Die Geschichte holt Deutschland ein. Das von Nazi-Deutschland überfallene Polen bezifferte am Donnerstag seine Schäden aus dem Zweiten Weltkrieg – und will nun Reparationen. Mehr als 1,3 Billionen Euro Schaden habe Deutschland demnach verursacht.
Der Vorsitzende der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, sprach in Warschau von einem "enormen Schaden" bis heute.
Der Tag der Veröffentlichung ist historisch: genau 83 Jahre nach dem deutschen Überfall auf das Nachbarland und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Der Bericht mit der von der Parlamentskommission errechneten Schadenssumme soll Polens Reparationsforderungen an die Bundesrepublik untermauern.
Anders sehen das offenbar deutsche Politiker:innen, wie diese auf watson-Anfrage verdeutlichen.
So betrachtet etwa der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Frage der Reparationen mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag als rechtlich abgeschlossen. "Es gibt keine rechtliche Grundlage für etwaige Forderungen aus Polen. Die Forderungen sind daher abzulehnen."
Damit hat er nicht Unrecht.
Denn: Der am 12. September 1990 in Moskau abgeschlossene Zwei-plus-Vier-Vertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges stellte offiziell die endgültige innere und äußere Souveränität des vereinten Deutschlands her.
Demnach soll auch Polen keine neuen Forderungen erheben können – zumal es 1953 auf weitere Ansprüche verzichtet hatte und von der Sowjetunion vor allem durch abgetretene deutsche Ostgebiete entschädigt worden war.
Zuletzt wies Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Antrittsbesuch in Warschau im Dezember Polens Forderungen nach Weltkriegs-Reparationen zurück. Und er verwies darauf, dass Deutschland "sehr, sehr hohe Beiträge" zur Finanzierung des EU-Haushalts leiste.
Polen ist der größte Netto-Empfänger von EU-Geldern.
Darauf weist auch der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt, hin: "Die polnische Forderung ist unbegründet. Sie wird von der Bundesregierung richtigerweise zurückgewiesen", sagt er gegenüber watson.
Dass die Debatte in Polen jetzt hochkomme, liegt seiner Meinung nach am geschwundenen Vertrauen der Menschen in Polen in deutsche Verlässlichkeit. "Einst war Deutschland für Polen der Motor der europäischen Integration und hat unserem östlichen Nachbarn den Weg in die EU geebnet", sagt er.
Die jahrelange arrogante Haltung Deutschlands in verschiedensten politischen Belangen habe dieses lange gewachsene Vertrauen zerstört. "Ebenso die Distanz, die die Bundesregierung zur polnischen Regierung sucht", findet er. Bundeskanzler Scholz müsse diese Entfremdung dringend überwinden.
Auch Robin Wagener (Grüne) verweist auf den Verzicht Polens auf Reparationsforderungen in der Vergangenheit. Zusätzlich kritisiert er Polens Vorgehen:
Zwar sei es formalpolitisch richtig, die Forderungen zurückzuweisen. "Moralisch und politisch ist die Debatte aber nicht beendet und wir sollten einen zugewandten Dialog in dieser Frage zu unseren engsten Partnern und Freunden suchen", sagt er gegenüber watson. Schließlich habe Deutschland in Polen "die schwersten Menschenrechtsverletzungen" zu verantworten.
Aydan Özoğuz (SPD) hebt die enge Verbundenheit von Deutschland und Polen in Nato und der EU hervor. Die Partnerschaft sei auch entscheidend dafür, dass in Europa zahlreiche Krisen und Herausforderungen erfolgreich gemeistert werden, nicht zuletzt Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg und Putins Russland. Diese würden nicht einfach verschwinden. Gegenüber watson sagt sie:
Doch richtig sei auch, "dass das unermessliche Leid und die Zerstörung, die Deutschland in Polen im 2. Weltkrieg angerichtet hat, von uns Deutschen bis heute nicht ausreichend verstanden und anerkannt werden", sagt sie.
Es reiche deswegen nicht, das für viele Polen hinter den materiellen Forderungen stehende moralische Anliegen einfach abzutun, findet die SPD-Politikerin. "Notwendig ist hierüber ein fairer und offener Dialog auf Augenhöhe über die Frage."
Auch für Aydan Özoğuz ist die Debatte demnach noch nicht abgeschlossen.