Opferberatungsstellen verzeichnen einen Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.Bild: IMAGO / STPP
Deutschland
21.05.2024, 12:3221.05.2024, 13:26
Rechte politische Mächte sind in den vergangenen Jahren immer stärker geworden – nicht nur in Deutschland, auch international. In Ländern wie Italien und Ungarn regieren Rechte bereits das Land, auch in den Niederlanden einigten sich rechte Parteien kürzlich auf eine Koalition.
Medien berichten derweil immer häufiger von rechtspolitisch motivierten Straftaten. Als im vergangenen Oktober der Krieg im Gazastreifen ausbrach, kam es hierzulande zu Konflikten zwischen den Lagern, die sich hinter Israel oder die Menschen in Palästina stellten. Menschen berichteten von gewaltvollen Vorfällen und Angst.
Rechte Gewalt, Rassismus und Antisemitismus nehmen zu
Wie die Opferberatungsstellen in Deutschland berichten, haben sie im vergangenen Jahr eine deutliche Zunahme rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt verzeichnet. Der Verband der Beratungsstellen (VBRG) registrierte für 2023 insgesamt 2589 derartige Angriffe – gut ein Fünftel mehr als im Vorjahr, wie aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbilanz hervorgeht.
In der Statistik sind allerdings nur elf von 16 Bundesländern berücksichtigt; nicht alle Länder stellten laut VBRG entsprechende Zahlen zur Verfügung.
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Die Beratungsstellen zeigten sich besorgt über die Entwicklung. "Der Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Jahr 2023 hat zu einer dramatischen Ausweitung der Gefahrenzonen für viele Menschen geführt", sagte VBRG-Vorstandsmitglied Judith Porath. "Eine vielerorts unerträgliche Normalisierung von Antisemitismus, Rassismus und extrem rechter Ideologien belastet und verändert den Alltag sehr vieler Betroffener."
Die Beratungseinrichtungen registrieren seit vielen Jahren rund ein Drittel mehr rechte Gewalttaten als die Strafverfolgungsbehörden und die Verfassungsschutzämter – die offizielle Statistik zur politisch motivierten Kriminalität stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wenige Stunden später am Dienstagnachmittag vor.
"Die politisch motivierte Kriminalität hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt und nimmt weiter zu."
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts
Auch nach Faeser Statistik hat die Zahl der polizeibekannten politisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht. Insgesamt wurden 60.028 Delikte erfasst, der Zuwachs gegenüber 2022 liegt bei weniger als zwei Prozent. In 3561 Fällen handelt es sich um Gewalttaten, knapp 12 Prozent weniger als 2022.
Judith Porat (VBRG) zeigt den starken Anstieg rechter Gewalt anhand eines Diagramms.Bild: IMAGO/Future Image
Den Löwenanteil der Straftaten machten mit einem Drittel Propagandadelikte aus, also zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es handelt sich bei der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität um eine Eingangsstatistik, das heißt, Taten werden dann erfasst, wenn sie der Polizei bekannt werden – es gibt also ein Dunkelfeld.
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, erklärte: "Die politisch motivierte Kriminalität hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt und nimmt weiter zu." In Teilen der Bevölkerung bestünden Radikalisierungstendenzen bis hin zur versuchten Delegitimierung des Staates und seines Gewaltmonopols. "Diese Entwicklung müssen wir sehr ernst nehmen, denn sie bedroht unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Frieden."
Der VBRG kritisierte für 2023 "erneut eine gravierende Untererfassung rechter Gewalt durch Strafverfolgungsbehörden – auch bei schweren Gewalttaten".
Von den 2589 politisch rechts motivierten Angriffen waren laut Opferberatungsstellen insgesamt 3384 Menschen betroffen. Rassismus sei bei mehr als der Hälfte der Fälle das dominante Tatmotiv gewesen. Bei antisemitisch motivierten Angriffen habe es einen "alarmierenden Anstieg" um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr gegeben.
Rechte Gewalt: Meiste Straftaten in Berlin und Sachsen-Anhalt
In die Jahresstatistik des Verbands flossen Angaben aus den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie aus Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ein. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern war demnach uneinheitlich, vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sei die rechte Gewalt 2023 deutlich gestiegen.
Gemessen an der Einwohnerzahl wurden die meisten rechten Gewalttaten in Berlin (8,20 pro 100.000 Einwohner), Sachsen-Anhalt (6,6 pro 100.000 Einwohner), Brandenburg und Hamburg (jeweils 5,2 pro 100.000 Einwohner) registriert. Die wenigsten Gewalttaten seien in Bayern (0,8 pro 100.000 Einwohner) und Baden-Württemberg (0,5 pro 100.000 Einwohner) registriert.
In den vergangenen Monaten demonstrierten Hunderttausende gegen Rechts.Bild: dpa / Christoph Reichwein
VBRG-Vorstandsmitglied Porath äußerte die Befürchtung, dass die Zahlen weiter steigen – insbesondere die Landtagswahlen dieses Jahres in drei ostdeutschen Bundesländern machen ihr "große Sorge", betonte sie. "Wir rechnen natürlich damit, dass die Zahlen leider sich weiter erhöhen werden." Sie erwarte, "dass der Anstieg flächendeckend sein wird und sich durch alle Phänomenbereiche ziehen wird".
Gedenkstätten-Chef wirft AfD Mitschuld an rechter Gewalt vor
Der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, warf der AfD bei der Vorstellung der Jahresstatistik vor, der rechten Gewalt den Boden zu bereiten. "Zur Verrohung der politischen Kultur trägt leider die AfD in Deutschland ganz wesentlich bei – und das nicht nur im Netz, sondern auch auf den Straßen", sagte Wagner.
In manchen Regionen habe die Partei bereits die "kulturelle Hegemonie" errungen, die Zivilgesellschaft werde eingeschüchtert, betonte Wagner. In dieser Atmosphäre würden Rechtsextremist:innen ermutigt, Gewalttaten zu begehen. "Hier darf eine wehrhafte Demokratie nicht tatenlos zusehen." Der Gedenkstättenleiter forderte Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung auf, ein Verbot der AfD zu prüfen: Seiner Meinung nach spreche viel für ein solches Verbot.
Porath forderte ein entschlosseneres Eintreten von Justiz- und Regierungsseite gegen rechts – und beklagte oftmals schleppende Gerichtsverfahren bei Fällen rechter Gewalt. "Allzu oft fühlen sich die Betroffenen von den Institutionen des Rechtsstaats im Stich gelassen", sagte sie. "Sie erleben eine große Diskrepanz zwischen den Versprechen der Politik und der Realität in den Ermittlungsverfahren."
(mit Material der dpa)
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