Einen Tag nach ihrer vieldiskutierten Erklärung zu einem vierwöchigen Familienurlaub im vergangenen Jahr ist Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurückgetreten.
Sie habe sich "aufgrund des politischen Drucks entschieden, das Amt der Bundesfamilienministerin zur Verfügung zu stellen", erklärte Spiegel am Montag in Berlin. Sie tue dies, "um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht". Die 41-Jährige war im Dezember als Ministerin der Ampel-Regierung vereidigt worden.
Vor allem aus der Union war die Kritik an Spiegel über das Wochenende lauter geworden. Zuvor war bekannt geworden, dass Spiegel als damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin zehn Tage nach der Hochwasserkatastrophe an der Ahr mit ihrer Familie einen vierwöchigen Urlaub in Frankreich angetreten hatte.
Spiegel hatte sich am Sonntag in einem TV-Statement zu diesem Urlaub geäußert. Sie bezeichnete den Urlaub dabei als Fehler und begründete ihre damalige Entscheidung als Ministerin für Klimaschutz und Umwelt in Rheinland-Pfalz unter anderem mit dem Gesundheitszustand ihres Mannes, der im März 2019 einen Schlaganfall erlitten hatte. Ihre Familie habe den Urlaub gebraucht, "weil mein Mann nicht mehr konnte", sagte die 41-Jährige, die angeschlagen wirkte und der während des Auftritts mehrfach die Stimme stockte. "Das war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefahren sind und ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung", sagte sie.
Die Ministerin hatte zudem angegeben, dass Corona für ihre Familie "eine wahnsinnige Herausforderung" gewesen sei. Die Pandemie habe ihre vier Kinder im Kita- und Grundschulalter "ganz klar mit Spuren versehen".
Kommunikationsexperte Johannes Hillje kritisierte nach dem emotionalen Auftritt die Pressestelle des Ministeriums hart. "Diese Pressekonferenz wird als Worst Practice der politischen Kommunikation in Erinnerung bleiben", sagte Hillje am Montag dem Nachrichtenportal watson. Er ergänzte: "Weniger wegen des Gesagten, sondern der Umstände."
Hillje, der als Politikberater unter anderem für die Europäischen Grünen gearbeitet hat, stellte klar: "Ein Pressesprecher darf eine Ministerin nicht in einem derart aufgewühlten Zustand vor die Kamera lassen. Wenn die Ministerin nicht weiß, dass sie live im Fernsehen ist, hat ihre Pressestelle etwas falsch gemacht." Spiegel hatte am Ende ihrer emotionalen Äußerungen zu ihrem Sprecherteam gesagt, sie müsse ihre Aussage "irgendwie abbinden", was darauf hindeutet, dass ihr die Live-Situation nicht bewusst war.
Hillje ging nicht davon aus, dass der offene Umgang mit Spiegels Privatsituation in diesem Fall das Ziel erreicht hat: "Dem transparenten Umgang mit privaten Herausforderungen gebührt Respekt, rehabilitiert aber letztlich die politische Tragfähigkeit nicht. In diesem Fall hat die Krisenkommunikation die Krise ver- statt entschärft."
Das bestätigt sich nun durch den Rücktritt.
Von Spiegels Partei, den Grünen, hatte es zunächst keine offizielle Stellungnahme gegeben.
Am Wochenende war durch einen Bericht der "Bild am Sonntag" bekannt geworden, dass die damalige Umweltministerin in Rheinland-Pfalz zehn Tage nach der Flutkatastrophe zu einem vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich aufgebrochen war und diesen nur einmal für einen Ortstermin im Ahrtal unterbrochen hatte.
Spiegel hatte am Sonntag in ihrer Erklärung detailliert ihre privaten Beweggründe dargelegt. Sie räumte ein, sich selbst mit einer Häufung von Ämtern überfordert zu haben. Zuerst habe sie sich entschlossen, neben ihrem Amt als Familienministerin in Rheinland-Pfalz die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl zu übernehmen. Als Fehler bezeichnete sie, dass sie dann ab Januar 2021 auch noch das Umweltministerium geschäftsführend übernommen habe, mit dem sie dann später mitverantwortlich für die Bewältigung der Flutkatastrophe wurde. "Ich habe diese Aufgabe sehr ernst genommen, und es war zu viel. Das hat uns als Familie über die Grenze gebracht", räumte Spiegel ein.
Die Entscheidung für den Urlaub sei eine schwere Abwägung zwischen ihrer Verantwortung als Ministerin und der Verantwortung als Mutter mit vier kleinen Kindern gewesen, die nicht gut durch die Corona-Pandemie gekommen seien. Während ihres Urlaubs sei sie immer erreichbar gewesen, habe Telefonate geführt und sich informiert. "Wenn es irgendeinen Anlass gegeben hätte, den Urlaub abzubrechen, dann hätte ich das sofort getan", sagte Spiegel.
Die Familienministerin musste aber Angaben korrigieren, die sie am Samstag gegenüber der "Bild am Sonntag" gemacht hatte. Anders als ursprünglich mitgeteilt, habe sie sich nicht aus dem Urlaub zu den Kabinettssitzungen zugeschaltet. Die Sitzungen seien zwar in ihrem Kalender verzeichnet gewesen. Eine Überprüfung der Kabinettsprotokolle habe aber am Sonntag ergeben, dass sie nicht teilgenommen habe.
CDU-Chef Friedrich Merz hatte bereits vor der Erklärung der Familienministerin Spiegels Entlassung gefordert. Mehrere andere Unions-Politiker und der familienpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin Reichardt, verlangten Spiegels Rücktritt.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium, Sven Lehmann (Grüne), verteidigte Spiegel dagegen auf Twitter. "Am Beispiel Anne Spiegel wird auch verhandelt, wie menschlich Politik sein darf", schrieb er. "Politiker*innen sind Menschen. Menschen können Fehler machen oder in harten Abwägungen Entscheidungen treffen, die sie später bereuen. Wer in der Politik keine Maschinen will, bekommt Menschen."
Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sieht kein Versäumnis bei der damaligen Landesministerin: "Erst bringt sie alles auf den Weg für die Menschen in RLP, dann kümmert sie sich um ihre Corona-belastete Familie - u parallel weiter um RLP."
Bei der Flutkatastrophe Mitte Juli 2021 waren in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen, davon 134 im Ahrtal. Rund 750 Menschen wurden in Rheinland-Pfalz verletzt und große Teile der Infrastruktur sowie Tausende Häuser zerstört. Viele Menschen leben noch immer in Not- oder Ausweichquartieren.
In Nordrhein-Westfalen hatte die dortige Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) ihr Amt am Donnerstag niedergelegt, nachdem bekannt geworden war, dass sich die 56-jährige Ministerin wenige Tage nach der Flutkatastrophe auf der Ferieninsel Mallorca für ein Wochenende mit weiteren Regierungsmitgliedern getroffen hatte, um den Geburtstag ihres Mannes zu feiern.
(mit Material von dpa und afp)