Es sind gute Zeiten für die jungen Liberalen, kurz Julis: Die FDP-Jugendorganisation kann sich darüber freuen, dass über ein Fünftel der Erstwähler ihre Partei gewählt haben. Die Organisation hat nach eigenen Angaben mit 14.000 Mitgliedern so viele wie nie in der Geschichte. 11 der 92 FDP-Abgeordneten im neuen Bundestag sind Mitglieder der Julis.
Einer dieser Abgeordneten ist Jens Teutrine, der 2020 zum Chef der Jugendorganisation gewählt worden war. Weil er nicht gleichzeitig Mitglied des Bundestags und Vorsitzender der Julis sein will, ist Teutrine am Wochenende beim Bundeskongress der Jungen Liberalen nicht mehr angetreten. Als seine Nachfolgerin wurde Franziska Brandmann gewählt.
Brandmann ist 27 Jahre alt, Politologin und stammt aus dem nordrhein-westfälischen Grevenbroich. In ihrer Bewerbungsrede für den Juli-Chefposten am vergangenen Samstag hat sie versprochen, sich für Reformen in der Bildungspolitik einzusetzen – und dafür, dass Marktwirtschaft und Wettbewerb nicht untergehen in der wahrscheinlichen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP.
watson hat Teutrine und Brandmann zum Doppelinterview getroffen. Wir haben mit ihnen über soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und die Versprechen der FDP für junge Wähler gesprochen – und über den Schatten, den die Corona-Pandemie gerade wieder über das Leben junger Menschen wirft.
watson: Jens und Franziska, die Julis und die FDP bemühen sich seit Jahren, vom Image der Partei der Besserverdiener, der Apotheker und Ärzte, wegzukommen. Wie weit seid ihr damit gekommen?
Jens Teutrine: Unser Ergebnis unter den Erstwählern bei der Bundestagswahl zeigt ja, dass viele Jung- und Erstwähler sich von diesen falschen Klischees nicht abschrecken lassen – obwohl der politische Mitbewerber sie als Kampfrhetorik gegen uns verwendet. Viele dieser Vorurteile über die FDP kennen jüngere Menschen auch gar nicht mehr. Mir war es als Chef der Jungen Liberalen immer ein Herzensanliegen, dass wir Julis unsere gesamte Vielfalt nach außen tragen.
Für uns zählt nicht die Herkunft, das Geschlecht, die Religion, die Hautfarbe oder der soziale Hintergrund, sondern der einzelne Mensch. Wir haben Respekt vor allen, die bereits etwas im Leben erreicht haben. Aber unsere politische Leidenschaft gehört auch insbesondere denjenigen, die mit Fleiß und Leistung noch etwas erreichen wollen und sich anstrengen. Das bedeutet auch, dass wir unabhängig vom Einkommen für verschiedene Wählergruppen ein interessantes Angebot machen.
Franziska Brandmann: Als Liberale sind wir Freunde von Individualismus, übrigens Individualismus, nicht Egoismus, und deshalb betrachten wir jeden als Individuum. Bei den Julis ist unser Anspruch, dass es egal sein muss, was die Eltern eines Mitgliedes machen – ob sie Ärzte oder arbeitslos sind. Wichtig ist, dass er oder sie selbst liberal ist. Wir jagen aktuell von Mitgliederrekord zu Mitgliederrekord. Und wenn ich mit unseren Mitgliedern spreche, dann freut es mich, wie viele unterschiedliche Hintergründe die mitbringen und wie viele unterschiedliche Perspektiven. Das hat mit den Klischees über JuLis und FDP wenig zu tun, das ist einfach überholt.
Du meintest, ihr steht für Individualismus, nicht für Egoismus. Wo verläuft denn da für euch die Grenze?
Brandmann: Individualismus heißt für uns, dass jeder einzelne Mensch so wahrgenommen wird, wie er ist. Aber sich als Individuum sehen heißt ja nicht, dass man nicht auch andere Individuen schätzt, dass man nicht auch Verantwortung für andere übernimmt, dass man nicht solidarisch mit anderen Individuen ist.
Teutrine: Es gab einen Satz in deiner Bewerbungsrede am Samstag, in dem du das optimal beschrieben hast: Du hattest gesagt, dass du nicht homosexuell bist......
Brandmann: ... genau, und auch nicht sterbenskrank und dass ich auch kein Auto habe ...
