Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sprach Russlands Präsident Wladimir Putin öffentlich stets nur von einer "militärischen" Spezialoperation. Die Verwendung des Begriffs "Krieg" in der Öffentlichkeit war verboten. Wer dagegen verstieß, musste mit horrenden Strafen rechnen. Es hagelte in diesem Zusammenhang Festnahmen.
Medien, die Putins Überfall auf die Ukraine mit dem verbotenen Wort betitelten, drohte etwa eine Liquidierung durch ein Gerichtsurteil oder gigantische Geldstrafen. Auch die Wörter "Aggression" oder "Invasion" sind seitdem aus der Ukraine-Berichterstattung kremlnaher Medien in Russland verschwunden.
Nun die Kehrtwende. Laut eines Politikwissenschaftlers und Osteuropa-Experten ist die veränderte Kommunikation eine längst überfällige Anpassung. Die Verwendung des Wortes "Krieg" deutet ihm zufolge auf einen möglichen Richtungswechsel hin.
Mehr als zwei Jahre nach dem Beginn des Ukraine-Krieges nahm der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow höchstpersönlich das verbotene Wort in den Mund. Der Putin-Vertraute lieferte dabei gleich eine Schuldzuweisung mit: "Es (der Ukraine-Krieg) hat wie eine militärische Spezialoperation begonnen, aber sobald die Clique da entstanden ist, als der kollektive Westen aufseiten der Ukraine zum Beteiligten wurde, da wurde es für uns zum Krieg", sagte er im Interview mit der Zeitschrift "Argumenty i Fakty". Er rief die Russen zur Einheit und zur "inneren Mobilmachung" auf.
Überraschend kommt dieser Wandel in der Kommunikation für den Osteuropa-Experten Andreas Umland nicht. Der Analyst des Stockholm Centre for Eastern European Studies sieht in den Worten Peskows eine Anpassung der Terminologie an die Lebensrealität der Menschen in Russland. "Es ist eine Folge der Erfahrung der letzten zwei Jahre, dass die Vermeidung dieses Begriffs immer mehr im Widerspruch zur tatsächlichen Situation ist", erläutert er im Gespräch mit watson. Der Kreml passe sich nun an die öffentliche Wahrnehmung an. Da stellt sich die Frage: warum gerade jetzt?
Umland sieht hier die aktuellen Ereignisse auf dem russischen Territorium als entscheidenden Faktoren: Durch die Angriffe in Russland sowie die sich verschärfende Lage in den Grenzregionen lässt sich der Krieg offenbar nicht mehr leugnen.
Zur Einordnung: Pro-ukrainische Einheiten, die sich aus russischen Kämpfern zusammensetzen, hatten ihre Angriffe auf russische Grenzregionen zuletzt verstärkt. Sie haben angekündigt, ihre Angriffe in russischen Regionen fortzusetzen.
Die alte Terminologie, nur von einer "Spezialoperation" zu sprechen, sei nicht mehr zu halten, sagt Umland. Die Anpassung der Wortwahl wäre nach Meinung des Experten "früher oder später sowieso passiert. Man hat jetzt wahrscheinlich einfach bis nach den Pseudowahlen gewartet, um diesen Richtungswechsel einzuleiten".
Mit dem Richtungswechsel meint Umland die zunehmende Umstellung auf eine Kriegswirtschaft. Wladimir Putin und der Kreml schwören die Menschen in Russland auf den Krieg ein. Dazu gehören etwa neue "Rüstungs- und Mobilisationswellen". Diese müsse der Kreml vor der eigenen Bevölkerung rechtfertigen. "Wenn es jetzt neue Maßnahmen zur Einziehung von Männern oder neue Rüstungsprojekte gibt, muss das gerechtfertigt werden." Hierbei sei die terminologische Anpassung hilfreich.
Die veränderte Kommunikation des Kremls könnte dem Experten zufolge zudem eine Einleitung für eine weitere politische Radikalisierung des Regimes sowie eine neue "Neubegründung für einen westlich-russischen Krieg" sein.