Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Der Boden war mit Blut bedeckt. Jeden Tag brachten die Militärfahrzeuge mehr und mehr verwundete Soldaten – aber auch viele tote. "Ein Pickup Truck hielt vor mir, voll mit Leichen geladen", erzählt der Kanadier Brandon Mitchell im Gespräch mit watson. Sein Blick weicht aus, er sucht nach Worten.
"Die Körper kamen auf mich zu gerollt. Überall war Blut. Es spritzte mir ins Auge, klebt an meiner Kleidung. Ich rutschte darauf aus, fiel hin und verletzte mich", führt er aus. Neben ihm lagen zwei tote Körper. "Mein Blut vermischte sich mit ihrem Blut", sagt er."It was a mess", beschreibt Brandon den Moment, der sich in sein Gedächtnis eingebrannt hat. "Es war ein Chaos."
Als Sanitäter arbeitet er teils nahe an der Front. An diesem Tag im Mai 2022 war es besonders schlimm: "Alle 24 Stunden kamen verletzte oder tote Soldaten an, drei Tage hintereinander weg", erzählt er und zieht an seiner elektronischen Zigarette.
Momentan befindet er sich auf Heimaturlaub in Stockholm. Hier lebt er seit ein paar Jahren als Migrant, wie er selbst sagt. Der 37-Jährige trägt eine militärgrüne Jacke, seine braunen Augen blicken müde in den Bildschirm. Aber er lächelt viel. Er möchte nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, nur weil er all den Mist in der Ukraine erlebt hat. Ein Kriegsheld sei er schon gar nicht, betont er.
Sein Kumpel hätte ihn angerufen und mehrmals gefragt, wie es ihm ginge. "Ich will einfach nur mit ihm abhängen, Pizza essen und einen Film schauen", sagt er. "Ich habe ihm direkt gesagt: Löchere mich die erste Stunde, und danach sind wir einfach nur Brandon und Carl."
Dennoch fällt es ihm nicht schwer, über den Krieg zu reden. Nur manchmal pausiert er, die Augen verdunkeln sich, als versetzten ihn seine Gedanken zurück auf die ukrainischen Straßen, von denen er tote Soldaten einsammelt.
Doch wie ist er dort gelandet?
Mit 17 Jahren schloss sich Brandon dem kanadischen Militär an, arbeitete auf dem großen Militärstützpunkt in Gagetown, dann zog es ihn nach Großbritannien. Dort diente er in der britischen Armee bis 2007, um anschließend in Schweden ein neues Leben zu starten. "Ich habe mich ein wenig wie ein Arschloch aufgeführt", sagt er offen.
Drogen und Alkohol haben ihn in Schwierigkeiten gebracht, doch das wollte er hinter sich lassen. "Ich fand einen Job bei einem großen schwedischen Möbelhaus und wollte mit dem Militär-Leben abschließen, doch dann begann der Krieg in der Ukraine", sagt Brandon.
Wegen eines Workshops für seine Arbeit befand er sich gerade in Estland. "Ich lernte dort das Handwerk des Steinmetzes, um Küchen zu bauen. Ich lernte aber auch wunderbare Menschen aus Estland und der Ukraine kennen", erklärt er. An sie dachte er, als der Krieg begann und fragte sich: "Was passiert mit den Ukrainern? Geht der Krieg über die ukrainische Grenze hinaus?"
Wenige Wochen später schloss er sich dem ukrainischen "Sanitätsbataillon Hospitaliter" an, ein medizinisches Freiwilligenbataillon, mit dem Brandon Soldaten an der Frontlinie rettet.
Am Ende sei es eine "rein emotionale" Entscheidung für Brandon gewesen, freiwillig in den Krieg zu gehen – fast bis zur Front. Zum ersten Mal, wie er sagt. Denn während seiner Zeit beim Militär hatte er nie einen Auslandseinsatz in Afghanistan oder Irak. Der "Horror des Krieges" schlug ihm erstmals ins Gesicht.
"Es ist nicht so dramatisch, wie es sich einige vorstellen", sagt er. Er hat viele Tote gesehen, Freunde verloren, stand selbst unter Beschuss – am Ende dürfe man nicht viel nachdenken. "Die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, sind sehr pragmatisch. Die Handlung steht im Vordergrund: Was machen wir als Nächstes?", sagt er.
