Unter anderem hatte die Kabarettistin Idil Baydar Drohschreiben mit dem Absender "NSU 2.0" erhalten.Bild: www.imago-images.de / bKlaus W. Schmidt
Deutschland
21.07.2020, 19:1521.07.2020, 19:16
Die Serie der rechtsextremen Drohschreiben an
Politikerinnen und andere Personen des öffentlichen Lebens ist
deutlich länger als bislang bekannt. Die Ermittler des hessischen
Landeskriminalamts (LKA) hätten Informationen über 69 Drohschreiben,
die mit dem Kürzel "NSU 2.0" versendet wurden, sagte Innenminister
Peter Beuth (CDU) am Dienstag im Innenausschuss des hessischen
Landtags in Wiesbaden. Diese richteten sich an 27 Personen und
Institutionen in insgesamt acht Bundesländern. Neun Personen wohnten
in Hessen.
Von diesen neun Personen aus dem Land würden fünf durch das
Gefährdungsmanagement des Landeskriminalamtes individuell betreut,
erklärte der Innenminister. Bei den vier weiteren Personen handele es
sich um Mitglieder von hessischen Justiz- und Sicherheitsbehörden.
Verschickt wurden die Schreiben nach Angaben Beuths fast immer von
einer gleichlautenden Absenderadresse. Überwiegend sei der Versand
per E-Mail, aber auch per Fax, SMS sowie über
Internetkontaktformulare erfolgt.
Die Ermittlungsbehörden hätten bei allen Schreiben geprüft, ob die
dort zum Teil verwendeten Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen
stammen könnten, erklärte der Minister. Das sei bei einem Großteil
der verwendeten Empfänger der Fall. Die Ermittlungen hätten auch
ergeben, dass in den Datensystemen der hessischen Polizei von drei
unterschiedlichen Rechnern die Daten von drei betroffenen
Adressatinnen abgefragt wurden. Daraus nähre sich der Verdacht, dass
in diesen drei Fällen Informationen aus hessischen Polizeisystemen in
Drohschreiben Verwendung gefunden haben.
Der hessische Innenminister Peter Beuth steht bei der Aufklärung der rechtsextremen Drohungen unter Zugzwang.Bild: www.imago-images.de / rheinmainfoto
Bisher habe ein zeitlicher, aber kein kausaler Zusammenhang belegt
werden können. Es lägen auch keine Hinweise auf weitere Abfragen
betroffener Personen von hessischen Polizeirechnern in diesem
Zusammenhang vor, sagte Beuth. Die hessischen Ermittlungsbehörden
ständen im engen Austausch mit den Bundesländern und dem
Bundeskriminalamt (BKA). Zudem sei bereits ein Rechtshilfeersuchen an
mehrere Staaten gerichtet worden.
Vor kurzem war bekanntgeworden, dass Linken-Politikerinnen mit "NSU
2.0" unterzeichnete Drohmails erhalten hatten. Weitere bekannte
Empfängerinnen von Drohmails waren die Kabarettistin Idil Baydar und
die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, die im Münchner Prozess
um die NSU-Morde Opferfamilien vertreten hatte. Die Bezeichnung "NSU
2.0" bezieht sich auf die Terrorgruppe NSU ("Nationalsozialistischer
Untergrund"), die zwischen 2000 und 2007 in Deutschland zehn Menschen
ermordete. Es handelte sich um acht türkischstämmige und einen
griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin.
Neue Serie von Morddrohungen in der Nacht zum Dienstag
Parallel zu der Sitzung wurde bekannt, dass in der Nacht zum Dienstag erneut mehrere Politiker und andere Persönlichkeiten Mails mit Morddrohungen erhalten hatten. In der Sammelmail, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden die Adressaten auf üble Weise beschimpft und mit dem Tode bedroht. Unterzeichnet ist die Mail mit "NSU 2.0" und "Der Führer".
Betroffen seien unter anderem Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die Linken-Vorsitzende Katja Kipping, Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die Abgeordneten Martina Renner (Linke) und Karamba Diaby (SPD) sowie die Staatssekretärin in der Berliner Senatskanzlei, Sawsan Chebli (SPD). Auch der "Welt"-Journalist Deniz Yücel, der Publizist und TV-Moderator Michel Friedmann und die frühere Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth seien Adressaten gewesen.
Ebenso sollen die türkeistämmige Autorin Sibel Schick und der Grünen-Politiker Volker Beck Drohschreiben mit einem entsprechenden Absender erhalten haben. Das teilten sie auf Twitter mit.
Gibt es ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei?
Über Basay-Yildiz, Baydar und die hessische Linken-Fraktionschefin
Janine Wissler waren zuvor persönliche Daten von Polizeicomputern in
Frankfurt und Wiesbaden abgerufen worden. Es gibt mittlerweile
bereits eine Serie von mit "NSU 2.0" unterzeichneten Schreiben. Es
ist aber nach Angaben der Frankfurter Staatsanwaltschaft nicht
geklärt, ob es sich bei allen Drohungen um denselben Absender
handelt. Die Schreiben einem Verfasser allein anhand eines
Sprachduktus zuzuordnen, sei sehr schwierig.
Der Innenminister hat einen Sonderermittler eingesetzt, der sich mit
weitreichenden Befugnissen federführend um die Aufklärung der
Vorkommnisse kümmern soll. Hanspeter Mener soll eng mit dem neuen
Landespolizeipräsidenten Roland Ullmann zusammenarbeiten, der erst
vor wenigen Tagen sein Amt angetreten hat. Der bisherige
Landespolizeipräsident Udo Münch musste seinen Hut nehmen, weil
Informationen über die Datenabfragen von den Polizeicomputern erst
mit Verzögerung die Ministeriumsspitze erreicht hatten.
Der Innenminister hatte nach Bekanntwerden einer neuen Abfrage von
einem Polizeicomputer zu persönlichen Daten der Opfer gesagt, er
schließe nicht mehr aus, dass es ein rechtes Netzwerk in der
hessischen Polizei geben könnte. Im Innenausschuss sagte Beuth, es
gebe jedoch bis heute keine Belege für ein solches Netzwerk.
(lau/dpa)
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