Teutrine: …aber dass du dich trotzdem für die Freiheit Homosexueller, für die Freiheit Sterbenskranker und für die von Autofahrern einsetzt. Das ist der Gedanke dahinter: Ich setze mich nicht für meine persönliche Freiheit ein. Ich setze mich für das Prinzip Freiheit ein. Das ist der Unterschied zwischen Individualismus und Egoismus.
Franziska, du hast das Wort Solidarität erwähnt. Wollt ihr jetzt den Jusos, der SPD-Jugendorganisation, ihren Kampfbegriff streitig machen?
Brandmann: Wir Julis beschäftigen uns – genau wie die Jusos – mit der Frage: Was ist eigentlich gerecht? Aber wie Solidarität aussieht, da haben wir größtenteils unterschiedliche Vorstellungen.
Nämlich?
Brandmann: Für mich heißt Gerechtigkeit zum Beispiel, dass jemand, der viel leistet und viel dafür tut, aufzusteigen, das dann auch erreichen kann – also Chancengerechtigkeit. Das Ziel der Jusos ist eher Chancengleichheit. Das ist der zentrale Unterschied.
Wie solidarisch wird die Ampel-Koalition? Es gibt von Sozialverbänden Kritik an am Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP. Der Deutsche Mieterbund beklagt zum Beispiel, dass es keine konkreten Pläne zum sozialen Wohnungsbau gibt.
Teutrine: Das Sondierungspapier ist erst mal ein Kompass, der in eine grundsätzliche Richtung zeigt. Um mal ein paar sozialpolitische Punkte zu nennen: Wir wollen jedes Kind in Deutschland aus der Armut holen. Dafür wird es ein Kindergrundsicherungsmodell geben. Hierzu haben auch wir Liberale mit unserem Kinderchancengeld ein interessantes Konzept vorgelegt. Es wird eine Hartz-4-Reform geben. Dabei wollen wir den Sozialstaat unbürokratischer und aufstiegsorientierter machen. Auch mit einer Bafög-Reform wollen wir ganz konkret etwas für soziale Gerechtigkeit tun.
Ich habe ja selbst in zwei Arbeitsgruppen in den Koalitionsverhandlungen mitverhandelt. Ich habe die Kritik am Sondierungspapier zur Kenntnis genommen – auch dazu, wie überhaupt alles das finanziert werden soll. Aber am Ende zählt nicht das Sondierungspapier, sondern der Koalitionsvertrag, der darauf aufbaut. Und da müssen wir jetzt einfach noch ein bisschen Geduld haben.
Die Entwicklung der Corona-Pandemie macht vielen wieder große Sorgen. Die Ansteckungszahlen explodieren gerade, vergangene Woche gab es große Kritik am Karnevalsauftakt in Köln, bei dem Menschen dicht an dicht getanzt haben. Warum war es trotzdem richtig, dass sich hier in Erlangen über 900 Menschen zum Bundeskongress der Julis getroffen haben?
Brandmann: Wir haben den Bundeskongress in Bayern durchgeführt, also unter den strengsten in Deutschland geltenden Corona-Auflagen und unter 2G. Das bedeutet, dass nur Geimpfte und Genesene an unserem Bundeskongress teilnehmen konnten. Wir standen außerdem immer im Austausch mit dem Ordnungsamt, das uns sogar hier vor Ort besucht und uns für die Einhaltung der Maßnahmen gelobt hat.
Tatsächlich haben wir die geltenden Auflagen sogar übertroffen, etwa indem wir die Kontakt-Nachverfolgung gewährleistet haben. Uns war wichtig, diesen Bundeskongress stattfinden zu lassen, wenn die Behörden uns dafür grünes Licht geben. Wir hatten jetzt viele Monate lang nur digitale Kongresse...
Und jetzt?
Brandmann: Es ist jetzt wichtig, dass wir bestehende Vorschriften akzeptieren und entsprechend handeln. Gleichzeitig müssen wir im Blick behalten, dass Jugendorganisationen eine wichtige politische Rolle haben. Gerade in Zeiten von Corona ist es wichtig, dass junge Menschen sich politisch Gehör verschaffen können. Jungen Menschen wurde in den letzten Monaten viel abverlangt. Umso wichtiger ist es, zu ermöglichen, dass junge Menschen sich politisch engagieren können. Das wird dann oft vom Tisch gewischt, nach dem Motto: “Ja, jetzt ist Corona, dann können die jungen Menschen sich halt mal nicht treffen und über Politik reden.”
