die Verhaftung Nawalnys könne für die Beziehungen zu Russland eine Rolle spielen.
Wer gibt vor, woran sich andere europäische Länder orientieren sollen, fragt eine Journalistin. Es gehe bei den Besprechungen mit anderen Ländern vor allem um die Frage, was in den Grenzregionen passiert, in denen es viele Pendler gibt, sagt Merkel. "Ich verlange von den Bürgern Deutschlands eine Menge", sagt sie. Wenn anderswo ganz anders gehandelt würde, könne sie daher nicht einfach zuschauen.
Angela Merkel beantwortet nun eine Frage von watson-Redakteur Sebastian Heinrich. "Viele junge Erwachsene trifft die Coronakrise besonders hart: Etwa, weil für Studenten Nebenjobs wegfallen, Auszubildende Angst um ihre Zukunft haben. Wie stellen Sie sicher, dass junge Menschen bei den Corona-Hilfen nicht durchs Raster fallen?", wollte watson von der Kanzlerin wissen.
"Für junge Erwachsene ist es die schwierigste Zeit. Man hat großen Bewegungsdrang, man will die Welt kennenlernen, man will raus, man will was erleben, man muss lernen, man muss sich auf den Beruf vorbereiten", sagt Merkel. "Wir haben versucht, durch die Unterstützung für Studierende und Kurzarbeitergeld, das ja auch für junge Erwachsene gilt, zu helfen. Wir bessern auch bei verschiedenen Programmen immer wieder nach", so Merkel. "Die Einschränkungen, die junge Erwachsene ertragen müssen, können wir nicht vollständig kompensieren." Das Wegfallen der ganzen 450-Euro-Jobs sei "schon eine schwere Sache" sagt Merkel und verweist auf ihre Gespräche mit Studenten zuletzt. Deswegen werde man hier weiter helfen, verspricht Merkel.
Das gemeinsame Ziel aller Staaten sei es, die Inzidenzwerte zu senken. Dafür habe sie auch Deutschlands Nachbarländer im Blick und würde sich mit den Regierungschefs besprechen. Wichtig sei es, für Pendler Testregime zu entwickeln. Der freie Warenverkehr sei unstrittig. Bei der heutigen Videokonferenz der EU Staats- und Regierungschefs erwarte sie keine endgültigen Ergebnisse, die Innenminister und Gesundheitsminister müssten im Anschluss nochmals gemeinsam reden. "Die Grenzkontrollen wären nur die Ultima Ratio", sagt sie.
"Wir müssen auch da wieder Prioritäten setzen", sagt Merkel im Bezug auf Öffnungen. Priorität haben ihrer Meinung nach Schulen und Kitas. Das sei politisch unstrittig. Danach gehe es um den Einzelhandel. Als Negativbeispiel nennt sie Großbritannien, dort seien nach den Öffnungen die Fallzahlen erneut extrem gestiegen.
Merkel wird gefragt, ob sie sich für die Impfstoffbeschaffung entschuldigen müsse. Sich gegenseitig bei der Beschaffung auszustechen sei nicht zielführend, sagt die Kanzlerin. Merkel verteidigt den europäischen Weg. Es gebe keinen Grund, Biontech zu kritisieren, die Wissenschaftler würden Tag und Nacht arbeiten. Der Biontech-Gründer habe im Januar 2020 seine gesamte Arbeit umgestellt, als er erkannt habe, dass eine Pandemie komme. "Davon profitieren wir heute. Was wollen jetzt noch rummeckern?" Weiter sagt sie im Hinblick auf die Pflegeheime: "Mir bricht das Herz wenn ich sehe wie viele Menschen in Einsamkeit gestorben sind". Für sie sei es richtig, dass ältere Menschen zuerst geimpft werden.
Ein Journalist fragt, ob Merkel es bedauere, dass die letzte Zeit schwieriger verlaufen ist, als sie sich das vorgestellt hatte. "Bedauern tue ich das nicht", sagt sie mit Blick auf ihre erneute Kandidatur 2017. Politik bestehe darin, dass man morgens nicht wisse, wie der Abend aussieht. "Das ist manchmal anstrengend, aber das ist auch das, was den Reiz ausmacht". "Das Wichtigste ist, sich nicht in der Politik auf den einmal gefundenen Pfad zurückzuziehen", erklärt sie. Man müsse immer auf die entsprechende Situation eingehen. "Die Corona-Pandemie hat auch Schwächen aufgezeigt, die wir eigentlich schon kannten", sagt sie und verweist etwa auf digitale Lernplattformen. Aktuell würde man ganz viel lernen. "Es ist eine sehr spannende Zeit, aber es ist fordernd", gibt sie zu.