Auch jetzt – wo er für ein paar Wochen zu Hause im sicheren Schweden ist – holen ihn die Gespenster des Krieges nicht ein. "Ich schlafe wie ein Murmeltier", meint er. Bald wolle er wieder zurück.
Seiner Meinung nach benötigt es extrem viel Empathie für die richtigen Gründe, in die Ukraine zu gehen und nicht etwa aus Abenteuerlust. Oder für Selbstpromotion, um aus dem Leid anderer Kapital zu schlagen. Selbst in der Ukraine gebe es Menschen, die Fotos von verwundeten Soldaten ins Internet stellen und um Geld bitten.
"Krieg bringt das Beste und Schlechteste aus uns Menschen hervor", meint Brandon. Wie wohl auch die sozialen Medien. Die nutzt er mittlerweile aktiv, um die Menschen – vor allem die Soldat:innen – im Krieg finanziell zu unterstützen.
Auf Youtube folgen ihm mehr als 60.000 User:innen, auf Instagram sind es rund 20.000. Neben Aufnahmen über seine gefährlichen Einsätze als Sanitäter postet Brandon aber auch auffällig viel lustigen Content inmitten von Gefechten – wie etwa ein Video über "Skin Care Routine" im Krieg.
"Das ist eines der Videos, auf das ich stolz bin", sagt er. Er selbst kann sich aber noch nicht damit anfreunden, nun eine Person des öffentlichen Lebens zu sein. "Ich bin zwar in erster Linie ein Sanitäter, aber in Realität auch ein Youtuber auf dem Schlachtfeld", sagt er und schüttelt dabei ungläubig den Kopf. "Ob ich das mag? Keine Ahnung." Auf alle Fälle hilft es, seine Kamerad:innen zu unterstützen. Denn solch ein Video kann etwa Helme oder Generatoren finanzieren.
Der "Fame", der mit seiner Internetpräsenz einhergeht, sei ihm unangenehm. Er sagt:
Er führt aus, dass diese Videos ihn auch viel Kraft und Zeit kosten. "Neben dem stressigen Alltag im Krieg, dann noch die freie Zeit dazu zu opfern, geht an die Substanz", sagt er. Darunter leidet auch der Kontakt zu Freunden und Familie, wenn er in der Ukraine ist. "Aber die rufen sowieso nie an", meint Brandon.
Sein Blick weicht aus, das Lächeln verfliegt kurzzeitig. Enttäuscht ihn das? Warum sich keiner meldet, weiß er nicht. Aber daheim kümmern sich seine Freunde etwa um seinen Hund. "Sie zeigen ihre Unterstützung mit stillen Gesten", sagt er.
In sechs Wochen will Brandon zurück in die Ukraine. Davor stehen noch allerlei Termine an: mit der schwedischen Armee, dem schwedischen Verteidigungsminister und Organisationen, die ihm helfen, Geld und Material für die Unterstützung der Menschen im Krieg zu sammeln.
Doch was ist, wenn der Krieg eines Tages endet? Brandon meint, er kehrt dorthin zurück, wo er herkam: Küchen bauen für das schwedische Möbelhaus. Doch die Erlebnisse in der Ukraine werden ihn für immer prägen, sagt er.
So wie der Moment, als fremdes Blut von Soldaten in seinem Gesicht klebte, der Boden damit so sehr beschmiert war, dass er ausrutschte. "Diese Schlacht haben wir damals gewonnen", meint Brandon. Dabei konnten sie einige Soldatenleben retten. All diese Menschen – ob Gehirnchirurgen oder Fahrer – haben seiner Meinung nach Wunder vollbracht.
"Wir standen draußen, haben eine geraucht und über unseren Köpfen schossen ukrainische Kampfjets weg", erzählt er. Laut ihm warfen sie ihre Bomben über den Russen ab und flogen wieder zurück. "Dabei wackelten die Piloten die Flügel ihrer Maschinen hin und her, um uns am Boden zu winken", sagt Brandon mit leuchtenden Augen.
Die Leute jubelten und einige lagen sich in den Armen, führt er aus. Das sei der Moment gewesen, in dem er wusste, er würde länger bleiben.