Aber wer das sagt, nimmt die Anliegen junger Menschen nicht ernst. Wir wollen uns einbringen. Jetzt mehr denn je. Die voraussichtlich nächste Bundesregierung verhandelt gerade über einen Koalitionsvertrag und entscheidet dabei, wie die nächsten vier Jahre aussehen sollen, welche Initiativen entstehen sollen, welche Schwerpunkte gesetzt werden sollen. Und junge Menschen sollen sich da nicht einbringen?
Teutrine: Wir haben die Corona-Regeln hier zu jedem Zeitpunkt übertroffen. Als uns das Ordnungsamt gesagt hat, wir müssen 3G machen, haben wir gesagt, wir machen 3G+, also mit der Pflicht zu einem PCR-Test für nicht Geimpfte. Dann wurde auf 2G umgestellt und wir haben gesagt, wir machen zusätzlich auf den Gängen eine Maskenpflicht, obwohl wir nicht müssen. Und wir machen eine Kontaktnachverfolgung, das hätten wir ebenfalls nicht machen müssen. Wir halten uns nicht nur an alle vorgegebenen Regeln, sondern gehen sogar darüber hinaus.
Warum muss es vor Ort sein und geht nicht digital?
Brandmann: Unsere letzten Bundeskongresse haben digital stattgefunden. Aber es ist nicht das Gleiche und es beeinflusst, ob man sich austauscht, ins Gesicht schaut und das Gefühl hat, dass man sich in einem Raum befindet, in dem man von den eigenen Erlebnissen und Erfahrungen erzählen kann. Wie das zum Beispiel ist, wenn man psychische Probleme hat und lange auf der Warteliste für einen Therapieplatz steht... So etwas zu teilen, das fällt leichter, wenn man sein Gegenüber sieht. Deshalb: Wenn es die Regeln erlauben und es möglich ist, Auflagen verantwortungsbewusst einzuhalten, ist es wichtig, dass man dann auch wieder zusammenkommt.
Teutrine: Schulen, Universitäten, Sportvereine und eben auch politische Jugendorganisationen sind auch immer ein sozialer Ort. Es gab am Samstag auf dem Bundeskongress diesen sehr bewegenden Wortbeitrag eines jungen Mitglieds von uns: eine junge Frau, die berichtet hat, wie wichtig für ihre psychische Gesundheit die Jungen Liberalen als sozialer Ort sind. Die Caritas hat erhoben, dass aktuell ein Drittel aller jungen Menschen psychisch auffällig sind. Ich finde, wir sollten alles das bei der Abwägung immer wieder berücksichtigen. Gerade unsere Generation hat in den letzten Jahren auf sehr viel verzichten müssen, dabei wurde viel zu wenig über soziale und psychische Folgen gesprochen. In diesem Sinne finden wir, dass es, wenn wir uns an die geltenden Regeln halten, auch vollkommen legitim ist, einen Bundeskongress in Präsenz durchzuführen.
In der Pandemiebekämpfung sind jetzt wieder unterschiedliche Verschärfungen im Gespräch. In manchen Bundesländern gilt die 2G-Regel, der Zutritt zu vielen Orten ist nur für Geimpfte und Genesene erlaubt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat von 2G+ gesprochen, also einer Testpflicht auch für Geimpfte und Genesene. Es gibt den Vorschlag einer Expertengruppe, die einen "Notschalter-Lockdown", um die vierte Welle zu brechen. Wie muss es aus eurer Sicht weitergehen?
Teutrine: Wir leiten ja gerade schon mit verschiedenen Maßnahmen, wie beispielsweise eine Testpflicht in Pflegeeinrichtungen, 3G am Arbeitsplatz und die Wiedereinführung von kostenlosen Bürgertests, die nächsten Schritte ein. Die Bundesländer haben auch aktuell schon alle die Möglichkeit, 2G einzuführen. Und sehr viele machen das auch.
Findet ihr Julis die 2G-Regel gut?
