Lange wurde spekuliert und gefordert – nun ist es tatsächlich so weit: US-Präsident Joe Biden hat sich dem wachsenden Druck von außen und aus den eigenen Reihen gebeugt und zieht sich aus der Präsidentschaftskandidatur für die US-Wahl im Herbst zurück.
Er teilte diese Entscheidung via X mit: "Es war die größte Ehre meines Lebens, als euer Präsident zu dienen. Und obwohl ich vorhatte, mich wiederwählen zu lassen, glaube ich, dass es im Interesse der Partei und des Landes ist, dass ich zurücktrete", heißt es in der Erklärung. Er werde sich jetzt ganz darauf konzentrieren, seine Pflichten als Präsident bis zum Ende seiner Amtszeit zu erfüllen. Ein Rücktritt ist demnach nicht geplant.
Diese Entscheidung, nur etwas mehr als 100 Tage vor der Präsidentschaftswahl seine Kandidatur zurückzuziehen, ist historisch – und beispiellos in der jüngeren Geschichte der USA. Doch wie geht es nun weiter?
Einen klaren, fest geschriebenen Ablauf für einen Fall wie diesen gibt es nicht. In den kommenden Tagen werden die Mitglieder von Bidens Demokratischer Partei nach Angaben ihres Vorsitzenden Jaime Harrison einen "transparenten und geordneten Prozess einleiten", um eine:n Kandidat:in zu bestimmen.
Geplant ist der offizielle Nominierungsparteitag eigentlich erst im August. Daran nehmen Delegierte aus allen 50 US-Bundesstaaten, der Hauptstadt Washington und der Überseegebiete teil.
Der eigentlich lange Zeit als Favorit geltende Joe Biden ist dafür jetzt raus.
Er hatte die Vorwahlen mit großem Vorsprung gewonnen. Eigentlich sind die 3900 Delegierten, die zum Parteitag ab 19. August nach Chicago fahren, dazu verpflichtet, für ihn zu stimmen. Und: Hochrangige Demokraten hatten geplant, den amtierenden US-Präsidenten bereits vorher in einer Online-Abstimmung nominieren zu lassen. Doch ob dieses Treffen stattfinden wird, ist mit dem Rückzug Bidens nun unklar.
Was jetzt mit den bereits angesetzten Wahlkampf-Terminen und TV-Auftritten passiert, ist nicht bekannt. "Unsere Delegierten sind bereit, ihre Verantwortung ernst zu nehmen, um dem amerikanischen Volk schnell einen Kandidaten zu präsentieren", sagt Parteichef Jaime Harrison. Er fügt hinzu, dass der Prozess durch die etablierten Regeln und Verfahren der Partei geregelt werde.
Der späte Wechsel des Kandidaten könnte die US-Politik in einer Ära zurückversetzen, in der Parteibosse in verrauchten Hinterzimmern und bei endlosen Abstimmungsrunden darum kämpfen, eine:n Kandidat:in auszuwählen.
Am 31. März 1968 schockierte der damalige Präsident Lyndon Johnson die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, nicht erneut kandidieren zu wollen. Dieser Schritt, der deutlich länger vor der Wahl angekündigt wurde als Bidens Rückzug, verwandelte den damaligen Parteitag in eine politische Krise. Es kam zu Protesten auf den Straßen, und die Parteilinke war über die Nominierung des Vietnamkriegsbefürworters Hubert Humphrey wütend.
Nach dieser Debatte begannen die Bundesstaaten, den Vorwahlprozess ernster zu nehmen und die Ergebnisse der Nominierungsparteitage sind seither im Prinzip vorhersehbar. Eine naheliegende, wenn auch nicht feststehende Wahl für Bidens Nachfolge wäre Vizepräsidentin Kamala Harris, die Biden kurz nach seiner Rückzugsankündigung seine Unterstützung zusicherte.
Der Vorteil ihrer Kandidatur wäre, dass sie bereits auf der Liste vieler Spender:innen, zusammen mit Joe Biden, steht. Bereits gespendete Gelder könnte sie in diesen Fällen nahtlos übernehmen. Geld ist ein nicht zu unterschätzender Faktor im Wahlkampf in den USA.
Auch Ex-Präsident Bill Clinton und Ex-Außenministerin Hillary Clinton sprachen sich schnell für Harris aus. Neben der Vizepräsidentin könnten weitere demokratische Politiker:innen ermutigt werden, zu kandidieren. Die Gouverneurin Gretchen Whitmer aus Michigan und der Gouverneur Josh Shapiro aus Pennsylvania wurden bereits in der Vergangenheit genannt. Ein weiterer vielversprechender Kandidat, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom, sprach sich noch am Sonntag für Harris als Präsidentschaftskandidatin aus.
Bidens Rückzug könnte theoretisch auch die Tür für einen Kandidaten einer dritten Partei öffnen. Bislang droht den beiden dominanten Parteien im politischen System der USA jedoch keine Gefahr durch einen unabhängigen Kandidaten. 1992 erhielt der texanische Milliardär Ross Perot als Unabhängiger immerhin fast 19 Prozent der Stimmen. Aufgrund des Wahlsystems bekam er jedoch keine der entscheidenden Stimmen des sogenannten Electoral College, dessen 538 Mitglieder am Ende über den Sieg entscheiden.
(Mit Material von afp)