Eine Woche nach der Bundestagswahl finden sich Grüne und FDP in ihrer neuen Rolle als sogenannte Königs- oder Kanzlermacher wieder. Die beiden in vielerlei Hinsicht so verschiedenen Parteien sprechen nun zuerst miteinander, um herauszufinden, ob und wie sie in einer potenziellen Regierung zusammenarbeiten können. Erst dann werden die dem Stimmenanteil nach größeren Parteien, CDU/CSU und/oder SPD, mit einbezogen.
Dass es zwischen FDP und Grünen Gemeinsamkeiten gibt, hat zuletzt auch FDP-Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann betont. watson sprach mit der Sprecherin der FDP-Fraktion für Kommunal- und Verteidigungspolitik über diese Gemeinsamkeiten, die Legalisierung von Cannabis und wie sie sich die künftige Regierung vorstellt.
watson: In der Talkrunde bei Maischberger haben Sie das Thema Cannabis-Legalisierung angesprochen. Sie und Claudia Roth schienen sich in ihrer Zustimmung dazu einig zu sein – oder nicht?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: In der Sendung wurden Claudia Roth und ich gefragt, was uns trennt. Da habe ich vorgeschlagen, uns auch mal zu fragen, was uns eint. Ich habe die Legalisierung angesprochen und wir beide haben bestätigt: Wir wollen das. Wir teilen die Meinung, dass Cannabis-Konsumenten nicht kriminalisiert werden sollten und die Polizei entsprechend Wichtigeres zu tun hat. In möglichen Koalitionsgesprächen ist das aber nur ein Thema unter sehr vielen anderen.
In der YouTube-Serie „Shore, Stein, Papier“ haben Sie 2018…
… mit Sick auch über die Cannabis Legalisierung gesprochen, und wie wir in Deutschland das in Zukunft anpacken könnten. In unserer Fraktion haben sich meine Kolleginnen im Gesundheitsausschuss intensiv damit beschäftigt. Ich wollte an diesem Beispiel den Zuschauern klar machen, dass es zwischen FDP und Grünen auch Gemeinsamkeiten gibt.
Wo würden diese Gemeinsamkeiten besser verwirklicht werden, in einer Ampel-Koalition mit der SPD oder auf Jamaika mit der Union?
Die Sozialdemokratie ist bei dem Thema offener als beispielsweise die CSU. Die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig hat sich diesbezüglich ja sehr spät in Bewegung gesetzt. Ich weiß von jungen CDU-Mitgliedern, dass sie sich eine Freigabe auch vorstellen können. Auch wenn es momentan um andere bedeutende Themen geht, vielleicht gibt es jetzt eine Chance, dass wir in einer neuen Bundesregierung entspannt den Weg freimachen.
Was fühlt sich besser an – Jamaika oder Ampel?
Am besten fühlt sich an, dass wir bei den Erstwählern den größten Zuspruch haben.
Woran lag das, Ihrer Meinung nach?
In der Pandemie haben viele junge Menschen, die zum Beispiel gerade mit der Schule oder dem Studium fertig waren, erlebt, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist. Plötzlich schließen Grenzen, man kann nur begrenzt arbeiten oder sich auf die Straße frei bewegen. Das war für viele ein großer Schock. Es wird viele überzeugt haben, dass wir auch jetzt positiv in die Zukunft gehen. Etwa bei den Themen Bildung und Digitalisierung wir auf den Mut der Einzelnen vertrauen. Ich glaube, das hat junge Menschen sehr angesprochen. Ich freue mich übrigens auch, dass die Zeiten vorbei sind in denen eine sogenannte Volkspartei sich aussucht: Welcher Kleine darf jetzt mit uns spielen? Alle Parteien sind jetzt auf Augenhöhe.
Das Image der Wirtschaftslobbyisten-Partei werden Sie grade unter jungen Wählern nicht los...
Worte wie „Lobbyisten“ oder „Klientelpartei“ sind ein Narrativ, welche von den Meinungsmachern in den letzten Jahrzehnten gerne negativ konnotiert wurde. Böswillig kann man jeder Partei unterstellen, ausschließlich ihr Klientel zu bedienen. Die Sozialdemokraten sind Lobbyisten für Arbeiter, was sie übrigens nicht mehr eindeutig sind. Oder die Grünen sind Lobbyisten für die Solarindustrie und die CDU für Kirchgänger.
Neben Umweltthemen ist Verteidigungspolitik aktueller denn je. Die USA haben vor kurzem eine Milliarde Dollar für Israels Raketenabwehr-System Iron Dome freigegeben. Stichwort Staatsräson – sollte sich Deutschland daran ein Beispiel nehmen?
Die USA mit Deutschland zu vergleichen, wäre vermessen. Die Vereinigten Staaten haben ein gigantisches Budget zur Verfügung. Ich wäre schon sehr dankbar, wenn Deutschland im Rahmen Europas und der Nato mehr Verantwortung übernehmen würde. Das wäre auch aufgrund unserer wirtschaftlichen Kraft und unserer geografischen Lage vonnöten. Deutschland hat sich seit Jahrzehnten daran orientiert, von „Freunden umzingelt“ zu sein, wie Johannes Rau es ausgedrückt hat. Das war freundlich und beruhigend gemeint, aber schlichtweg naiv und auch gefährlich, weil wir uns darauf ausgeruht haben. Wir müssen unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Verbündeten nachkommen. Das ist nicht nur eine Frage der Höhe des Budget, sondern was kommt bei den Soldatinnen und Soldaten auch tatsächlich an. Wir sollten uns daran messen, was für Fähigkeiten wir der Nato zugesagt haben und das entsprechend umsetzen.
Wie bewerten Sie die Rolle Deutschlands in Afghanistan?
Dass die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 6. Oktober die Aufarbeitung zu Afghanistan starten will, ist vom Timing her äußerst ungeschickt. Wir danken jetzt erst einmal den Soldatinnen und Soldaten, die über Jahrzehnte im Einsatz waren, mit dem großen Zapfenstreich am 13. Oktober vor dem Reichstag. Die Aufarbeitung des Einsatzes gehört in eine Enquete Kommission und muss detailliert untersucht werden, sobald die neue Regierung steht. Die Bundesregierung hat überdies in den letzten Monaten ein desaströses Bild abgegeben. Die Art und Weise wie der Afghanistan Einsatz beendet wurde, steht für ein beispielloses Staatsversagen. Wir haben den Außenminister, nur um ein Beispiel zu nennen, im Juni im Bundestag gefragt, wie er mit den Ortskräften, die die Bundeswehr Jahrzehnte begleitet haben, umgehen will. Da hat er sich zu der Aussage hinreißen lassen, wir sollten mal nicht so tun, als stünden die Taliban bereits mitten in Kabul.
Stünden Sie für das Amt der Verteidigungsministerin bereit?
Es geht um Inhalte und wie wir die dringenden Zukunftsfragen in Deutschland gestalten wollen. Als allerletztes um Personalfragen. Die Situation einer Regierungskoalition mit drei Parteien ist wahrlich komplex genug. Möglicherweise werden auch ganz andre Ressorts gebildet als die, die wir seit Jahrzehnten kennen. In Nordrhein-Westfahlen haben wir zum Beispiel das Umwelt- und Wirtschaftsministerium in eine Hand gelegt sowie die Themen Kinder, Familien, und Migration. Beide Häuser werden übrigens erfolgreich von Freien Demokraten geführt. Das ist ein spannendes und innovatives Konzept.