Teutrine: Auch 2G hat Nachteile. 2G trügt und gibt ein falsches Gefühl von Sicherheit. Es kann auch zu einer Übertragung zwischen Geimpften kommen, zwar deutlich weniger wahrscheinlich und häufig mit einer geringeren Virenlast, aber auch 2G ist keine absolute Sicherheit. Deswegen ist es so wichtig, dass wir uns auch alle wieder regelmäßiger testen. Ich finde es richtig, dass jedes Bundesland selbst entscheidet, ob es 2G, 2G+ oder 3G anwendet. In Schleswig-Holstein zum Beispiel, wo die FDP mitregiert, sind sie bei den Booster-Impfungen viel weiter, die Impfquote allgemein ist höher, die Intensivstationen sind zum Glück nicht so stark ausgelastet wie anderswo. Daran zeigt sich ja auch, dass der Gamechanger weiterhin das Impfen ist. Klar, das ist jetzt keine kurzfristige Antwort auf die aktuell steigenden Zahlen. Aber wir müssen zum Beispiel mit mobilen Impfteams, mit Aufklärung für bestimmte Zielgruppen noch besser werden. Eine Plakatkampagne mit Prominenten unter dem Motto "Ärmel Hoch" reicht einfach nicht.
Und was ist dann jetzt zu tun, da die Infektionszahlen durch die Decke gehen?
Teutrine: Ich finde es gut, dass es nun wieder kostenlose Bürgertests gibt. Die Abschaffung im Sommer war ein Fehler, so konnte sich das Virus unbemerkt ausbreiten. Auch kann ich mir gut vorstellen, für Konzerte oder Partys mit 2G-plus-Regeln zu arbeiten: Zusätzlich zur Impfung braucht man dann noch einen tagesaktuellen, negativen Test. Wir müssen alles Mögliche dagegen tun, dass es einen Lockdown für Schulen, Universitäten und andere soziale Orte gibt.
Brandmann: Es wird den Menschen jetzt wieder viel abverlangt: Sie sollen dies und das machen, sich anpassen, alles dafür tun, diese Welle aufzuhalten. Das ist auch richtig, das sehen wir Julis auch so.
Aber?
Brandmann: Aber gleichzeitig erwarte ich das Gleiche vom Staat. Eben dass auch der Staat seine Möglichkeiten ausschöpft, die Welle aufzuhalten. Ich habe mich vor kurzem mit einem Mitglied der Jungen Liberalen ausgetauscht, das im IT-Bereich in der öffentlichen Verwaltung arbeitet. Er hat erzählt, dass er erst die IT für ein Impfzentrum aufgebaut – und sie dann nach ein paar Monaten wieder abgebaut hat. Er hat sich beim Abbauen gedacht: Warum mache ich das gerade? Das macht doch offensichtlich keinen Sinn! Viele Impfzentren sind jetzt zu. Wie kann das denn eigentlich sein? Andere Länder haben schon früher angefangen mit den Booster-Impfungen, unser Land ist schon wieder hinterher.
Was bedeutet das aus deiner Sicht?
Brandmann: Was wir daraus lernen ist: Der Staat muss in seinen Kernaufgaben besser funktionieren. Ich glaube, wenn er das täte und dann trotzdem noch weitere Maßnahmen notwendig wären, dann hätten Menschen auch größeres Verständnis für Einschränkungen, solange diese verhältnismäßig sind. Weil sie sehen, der Staat hat alles getan, was er konnte.
Tut er das gerade nicht?
Brandmann: Ich habe momentan nicht das Gefühl, dass die geschäftsführende Bundesregierung sich bewusst ist, dass sie hier weiterhin die Verantwortung trägt. Herr Brinkhaus zum Beispiel, der Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, schießt sich auf die FDP ein, als gäbe es kein Morgen mehr. Ehrlich gesagt: Da hätte ich von der Union mehr Anständigkeit und Aufrichtigkeit erwartet.
Die Union gibt jetzt große Töne von sich, dabei ist es doch im Kern sie, die weiterhin für die Situation verantwortlich ist und die Situation nicht in den Griff bekommt – unter anderem stellt sie weiterhin den Bundesgesundheitsminister, Jens Spahn. Was hat der eigentlich in den letzten Monaten gemacht, als Impfzentren nach und nach wieder zurückgebaut wurden? Wo ist die massive Aufklärungs- und Impfkampagne, die dieses Land dringend bräuchte?
