Die "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" sollten eigentlich nie zu einem Buch werden. Der Philosoph Theodor W. Adorno hielt 1967 lediglich einen Vortrag mit diesem Titel, frei gesprochen, nur mit einigen handschriftlichen Notizen. Vor einer Gruppe sozialistischer Studenten in Wien erklärte Adorno damals das Wiedererstarken rechtsextremer Parteien und Bewegungen im Westdeutschland der Nachkriegszeit. Erst vier Jahre zuvor war die NPD gegründet worden, kurze Zeit später wurde sie in vier Landtage gewählt.
52 Jahre später steht der Text nun in deutschen Buchhandlungen und hält sich die zweite Woche in Folge auf der Spiegel-Bestsellerliste. Anhand einer Tonbandaufzeichnung hat der Suhrkamp-Verlag ein kleines Taschenbuch daraus gemacht.
Der Grund, weshalb sich nach mehr als fünf Jahrzehnten wieder Menschen für Adornos Worte über Rechtsradikalismus interessieren: Sie sind teilweise erschreckend aktuell. In seinem Nachwort schreibt der Historiker Volker Weiß, Adornos Ausführungen würden sich passagenweise wie ein Kommentar zu aktuellen Entwicklungen lesen.
Für Adorno war schon einige Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus klar, dass die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus in (West-)Deutschland weiter fortbestünden. Diese Voraussetzungen waren für Adorno vor allem wirtschaftliche. Das Kapital würde sich immer stärker konzentrieren, so Adorno. Das heißt: Immer größere Unternehmen gewinnen eine Monopolstellung und werden dadurch mächtiger. (Auch das bleibt bis heute richtig und aktuell.)
Die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg greift auch heute um sich – und beeinflusst das Wählerverhalten. Wer den Erfolg der AfD verstehen will, der kommt um diesen Punkt nicht herum. Etwa ein Viertel der Wahlberechtigten in Deutschland machte sich im Dezember 2016 große oder sehr große Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz. Fast die Hälfte sagte, dass die Aussage "Ich befürchte meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können" eher zutrifft.
Die Soziologin Bettina Kohlrausch kam in ihrer Forschung zu dem Ergebnis, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg bei AfD-Wählern am größten ist. Die Partei mache sich diese Ängste gezielt zu nutze.
Zum Werkzeugkasten rechtspopulistischer und -extremer Parteien und Bewegungen gehört es, Ängste vor einem Zusammenbruch der Gesellschaft zu schüren. "Wir müssen den Ausverkauf/Zusammenbruch der deutschen Sozialsysteme verhindern", schreibt etwa die AfD auf einer Website zum 2018 unterzeichneten UN-Migrationspakt. Ob durch Migration, die Ehe für Alle, Abtreibungen oder schweinefleischfreie Kindergärten, die AfD sieht Deutschland ständig bedroht – und bietet sich als Retter an.
Ein Extrembeispiel für den rechten Hang zum Untergangsszenario: Die rechtsextremen Prepper-Gruppen, deren Existenz in den vergangenen Jahren aufgedeckt wurde. Sie horten Lebensmittel, Survival-Equipment und Waffen, bereiten sich teilweise gar auf einen "Tag X" vor, an dem die staatliche Ordnung kollabieren soll. Mehrere dieser Gruppen haben Listen mit Politikern und anderen von ihnen identifizierten Feinden angelegt, die an einem solchen "Tag X" ermordet werden sollen.
Darüber konnte Adorno 1967 zwar noch nicht sprechen. Er beschrieb jedoch bereits die Beziehung der Rechtsradikalen seiner Zeit zu gesellschaftlichen Untergangsszenarien:
Die Rechtsradikalen würden eine Krise jedoch nicht bloß erwarten, sondern "in gewisser Weise die Katastrophe wollen", weil sie sich von Weltuntergangsszenarien nähren, so Theodor Adorno. Diese Analyse hat bis heute nicht an Richtigkeit verloren.
Auch auf diese Frage gab Adorno 1967 Antworten, die ebenso von heute stammen könnten:
Nachdem Adorno diese Worte gesprochen hatte, brauchte es noch viele Jahre, bis sich diese Einsicht weitestgehend durchgesetzt hat. Lange hat sich an vielen Orten die Überzeugung gehalten, man müsste Rechtsextreme einfach nicht beachten und die Fensterläden schließen, wenn sie aufmarschieren, dann würde das Problem schon von alleine wieder weggehen. Erfolgreich war diese Taktik noch nirgendwo.
Erfolgsversprechend im politischen Kampf gegen den Rechtsradikalismus hielt Adorno vielmehr die Kraft der Vernunft: