US-Präsident Joe Biden steigt aus, seine Vize Kamala Harris steigt ein ins Rennen um die oder den 47. Präsident:in der USA.
Seit Wochen war Biden zu diesem Rückzug gedrängt worden – zuletzt nachdrücklich auch aus seiner eigenen Partei heraus. Jetzt ist es so weit, Biden verkündete am Sonntag mit einer Erklärung auf Social Media: "Es war die größte Ehre meines Lebens, als euer Präsident zu dienen. Und obwohl ich vorhatte, mich wiederwählen zu lassen, glaube ich, dass es im Interesse der Partei und des Landes ist, dass ich zurücktrete."
Er werde sich jetzt ganz darauf konzentrieren, seine Pflichten als Präsident bis zum Ende seiner Amtszeit zu erfüllen.
Kamala Harris hatte neben Bidens Unterstützung sofort die vieler anderer prominenter Parteimitglieder inne. Nur Ex-US-Präsident Barack Obama hielt sich bislang zurück. Doch warum die Zurückhaltung? Laut Überlegungen der "New York Times", weil er nicht die Fäden in die Hand nehmen und den Wahlkampf dadurch beeinflussen wolle.
"Ich bin bereit, zu dienen. Daran gibt es keinen Zweifel. Jeder, der mich bei der Arbeit sieht, ist sich meiner Führungsqualitäten voll bewusst", hatte Harris bereits im Februar zu einem möglichen Szenario gesagt, das Amt von Präsident Joe Biden zu übernehmen. Nun könnte es Wirklichkeit werden.
Doch sind die USA überhaupt bereit für eine Frau als Präsidentin – und speziell für die 59-jährige Kamala Harris?
"Ja!", sagt USA-Experte Thomas Greven auf Anfrage von watson. Auch die meisten Republikaner sähen das so. "Es wurden ja auch Kandidatinnen für die Vizepräsidentschaftskandidatur gehandelt."
Doch die Kandidatur Harris' ist keineswegs sicher. Zunächst braucht es einen Nominierungsparteitag. Der wäre eigentlich im August geplant. Daran nehmen Delegierte aus allen 50 US-Bundesstaaten, der Hauptstadt Washington und der Überseegebiete teil. Der eigentlich lange Zeit als Favorit geltende Joe Biden ist dafür jetzt raus.
Unklar ist, ob die Demokraten nun bis August damit warten, oder eine Art "Blitz-Parteitag" einberufen. Denn bei all der Unterstützung, können die Demokraten nicht einfach Harris nominieren, sondern müssen auch anderen Kandidat:innen eine Chance geben.
Doch wen? Denn die meisten der potenziellen Kandidierenden haben sich bislang hinter Biden gestellt – und selbst selten das internationale Rampenlicht gesucht.
Greven rechnet zwar mit Harris, doch es könnte sich durchaus jemand anderes schnell in Stellung bringen, das sei nicht ausgeschlossen.
Wenn der Plan allerdings aufgeht und Harris das Rennen für die Demokraten gewinnt, braucht es zudem eine:n neue:n Vize. Greven zufolge kommen dafür nur jüngere, weiße Männer infrage, "idealerweise aus dem Süden oder Mittleren Westen". Ein möglicher Kandidat wäre laut des Experten Gouverneur Andy Beshear aus Kentucky. Er würde ein Gegengewicht zu Harris beim Kampf um die Wählergunst darstellen.
Eine Situation wie aktuell hat es in den USA in der jüngeren Vergangenheit noch nicht gegeben. Am 31. März 1968 schockierte der damalige Präsident Lyndon Johnson die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, nicht erneut kandidieren zu wollen.
Dieser Schritt, der deutlich länger vor der Wahl angekündigt wurde als Bidens Rückzug, verwandelte den damaligen Parteitag in politisches Chaos: Es kam zu Protesten, die Partei zerfleischte sich.
Ähnliche Szenarien hält Greven für unwahrscheinlich. Doch ausgeschlossen ist dies nicht gänzlich: "Nach dem alten Bonmot 'Ich bin kein Mitglied einer organisierten Partei, ich bin Demokrat' ist Chaos immer möglich, insbesondere wenn es Herausforderer gibt, die schnell viele Unterstützer finden."
Folglich ist der Biden-Rückzug kein großer Gewinn für den Präsidentschaftsanwärter der Republikaner Donald Trump. Denn der würde laut Greven nur von Chaos bei seinen Gegner:innen profitieren.
"Schließen sich die Reihen schnell um Harris, die eine sehr gute Debattiererin ist, und findet sie einen guten Vize-Kandidaten, wird es schwieriger für Trump", prognostiziert Greven.
Kommt Bidens Schritt zu spät? Schließlich wurde er wochenlang nicht nur von den Republikanern gedrängt, den Platz zu räumen. Auch seine eigene Partei wurde ungeduldig. Sie fürchteten, Biden würde sie mit in den Abgrund ziehen, hatten Angst vor einer Total-Klatsche.
Etwa, dass sie sowohl das Präsidentschaftsrennen mit ihm verlieren würden als auch die Chance auf eine Mehrheit im Repräsentantenhaus. Denn alle zwei Jahre finden in den USA auch die Kongresswahlen statt. Einmal zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl, und dann nach zwei Jahren Amtszeit – als Stimmungsbild der derzeitigen Politik.
Zu den Kongresswahlen werden die Sitze des Repräsentantenhauses sowie ein Drittel der Sitze im Senat neu vergeben. Derzeit haben die Republikaner das Sagen im Repräsentantenhaus, die Demokraten im Senat.
Greven findet, Bidens Schritt komme "spät, aber wohl nicht zu spät". Wichtig sei das Timing gewesen, nach dem Anschlag auf Trump und dem Parteitag der Republikaner. Das nehme diesen Ereignissen etwas den Schwung und mobilisiere die Demokraten vor ihrem Parteitag im August.
Der Experte ist sich sicher: "Es ist noch alles möglich."