Teutrine: Manchmal ist es im Kampf gegen die Pandemie auch nicht so leicht, wie manche sich das vorstellen. Die 2G-Regel hat zum Beispiel den großen Nachteil, dass weniger getestet wird – und wir weniger darüber wissen, wer sich ansteckt. Ich bin zum Beispiel dafür, dass wir in Pflegeeinrichtungen regelmäßig auch Geimpfte wieder testen, weil wir wissen, dass es dort öfter Impfdurchbrüche gibt. Und der indirekte Impfdruck führt auch nicht automatisch zu mehr Impfungen.
Was meinst du?
Teutrine: Bei 2G kann es auch dazu kommen, dass ungeimpfte Menschen sich mehr in private Räume zurückziehen und zum Beispiel Familienfeiern ganz ohne Testung durchführen. Ich glaube, die öffentliche Debatte gleitet momentan wieder in die Richtung, dass alles, was in Richtung Lockdown geht, automatisch besser sei. Und das teile ich eben nicht.
Ist die FDP zu milde gegenüber Ungeimpften? Man sieht ja gerade in Österreich, dass strengere Zugangsregeln, bis hin zum Lockdown für Ungeimpfte in Oberösterreich, zu steigenden Impfzahlen führen.
Brandmann: Ich finde es irgendwie völlig verrückt, dass wir jetzt über die gleichen Maßnahmen diskutieren wie vor zehn Monaten: Lockdown ja oder nein? Schulschließungen ja oder nein? Wir wissen doch inzwischen viel mehr über dieses Virus! Wir wissen, was in anderen Ländern funktioniert hat und was nicht. Warum nehmen wir uns daran kein Beispiel?
Wie denn?
Brandmann: Zum Beispiel, indem wir sagen, dass sich jeder, egal ob geimpft oder nicht, regelmäßig testen soll. Indem wir allen Bürgerinnen und Bürger Tests direkt nach Hause schicken. Das schafft mehr Sicherheit, als die Leute nicht mehr zur Schule gehen zu lassen. Ich habe selbst erfahren, was das für junge Menschen bedeutet: Kinder, die in die erste Klasse kommen und monatelang ihre Mitschüler überhaupt nicht sehen...
Wie bewertet ihr die Beschlüsse der Corona-Ministerpräsidentenkonferenz vom Donnerstag?
Teutrine: Die Corona-Zahlen entwickeln sich dramatisch. Deshalb ist es richtig, dass nun gehandelt wird. Mit dem neuen Gesetzespaket geben wir neben der Wiedereinführung von kostenlosen Bürgertests den Ländern ein Instrumentarium an die Hand, um die vierte Welle effektiv zu bekämpfen. Dazu gehören unter anderem Kapazitätsbegrenzungen, eine Homeoffice-Pflicht, wo dies möglich ist, eine Testpflicht in Alten- und Pflegeheimen. Schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Ausgangssperren oder pauschale Schul- und Betriebsschließungen soll es nicht mehr geben. Nun haben die Länderchefs am Tag der Änderung des Infektionsschutzgesetzes ebenfalls Entscheidungen getroffen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sie diese Maßnahmen schon vor Wochen anordnen hätten können, dafür gab es immer die rechtliche Möglichkeit. Stattdessen haben einige Ministerpräsidenten, wie Markus Söder, anklagend auf den Bund gezeigt. Ich bin davon genervt, dass die Union die Pandemiebekämpfung für parteitaktische Manöver nutzt. Das beweist andererseits, dass es richtig ist, die Entscheidungen in die Parlamente zurückzuverlagern. Grundsätzlich halte ich es für richtig, sich an klar messbaren Richtwerten zu orientieren und lokal zu differenzieren.
Von den jungen Menschen haben euch bei der Bundestagswahl ziemlich viele gewählt. Ihr wart laut Wahlanalysen die stärkste Partei bei den Erstwählern, quasi gleichauf mit den Grünen. Franziska, was versprichst du als frisch gewählte Juli-Bundesvorsitzende euren jungen Wählern für die kommenden Jahre?
Brandmann: Also, ich bin ja nicht Teil der nächsten Bundesregierung.
Aber ihr Julis versteht euch ja besonders als Anwalt der jungen Wähler.
