Christian Drosten wurde während der Pandemie schnell zum bekanntesten Experten in Sachen Corona – deutschlandweit kannten plötzlich auch bis dahin ahnungslose Laien seinen Namen. In Hoch-Zeiten der Pandemie rissen sich Politiker, Medien und Bürger um seine Einschätzung. So war er als einer der führenden Virologen unter anderem Teil des Sachverständigenausschusses, der die Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus in Deutschland bewertet.
Die Betonung liegt hier auf dem Wörtchen "war": Am Mittwochnachmittag gab Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bekannt, dass der Virologe aus dem Sachverständigenausschuss austreten möchte. Dies verkündete Lauterbach auf Twitter: "Leider hat mir gerade Christian Drosten mitgeteilt, dass er die Auswertung des Infektionsschutzgesetzes für die Bundesregierung und das Parlament nicht weiter begleitet. Das ist ein schwerer Verlust, weil niemand könnte es besser."
In der Kommission sitzen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen, die bis zum 30. Juni einen Bericht zur Bewertung von Corona-Maßnahmen erarbeiten sollen. Das Gremium ist nicht zu verwechseln mit dem Expertenrat der Bundesregierung.
Blickt man auf Drostens Aussagen der vergangenen Wochen, lässt sich der Grund für den Rückzug erahnen. Das Problem: Die Evaluierung von Maßnahmen könne aufgrund der mangelnden Datenlage nicht aussagekräftig durchgeführt werden, so Drosten.
Der Virologe monierte dies bereits am 18. März. Auf Twitter postete er an diesem Tag ein Daten-Beispiel von Wissenschaftlern aus Katalonien und kommentierte: "Dieses Beispiel zeigt die derzeitige Unsicherheit in der Bewertung von Maßnahmen. Ein Preprint scheint zu sagen: 'Masken bringen nichts in Schulen'. Tatsächlicher werden aber Schulen mit Masken gegen Kitas ohne Masken verglichen. Man kann aus diesem Ansatz keine Aussage ableiten."
Drostens Rückzug waren wochenlange Diskussionen vorangegangen: Der Virologe hatte im März in einer internen Sitzung des Rats dafür plädiert, die einzelnen politischen Corona-Maßnahmen nicht zu evaluieren, da die Datenlage nicht ausreichend sei.
Gesundheitsminister Lauterbach hatte daraufhin am vergangenen Montag auf offiziellem Wege Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) informiert, dass der Rat diese Aufgabe vorerst nicht erledigen wolle. Diese Darstellung entspreche jedoch nicht der Wahrheit, berichtete die "Welt". Vielmehr sei die Mehrheit der Mitglieder von der Umsetzbarkeit des gesetzlichen Auftrags überzeugt. Drosten gehöre der Minderheit an.
Wenige Stunden vor Drostens Rückzug gab es eine Anfrage aus dem Büro von FDP-Vize Wolfgang Kubicki beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags. Kubicki wollte wissen, ob Wissenschaftler, die selbst an der Beratung zu den Corona-Maßnahmen beteiligt waren, nun auch an der Evaluierung dieser teilnehmen könnten.
In seiner Anfrage an den Bundestag bezieht sich Kubicki auf folgenden Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes: "Die Evaluation soll durch unabhängige Sachverständige erfolgen, die jeweils zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag benannt werden."
Damit spielt Kubicki mutmaßlich nicht nur auf Drosten, sondern auch auf den Bonner Virologen Hendrik Streeck an. Dieser war von Armin Laschet (CDU) in den "Expertenrat Corona" des Landes Nordrhein-Westfalen berufen worden. Beide Wissenschaftler gehören auch dem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ins Leben gerufenen Expertenrat der Bundesregierung an.
(ast)