Es gebe mit Präsident Biden einen viel breiteren Raum der politischen Übereinstimmung, sagt Merkel. Sie verweist auf seine ersten Exekutive Orders hinsichtlich WHO-Mitgliedschaft und Pariser Klimaabkommen. Dennoch sei klar, dass Europa auch unter einem Präsident Biden mehr Verantwortung übernehmen müsse. "Wir in Deutschland sind dazu bereit und die Europäische Union auch." Merkel weiter: "Die Zusammenarbeit beruht wieder auf einem breiteren Fundament gemeinsamer Überzeugungen."
"Dass wir am Tag der Zulassung bereits produzierte Impfstoffe haben, ist ein Novum. Das ging nur in einem guten Zusammenwirken von Staaten, Zulassungsbehörden und den Unternehmen", sagt Merkel "Wir tuen alles mögliche um zu unterstützen, dass die Impfstoffproduktion stattfinden kann", so Merkel. "Ich kann nicht garantieren, wie viele Menschen sich impfen lassen", sagt sie weiter. Davon hinge die Herdenimmunität ab. "Bis Ende des Sommers werden wir jedem Bürger ein Impfangebot gemacht haben", sagt Merkel - wenn Astrazeneca eine Zulassung bekomme und "sonst nichts passiert". "Ich kann garantieren, dass wir alles tun, um schnellstmöglich an die Impfstoffe zu kommen", verspricht die Kanzlerin.
Ein Journalist fragt, wie sich Laschet neben Kanzlerin Merkel überhaupt profilieren kann. Merkel sagt dazu, sie habe Laschet gratuliert. "Meine Amtszeit ist die dieser Legislaturperiode. Über die Frage, was passiert in den nächsten vier Jahren, entscheidet die CDU. An der Spitze steht Laschet gemeinsam mit CSU." Damit sei die Arbeitsteilung gegeben. "Diese Pandemie wird schwierige Spuren hinterlassen", so Merkel. Probleme sehe sie vor allem in Bezug auf Wirtschaft und Bildung.
"Wir haben eine Riesenaufgabe vor uns", sagt Merkel mit Blick auf die Impfsituation auf der ganzen Welt. Es gebe Länder, die gar keinen Impfstoff bisher hätten. Die Kanzlerin betont, dass auch in ärmeren Ländern schnell Impfstoff bereitgestellt werden müsse.
"Diese Pandemie ist eine Jahrhundertkatastrophe", sagt Merkel. Sie sieht riesige Herausforderungen für alle Menschen. Aber: "Wir haben jetzt schon Impfstoffe. Das ist ein riesen Erfolg für die Forschung. Da ist etwas ganz Wundervolles gelungen", so Merkel. "Wir sind dadurch doch in einer Lage, die uns deutlich unterscheidet von Pandemien von vor 100 Jahren".
Hätten die Ministerpräsidenten besser auf Merkel hören sollen, fragt ein Journalist. Die Kanzlerin verweist darauf, dass man die Entscheidungen gemeinsam getroffen habe. Sie schätze die Zusammenarbeit in der Runde, weil sie "Ergebnisse bringt, die am Schluss auch von allen getragen werden". Dass das nicht immer einfach sei, sei eben so in der Politik.
"Wir befinden uns in einer schwierigen Phase der Pandemie". Kanzlerin Merkel begründet damit, dass die Beratungen vorgezogen wurden. Sie spricht von einem "gespaltenen Bild". Auf der einen Seite gehen die Neuinfektionen zwar zurück und weniger Menschen müssen auf Intensivstationen behandelt werden. Auf der anderen Seite stehen aber die erschreckend hohen Todeszahlen. "Das sind Schicksale, das sind Familien, die trauern", so Merkel. Ohne Maßnahmen wäre es daher zu spät gewesen.
Als Gefahr drohe vor allem die Mutation des Virus. "Die bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das mutierte Virus deutlich ansteckender ist", sagt Merkel
"Wir müssen die Ausbreitung dieser Mutation verlangsamen", so Merkel weiter. Wenn man wartet, wäre es zu spät. Doch man könne eine Ausbreitung noch verhindern. "Es ist noch etwas Zeit, um der Gefahr, die in diesem mutierten Virus geht, vorzubeugen." Nur deswegen hätten Bund und Länder zusätzliche Maßnahmen beschlossen, erläutert Merkel.
"Wir handeln aus Vorsorge für unser Land", erklärt Merkel. "Alles dient dem Ziel, in diesem Jahr die Pandemie in den Griff zu bekommen und zu überwinden." Dann eröffnet sie die Fragerunde der Journalisten.
Die Teilnehmer an der Pressekonferenz warten noch auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gerade kommt sie im Zentrum von Berlin an.