Brandmann: Das stimmt auf jeden Fall. Wir werden unsererseits unendlich Tempo dafür machen, dass die nächste Bundesregierung ihrerseits Tempo macht, das verspreche ich. Die Tatsache, dass gerade Jung- und Erstwähler dafür gesorgt haben, dass die FDP Teil der nächsten Bundesregierung sein wird, soll einen ganz konkreten Unterschied machen in dem Leben genau dieser Menschen. Idealerweise sogar mehrere Unterschiede. Dafür werden wir uns einsetzen, auch, wenn es mal Gegenwind gibt und auch wenn Umfragen oder Stimmung mal davon abraten sollten.
Bei den Grünen haben manche ihre Unzufriedenheit über den Stand der Koalitionsverhandlungen durchsickern lassen. Ist bei euch alles eitel Sonnenschein?
Brandmann: Ich persönlich finde es interessant, dass sowohl die Grüne Jugend als auch die Grünen jetzt doch über die Presse gehen. Ich fand es eigentlich sehr angenehm, dass die möglichen Koalitionspartner, die sich gerade finden, eigentlich einen neuen politischen Stil begründet hatten – ganz anders als zum Beispiel bei den Ministerpräsidentenkonferenzen, bei denen man alles, was gesagt wurde, live online mitlesen könnte. In den ersten Sondierungswochen habe ich erleichtert festgestellt, dass Verhandlungen vertraulich verlaufen und Konflikte intern gelöst werden, um sich das Vertrauen zu erarbeiten, das es in einer Regierung am Ende untereinander braucht. Ich habe das Gefühl, dass die Grüne Jugend und die Grünen diesen neuen Stil jetzt tatsächlich mal kurz verlassen haben.
Welchen Schluss ziehst du daraus?
Brandmann: Ich würde mich sehr freuen, wenn sie wieder auf den Weg zurückkehren würden. Wir werden der FDP auf jeden Fall empfehlen, bei dieser neuen Art des lösungsorientierten Umgangs miteinander zu bleiben. Ich glaube, diesen Stil wünschen sich auch die Jung- und Erstwähler. Die haben keinen Bock auf gegenseitiges Köpfe Einschlagen, das ständige Durchstechen von Informationen und so weiter, siehe Markus Söder. Die erwarten zu Recht eine faire Debatte und einen respektvollen Umgang – nicht auch, sondern gerade in der Politik.
Jens, du warst ja selbst in den Verhandlungen. Du bist so still.
Teutrine: Das ist Teil des neuen politischen Stils. Ich könnte jetzt maximal öffentlich daraufhauen. Aber dann wären wir wieder genau bei dem Stil, den ich nicht will. Franziska hat das richtig gesagt: Wir appellieren gerade an die Grünen, wieder zurückzufinden zum alten Stil, zur Vertraulichkeit. Aber ich bin da auch sehr gelassen: Am Ende schwächt diese öffentliche Kritik ja nur die eigene Position.
Ein Thema, bei dem sehr viele junge Menschen viel von der neuen Bundesregierung erwarten, ist der Klimaschutz. Es gibt Studien, laut denen ein wachsender Teil der jungen Menschen psychisch unter der Klimakrise und der Angst vor einer katastrophalen Erderhitzung leiden. Mit welchen Gefühlen schaust du auf die Klimakrise, Franziska?
Brandmann: Ich sorge mich um die Zukunft unserer Erde, auf jeden Fall. Aber ich glaube wirklich fest daran, dass es für diese Herausforderungen Lösungen gibt. Das wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zeit. Ich glaube, dass jede Generation vor bestimmten Herausforderungen steht. Und ich glaube fest daran, dass Menschen diese Herausforderung lösen können, wenn sie diese an- und ernst nehmen.
Teutrine: Wir wissen ja, dass der Kampf gegen den Klimawandel eine globale Frage ist. Das heißt natürlich nicht für uns in Deutschland, dass wir nichts tun und auf andere warten. Sondern, dass wir Klimaschutz in Deutschland so umsetzen wollen, dass er einen Vorbildcharakter für andere Länder hat. Wir überzeugen andere Länder nicht mit moralischer Überlegenheit. Den Fehler haben wir beim Atomausstieg schon gemacht: Damals hieß es, wir machen das und dann folgen uns andere Länder. Die sind uns nicht gefolgt, weil wir gerade die teuersten Strompreise haben. Deswegen sollten wir diesen Logikfehler nicht wiederholen bei der Klimadebatte.
Was meinst du damit konkret?
