Überschattet von Ausschreitungen wütender Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump hat der US-Kongress die Wahl-Niederlage des Republikaners endgültig besiegelt. Nach der gewaltsamen Erstürmung des US-Parlamentssitzes zertifizierten die beiden Kongresskammern offiziell den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl vom November.
Trump teilte am Donnerstagabend schließlich mit, dass er eine friedliche Machtübergabe ermöglichen werde. Bei seinem Statement bekräftigte er zugleich, dass er nicht mit dem Ausgang der Wahl einverstanden sei.
Auch in Deutschland haben die Bilder aus den USA bestürzte Reaktionen hervorgerufen.
Watson habt einige der wichtigsten deutschen Außenpolitiker um ihre Einschätzung gebeten.
Peter Beyer, Transatlantikkoordinator der Bundesregierung und CDU-Bundestagsabgeordneter, haben die Szenen an die Endzeit-Visionen mancher TV-Serien erinnert. Gegenüber watson erklärte Beyer:
Beyer warnte davor, angesichts der beunruhigenden Entwicklungen das Bündnis Deutschlands und der EU mit den USA infrage zu stellen. "Ein großer Fehler wäre es jetzt, sich von den USA abzuwenden. Oder wie Teile der SPD eine Abkopplung anzustreben", meinte Beyer und ergänzte: "Vielmehr müssen wir die demokratieliebenden Freunde in Amerika unterstützen. Nur als enge Bündnispartner sind Europa und die USA stark und resilient."
Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sieht eine schwere Schuld beim noch amtierenden Präsidenten Donald Trump. "Die dramatischen Geschehnisse in Washington sind das Ergebnis von vier Jahren destruktiver Politik durch Donald Trump", meinte Schmid zu watson. "Deutlicher konnte der Präsident seine Verachtung gegenüber den demokratischen Institutionen in den USA nicht zeigen. Mit diesem Schritt hat Trump bewusst eine Grenze überschritten."
Trumps Äußerungen vom Donnerstagabend, mit denen er sich von den Kapitol-Angreifern distanziert hat, ändern daran aus Schmids Sicht nichts. Er erklärt dazu:
Mit Blick auf die kommenden Jahre ist SPD-Mann Schmid verhalten optimistisch. Sein Ausblick: "Dem künftigen Präsidenten Joe Biden obliegt es nun, die polarisierte amerikanische Gesellschaft wieder zu vereinen. Dies ist eine große Herausforderung, zugleich sind die USA nach wie vor eine starke Demokratie."
CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sieht mit Blick auf die Bilder in der US-Hauptstadt Washington viel Schatten – aber auch Signale der Hoffnung. Gegenüber watson sagt Kiesewetter mit Blick auf Donald Trumps Verhalten:
Trump nehme "mit demokratiefeindlichen Methoden die Destabilisierung einer der ältesten westlichen Demokratien in Kauf". Kiesewetter ergänzte: "Das bereitet mir Sorge auch für uns in Deutschland, weil erkennbar ist, wie schnell das in Gewalt und Extremismus umschlagen kann."
Es sei allerdings "ein gutes Zeichen, dass der US-Senat einige Stunden nach dem Vorfall seine Sitzung fortgesetzt hat. Denn die Demokratie ist stärker!" "Hohe Anerkennung" gelte dem künftigen Präsidenten Joe Biden, der in seiner Rede "die richtigen Worte und den angemessenen Stil" gefunden habe.
Die Szenen in Washington beinhalten laut Kiesewetter eine Lektion für demokratische Politiker auch in Deutschland:
Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Links-Fraktion im Deutschen Bundestag, sagt gegenüber watson:
"Nach meiner Kenntnis hat es ein solches Geschehnis in Washington wegen der geplanten Bekanntgabe eines Wahlergebnisses noch nie gegeben. Hier zeigt sich wie ungeheuer verantwortungslos Präsident Trump handelt, weil er das Wahlergebnis nicht akzeptieren will und Teile der Bevölkerung aufhetzt.
Es ist gut, dass der Kongress nun das demokratisch gewonnene Wahlergebnis bestätigt hat."
Auch die FDP verurteilt die Ausschreitungen in Washington. Bijan Djir-Sarai, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagte gegenüber watson:
"Die Bilder aus Washington sind zutiefst schockierend. Die Stürmung des Kapitol ist ein Skandal und ein dunkler Tag für die amerikanische Demokratie.
Vor dem durch den Kongress bestätigten US-Präsidenten Joe Biden liegt die Mammutaufgabe, das zutiefst gespaltene Land zu versöhnen."
Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, verurteilt die Ausschreitungen in Washington scharf. Er fühlt sich an die versuchte Stürmung des Reichstags in Berlin im vergangenen Sommer erinnert. Gegenüber watson erklärte er im Interview:
"Es war absolut schockierend. Erst erinnerte es mich an die Bilder vom Reichstag in Berlin im Sommer, als Corona-Leugner dort versuchten, das Parlament zu stürmen. Dann ist mir aber der frappierende Unterschied klargeworden: In Berlin hat nicht der amtierende Präsident dazu aufgerufen – und man ging nicht davon aus, dass diese Menschen bewaffnet sein könnten."
Weiter erklärte Nouripour, dass die USA sich von diesem Schock erholen werden: "Trotz dieser Schande von gestern ist die amerikanische Politik stark. Das ist hoffentlich der finale Weckruf für die republikanische Partei: entweder Trump oder Demokratie."
(lw/se/mit Material von dpa)