Deutschland
10.08.2018, 12:5111.08.2018, 08:19
In Deutschland wird um das Kindergeld für Kinder im EU-Ausland gestritten. Die Bundesregierung will das System ändern, die EU-Kommission warnt vor Diskriminierung.
Ist es richtig, dass der deutsche Staat Kindergeld etwa nach Rumänien und Bulgarien schickt? Wie viele Betrugsfälle gibt es wirklich? Ist die große Aufregung gerechtfertigt?
11 Fragen und Antworten.
Wie viele Kinder beziehen Kindergeld in oder aus Deutschland?
Ende Juni waren es 15,29 Millionen. 12,27 Millionen dieser Kinder haben die deutsche Staatsbürgerschaft, rund drei Millionen sind Ausländer. Die allermeisten von ihnen leben in Deutschland. 268.336 Kinder beziehen im europäischen Ausland Kindergeld vom deutschen Staat. Darunter sind aber auch 31.512 Kinder mit deutschem Pass, etwa weil ihre Eltern für einen deutschen Arbeitgeber im Ausland arbeiten.
Woher stammen die meisten ausländischen Kinder?
Unter den EU-Ausländern, die Kindergeld aus oder in Deutschland bekommen, liegt Polen mit 277.551 Empfängern vorn, aus Rumänien sind es 138.217. Unter Kindern türkischer Herkunft sind es 587.393 Empfänger. 2017 flossen insgesamt 35,9 Milliarden Euro Kindergeld, davon 7,2 Milliarden Euro an Kinder ausländischer Herkunft.
Wie viel Kindergeld wird überhaupt gezahlt?
In Deutschland gibt es derzeit für das erste und zweite Kind jeweils 194 Euro im Monat. Für das dritte sind es 200 Euro, ab dem vierten Kind 225 Euro. Zum Vergleich: In Bulgarien gibt es rund 20, in Rumänien 18 bis 43 Euro im Monat.
Ist die Zahl ausländischer Empfänger angestiegen?
Ja. Seit Ende 2017 ist die Zahl der Kinder, die außerhalb Deutschlands in der EU oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben und Kindergeld aus Deutschland bekommen, um 10,4 Prozent gewachsen. Aber auch die Zahl der Empfänger im Inland steigt.
Woran liegt das?
Das hängt vor allem mit der europäischen Freizügigkeit zusammen. Auch werden immer mehr Fach- und Pflegekräfte aus anderen Ländern gebraucht. Und auch der Brexit, also der geplante EU-Austritt Großbritanniens, führt zu einer Verlagerung von Arbeitskräften Richtung Deutschland. Die Menschen zahlen dann hier Sozialbeiträge. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Osteuropa ist von 2015 bis 2017 um 295.000 auf knapp 1,2 Millionen gestiegen.
Warum dann die Aufregung?
Weil es gerade aus Rumänien und Bulgarien nach Meinung mehrerer Oberbürgermeister eine verstärkte Migration gibt, um Kindergeld zu kassieren. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) sieht Schlepper am Werk, die Menschen in schrottreifen Wohnungen unterbringen, ihnen eine Scheinbeschäftigung verschaffen und oft einen Teil der Kindergelder einkassieren. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, warnt vor Stimmungsmache und betont: "Die betroffenen Familien sind die Opfer von kriminellen Banden, deren Hintermänner in der Regel deutsche Staatsbürger sind."
Darum wirft der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma Duisburgs Oberbürgermeister Rassismus vor:
Ist Duisburg die einzige Stadt, die sich beschwert?
Nein. Auch der Deutsche Städtetag, in dem sich etwa 3400 Städte und Gemeinden zusammengeschlossen haben, fordert eine Veränderung. "Das System, das ist missbrauchsanfällig", sagte am Freitag der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Helmut Dedy, dem Deutschlandfunk. Es gehe ausdrücklich nicht darum, Menschen aus dem EU-Ausland, die in Deutschland arbeiteten, hier das Kindergeld zu verwehren. Sondern vielmehr um Fälle, in denen Menschen allein wegen des Kindergelds nach Deutschland kämen. Man müsse "die Frage stellen, ob das Kindergeldsystem in Europa nicht falsche Anreize setzt."
Dedy beteuerte mit Blick auf teils organisierte, gezielte Zuwanderung aus Südeuropa in einige deutsche Städte zur Erlangung von Sozialleistungen: "Wir haben keinen Generalverdacht gegen Menschen aus Rumänien oder Bulgarien." Wenn Menschen aber allein nach Deutschland kämen, um hier Kindergeld für ihre weiter in der Heimat lebenden Kinder zu erhalten, sei das ein Problem.
Wie gehen die Familienkassen gegen Betrüger vor?
Die Familienkassen wollen einem Medienbericht zufolge ab kommendem Jahr in allen deutschen Großstädten nach Kindergeld-Betrugsfällen fahnden. Es sollten Familien aufgespürt werden, die etwa mit gefälschten ausländischen Geburtsurkunden oder Pässen staatliche Leistungen für nicht existente Kinder kassieren, berichtet der "Spiegel" in seiner neuesten Ausgabe. Dabei sollten spezielle Computerprogramme eingesetzt und es soll mit dem Zoll, den Schulämtern, den Einwohnermeldeämtern, Steuerbehörden sowie ausländischen Sozialämtern zusammengearbeitet werden.
In Wuppertal und Düsseldorf seien kürzlich bei der Kontrolle von 100 Verdachtsfällen 40 ungerechtfertigte Anträge gefunden worden, sagte der Leiter der Familienkasse bei der Bundesagentur für Arbeit, Karsten Bunk, dem "Spiegel". Dadurch seien rund 400.000 Euro Kindergeld zu Unrecht ausgezahlt worden.
Ab 2019 sollen demnach in allen 14 regionalen Familienkassen in Deutschland je zwei Beschäftigte ausschließlich nach Missbrauchsfällen fahnden. Bunk forderte, die Datenschutzregelungen für den Informationsaustausch zwischen den betroffenen Behörden zu lockern.
Gibt es bundesweite Zahlen zum Missbrauch beim Kindergeld?
Nein. Auf eine AfD-Anfrage antwortete die Bundesregierung im März: "Die gewünschten Zahlen können nicht genannt werden, da eine Statistik über Missbrauchsfälle beim Kindergeld nicht existiert."
Was will die Bundesregierung tun?
Neben mehr Datenabgleich und dem Aufspüren von Betrug etwa durch gefälschte Geburtsurkunden für Kinder, die gar nicht existieren, will die Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Jahren die steigenden Kosten von mehreren hundert Millionen Euro im Jahr für im Ausland lebende Kinder dämpfen. Und zwar durch eine sogenannte Indexierung, also eine Zahlung, die sich an den Lebenshaltungskosten in dem jeweiligen Land orientiert. Österreich plant das in einem nationalen Alleingang.
Warum ist das umstritten?
Die EU-Kommission sieht dadurch einen Verstoß gegen das EU-weite Diskriminierungsverbot. "Wenn ein Arbeitnehmer in ein nationales Sozialversicherungssystem einzahlt, sollte er die gleichen Leistungen erhalten wie jeder andere, der einzahlt – unabhängig von seiner Nationalität und vom Wohnort seiner Kinder", sagt eine Sprecherin.
(fh/dpa/rtr)
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