Teutrine: Andere werden unserem Vorbild nicht folgen, wenn wir den Autobahnbau stoppen, wenn wir Verzicht fordern. Sie werden uns folgen, wenn der deutsche Weg zeigt, dass man eine Energiewende in einer Industrienation hinbekommt, ohne Arbeitsplätze massiv zu gefährden und indem wir den Wandel am Arbeitsmarkt bewältigen. Viele Länder können gar nicht auf Wohlstand verzichten, sie wollen aus ihrer Situation herauswachsen.
Was macht den FDP-Ansatz aus?
Teutrine: Wir reden über Innovationsfreude und Innovationskraft – mit einem ordnungspolitischen Rahmen, einem strikten CO2-Limit innerhalb des Emissionshandels. Ich meine das ernst mit unserer Klimapolitik, wir meinen das ernst. Uns wurde ja unterstellt, auch von Wissenschaftlern, wir würden den Klimaschutz nicht ernst nehmen.
Und was ist deine Antwort auf diese Kritik?
Teutrine: Dass uns klar ist, dass der Klimawandel und die Umsetzung von Klimaschutz eine große Herausforderung sind. Einige haben nach der Bundestagswahl behauptet, die jungen Leute hätten uns gewählt, weil sie sich nicht für Klimaschutz interessiert haben. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Die haben uns nicht uns trotz unserer Klimapolitik gewählt, sondern sogar wegen unserer Klimapolitik. Weil sich nicht alle von Weltuntergangsszenarien politisch abgeholt fühlen.
Jens, Du warst jetzt ein Jahr Juli-Chef und hörst jetzt auf, weil du in den Bundestag gewählt wurdest. Du bist damit nicht allein: Mit Johannes Vogel, Konstantin Kuhle, Ria Schröder und dir sitzen jetzt vier ehemalige Juli-Bundeschefs im nächsten Bundestag. Werden die Julis langsam zu einer Kaderschmiede für Berufspolitiker?
Teutrine: Die jungen Menschen werden bei uns nicht Mitglied, weil sie etwas werden wollen, sondern weil sie bereits etwas sind: liberale Überzeugungstäter. Sie engagieren sich nicht, weil sie nach Posten und Mandate geiern. Sie wollen, dass ihr Engagement einen Unterschied macht. Das ist auch die Erwartung unsere Juli-Mandatsträger und woran wir gemessen werden. Strategisch verbinden wir Personalfragen mit unseren Inhalten. Wenn man Inhalte umsetzen will, dann braucht man auch gute Köpfe. Und wir leisten mit unseren Jungliberalen hoffentlich einen Beitrag dazu, dass die FDP breiter aufgestellt ist.
FDP-Politiker werfen aber besonders gerne denen in anderen Parteien vor, dass sie keine Berufserfahrung außerhalb der Politik hätten. Und die Gefahr besteht ja auch, wenn man von Juli-Chefposten schnell ins Parlament kommt.
Brandmann: Wir erwarten aber auch was von den Personen, die von uns Jungen Liberalen in den Bundestag geschickt werden. Die haben bei den Julis jahrelang gezeigt, dass sie liberale Überzeugungstäter sind, deshalb haben wir sie bei ihren Kandidaturen unterstützt. Dabei ist uns egal, welchen beruflichen Hintergrund jemand hat oder nicht hat. Wichtig ist uns vielmehr, dass er sich inhaltlich für unsere Anliegen einsetzt.
Wir nehmen unseren konstruktiv-kritischen Anspruch intern sehr ernst, das wissen auch unsere Juli-Abgeordneten. Unsere ehemaligen Juli-Bundesvorsitzenden haben unsere Programmatik auch dann entschlossen vertreten, wenn das mal nicht so angenehm war. Das zeigt ja, dass es nicht darum geht, sich möglichst stark zu profilieren, sondern darum, liberale Politik konsequent zu vertreten.
Jens, du warst jetzt gut ein Jahr Chef der Jungen Liberalen. Was war dein größter Erfolg in dieser kurzen Amtszeit?
Teutrine: Mir bedeutet es am meisten, wenn junge Leute, die bei uns Mitglied geworden sind, zu mir kommen und beim Bundeskongress sagen: "Ich war mir nicht ganz sicher, ob die FDP die richtige Partei für mich ist aufgrund meiner Herkunft. Aber ich habe deine Biografie gesehen und bin deswegen eingetreten." Oder Nachrichten mit diesem Inhalt, die ich auf Instagram kriege. Dass ich Menschen dazu motiviert habe, in die FDP einzutreten, obwohl einige politische Mitbewerber sie aufgrund ihrer Herkunft nicht bei uns verorten würden.
