Die Jugendorganisationen der demokratischen Parteien stellen sich gegen den Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einen Pflichtdienst für junge Menschen einzuführen.
Die Organisationen Jusos, Grüne Jugend, Junge Liberale und die Linksjugend (Solid) sprachen sich auf Anfrage von watson entschieden gegen eine solche Pflicht aus.
Die Junge Union hat bislang auf die Anfrage nicht reagiert.
Jessica Rosenthal, Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos, nannte die Debatte "abstrus und aus der Zeit gefallen". "Egal ob auf Fridays for Future-Demos, in Einrichtungen für Geflüchtete oder bei digitalen Initiativen wie Freifunk – mehr als 63 Prozent der jungen Menschen engagieren sich bereits auf vielfältige Art und Weise."
Einen Pflichtdienst einzufordern sei vermessen und "ein Schlag ins Gesicht aller jungen, engagierten Menschen". Zudem löse man so keines der aktuell schwelenden Probleme.
Sie sagte:
Stattdessen müssten junge Menschen in ihrem Engagement gestärkt und Freiwilligendienste sowie Engagement-Möglichkeiten für neue Personengruppen zugänglicher gemacht werden. Junge Menschen aus einkommensschwachen Familien könnten sich ein ehrenamtliches Engagement gar nicht leisten.
"Freiwilligdienstleistende bekommen ein zu kleines Taschengeld und Azubis und Student:innen müssen mit Nebenjobs ihr Leben finanzieren", sagte Rosenthal weiter. "Dadurch fällt das Ehrenamt dann viel zu häufig hinten runter. Statt irgendwelcher Scheindebatten über eine Engagement-Pflicht braucht es gute Grundlagen für junges Engagement."
Auch Sarah-Lee Heinrich, Sprecherin der Grünen Jugend, sieht in dem Vorschlag einen falschen Ansatz.
Auf Anfrage von watson sagte sie:
Schon jetzt würden FSJ-Stellen häufig dazu genutzt, Lücken aufzufüllen, wo ein Mangel an Fachkräften herrsche – wie etwa in der Altenpflege. Wer sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorge, muss dafür sorgen, dass Bereiche wie das Gesundheitssystem nicht länger kaputtgespart würden, meinte Heinrich. "Auch deswegen haben die Streikenden an den Unikliniken in NRW meine volle Solidarität."
Franziska Brandmann von den Jungen Liberalen zeigte sich empört.
Bürgerinnen und Bürger arbeiteten in der Regel jahrzehntelang und befähigten durch hohe Steuern und Abgaben den Staat dazu, seinen Aufgaben nachzukommen. Singles mit einem durchschnittlichen Bruttoeinkommen gäben 48 Prozent dieses Einkommens an den Staat ab. "Sie arbeiten also fast das halbe Jahr für das Gemeinwohl. Nun auch noch eine Dienstpflicht einzuführen, ist übergriffig", sagte Brandmann.
Zusätzlich dazu sei eine Dienstpflicht ineffizient, meinte die Juli-Chefin. "Sicherlich benötigen wir in einigen Bereichen - etwa in der Pflege – mehr Personal. Aber dafür braucht es qualifiziertes, geschultes Personal, keine unfreiwilligen und ungelernten Bürgerinnen und Bürger, die für wenige Monate aushelfen."
Auch Brandmann fordert die Bundesregierung auf, das Ehrenamt attraktiver zu machen und Freiwilligendienstleistende besser zu bezahlen.
Vor allem das Framing des Vorschlags stößt Brandmann sauer auf.
Sie sagte:
In der Corona-Pandemie hätten sie ihre Freiheiten enorm eingeschränkt, um ältere Bürgerinnen und Bürger zu schützen. "Viele von ihnen hatten unter der Pandemie stark zu leiden und haben Probleme mit ihrer mentalen Gesundheit. Sie sollten jede Unterstützung erhalten und vor allem die Möglichkeit bekommen, Versäumtes nachzuholen."
Eine Debatte über eine Dienstpflicht bezeichnet Brandmann "heute so fehl am Platz wie noch nie zuvor".
Wie die anderen Organisationen stellte sich auch die Linksjugend (Solid) gegen den Steinmeier-Vorschlag.
Henrik Spieler, Bundessprecher der Jungpartei sagte:
Dass diese sich jedoch in einer miserablen Lage befänden, liege nicht an mangelndem Engagement oder dem fehlenden Interesse. "Das Problem des sozialen Sektors hat System", sagte Spieler. "Profitlogik und Privatisierungen sorgen für Strukturschwäche, schlechte Löhne und einen Mangel an Ansehen dieser Tätigkeiten innerhalb der Gesellschaft."
Zudem meinte Spieler, eine "soziale Pflichtzeit" würde am Ende die eigentlichen Probleme nur kaschieren. Sie sorge "lediglich dafür, dass man diese nicht mehr in einem solchen Ausmaß wahrnehmen kann."
Besonders, dass Jugendliche erneut das Ziel von Pflichtvorstellungen und geforderten Zwangsmaßnahmen sind, nehme die Linksjugend entsetzt zur Kenntnis. Die Jugend würde so zum "Sündenbock der Strukturschwäche verklärt".
Das Gute an einem Freiwilligendienst sei, dass dieser eben freiwillig ist. Spieler sagte: "Alle Versprechungen des sozialen Pflichtdienstes, wie eine Horizonterweiterung oder auch die Überzeugung von der verübten Tätigkeit, können also bereits im Freiwilligendienst Realität werden."