Was war dein größter Misserfolg?
Teutrine: (Überlegt lange) Ich glaube zwar, es war strategisch richtig, Bessermacher statt Besserwisser gewesen zu sein. Aber es gab Situationen, bei denen ich mich heute darüber ärgere, dass ich nichts öffentlich gesagt habe.
Welche?
Teutrine: Die sind jetzt geregelt.
Eine Frage noch zu den Ampelverhandlungen. Christian Lindner will ja unbedingt Finanzminister in der neuen Bundesregierung werden. Sollte die FDP trotzdem in die Ampel reingehen, wenn das nicht klappt?
Brandmann: Ich würde mich sehr freuen, wenn die FDP das Finanzministerium übernehmen würde. Dabei geht es uns aber nicht um einzelne Personen, sondern darum, dass Minister dann viel Einfluss in ihrem Ressort haben, um die inhaltlichen Vorstellungen, die wir in diesem Ministerium einbringen möchten. Und gerade in der Finanzpolitik gibt es eben echt viel zu tun.
Was muss aus eurer Sicht unbedingt im Koalitionsvertrag stehen?
Brandmann: Erst einmal mindestens die Dinge, auf die man sich im Sondierungspapier bereits klar geeinigt hat. Es soll keine Steuererhöhungen geben, kein Tempolimit, keine Aufweichung der Schuldenbremse. Das steht für uns auch nicht zur Diskussion. Darüber hinaus würden wir uns eine noch stärkere liberale Handschrift wünschen, beim elternunabhängigen Bafög zum Beispiel. Ich wünsche mir besonders eine BAföG-Reform, die richtig Wumms hat und eine mutige Rentenreform.
Du hast das Tempolimit genannt. Warum ist es für euch junge Liberale eigentlich so wichtig, dass das nicht kommt?
Teutrine: Also, ich habe gar keinen Führerschein...
Brandmann: ... ich hab' auch kein Auto. Aber ich wohne auf dem Land. Und für Leute auf dem Land spielt das Auto eine große Rolle, und zwar jeden Tag. Ein Tempolimit lässt sich leicht als unwichtig bezeichnen, wenn man sich in Berlin-Mitte aufhält und alle drei Minuten die Ringbahn fährt. Wenn man auf dem Land wohnt, dann ist ein Auto nicht aus dem Alltag wegzudenken – und ein Tempolimit eine deutliche Einschränkung.
Freiheitseinschränkungen muss man immer konkret begründen. Nicht ich sollte also erklären müssen, warum ich kein Tempolimit möchte, sondern andere sollten ganz konkret darlegen, wieso dieser Freiheitseingriff verhältnismäßig sein sollte. Ich finde: Das, was durch das Tempolimit gewonnen werden könnte, steht nicht in einem akzeptablen Verhältnis zur Einschränkung der Bürgerinnen und Bürger, die dafür notwendig wäre.
Teutrine: Da geht es um Lebenszeit! Aber ansonsten, wenn ich genau eine konkrete Forderung nennen muss: Dann die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Jugendliche, die in Familien mit Hartz-4-Bezug aufwachsen. Diese dürfen von einem 450-Euro-Nebenjob nur 170 Euro behalten. Ab einem Freibetrag von 100 Euro werden 80 Prozent angerechnet, quasi mehr als Spitzensteuersatz. Ich empfinde das als eine riesige Ungerechtigkeit, die leistungsfeindlich ist. Der Staat bestraft damit Fleiß und erschwert soziale Teilhabe. Sie sollten von ihren 450-Euro-Nebenjob alles behalten dürfen.
Franziska, wenn deine Amtszeit mal zu Ende geht: Was willst du dann sagen können?
Brandmann: Dass ich zu jeder Zeit mein Bestes gegeben habe und ich selbst geblieben bin. Authentisch und unverstellt. Dass ich mich da zu Wort gemeldet habe, wo es notwendig war. Dass ich den Julis für ihre Themen Gehör verschafft und die liberalen Prinzipien der Jungen Liberalen ins Gespräch gebracht habe. Dass jeder freiheitsliebende Mensch in Deutschland weiß: An den Jungen Liberalen führt kein Weg vorbei!