Die Sozialdemokraten haben eine neue Spitze. Norbert Walter-Borjans, der die Partei seit 2019 gemeinsam mit Saskia Esken geführt hatte, war beim Parteitag am Samstag nicht erneut angetreten. Esken schon – und am Nachmittag wurde per Wahl bestätigt: Sie führt die SPD künftig gemeinsam mit dem bisherigen Generalsekretär Lars Klingbeil.
Der Posten des Anwaltes der Partei – was ein Generalsekretär quasi ist – wurde ebenfalls neu besetzt, und zwar mit einem bereits weithin bekannten, noch jungen Politiker: Kevin Kühnert, dem früheren Juso-Vorsitzenden.
Im watson-Interview spricht Kühnert über seine Pläne für die SPD, über Parität und Gleichberechtigung und über den Umgang mit Koalitionspartnern und der Opposition.
watson: Herr Kühnert, Sie haben Ihren Hoodie gegen ein Sakko getauscht. Werden Sie jetzt seriös?
Kevin Kühnert: Ich trage einfach weiterhin das, worin ich mich wohlfühle. Ich habe früher weniger Hoodie getragen, als mir unterstellt wird. Ich trage jetzt weniger Sakko als wahrgenommen wird. Aber es ist schön zu sehen, dass endlich auch mal über die Kleidung von Männern geredet wird.
Vor zwei Jahren haben Sie Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf ihre Chefposten verholfen und einen Vorsitzenden Olaf Scholz verhindert. Nun werden Sie Generalsekretär, Scholz ist Kanzler. Muss er sich warm anziehen?
Es ist Winter, da ist es immer gut, sich dick anzuziehen. Aber Spaß beiseite. Das Amt, das Olaf Scholz angenommen hat, ist sicherlich hart. Aber nicht, weil ich Generalsekretär werde, sondern weil die Zeiten hart sind. Mein Job ist es, loyal für die Partei zu arbeiten und Olaf Scholz ist der Kanzler aus den Reihen der SPD. Insofern gilt meine Loyalität selbstverständlich auch ihm. Aber in der SPD pflegen wir ein offenes Wort miteinander, das ist Teil unseres Erfolgs. Das werden wir beibehalten, ansonsten wird unsere Erfolgssträhne irgendwann enden.
Die SPD hatte auch schon andere Zeiten. Das heißt, Sie haben als Partei daraus gelernt, wie es mit der damaligen Vorsitzenden Andrea Nahles gelaufen ist, die sozusagen rausgemobbt wurde?
Wir sagen mit Blick auf diese Zeit oftmals: "Wir haben damals alle zusammen in den Abgrund geschaut." Und da will niemand noch mal reingucken. Nicht nur, weil es der Partei danach in den Umfragen schlecht ging, sondern weil es auch menschlich nicht schön gelaufen ist. Das wurde unseren eigenen Ansprüchen an eine gute Politik nicht gerecht. Und ich glaube, wir haben wirklich daraus gelernt.
Scholz hat beim Juso-Bundeskongress dafür geworben, die Opposition, statt der Koalitionspartner zu kritisieren: Wollen auch Sie sich gegenüber den Koalitionspartnern zurückhalten – gerade mit Blick auf die FDP, die etwa Ihren eigenen vermögens- und finanzpolitischen Ansichten zu 180 Grad entgegensteht?
Mit den Koalitionspartnern haben wir einen Vertrag geschlossen und werden dafür arbeiten, dass der gelingt. Und wir haben uns mit diesem Vertrag auf einen Stil geeinigt: Wir wollen Probleme erst mal miteinander besprechen und lösen, statt uns in Talkshows anzubrüllen. Meinungsverschiedenheiten wird es trotzdem geben.
Und die Opposition?
Mit der Opposition muss man sich hart auseinandersetzen. Das ist auch ein demokratisches Gebot gegenüber der Öffentlichkeit, die Unterscheidbarkeit erwarten darf. Aber hier ist mir eine Differenzierung wichtig: CDU, CSU und Linke sind hier natürlich nicht mit der AfD in einen Topf zu werfen. Das eine sind politische Konkurrenten und das andere ist der politische Feind. Und das wird mir auch wichtig sein in der Kommunikation als Generalsekretär.
Die neue Innenministerin Nancy Faeser hat den Kampf gegen Rechts zur Chefinnensache erklärt und die AfD leitet nun den Innenausschuss. Das steht nun erst mal im Gegensatz zueinander.
Wir sind alle nicht happy darüber. Mit dem Wahlergebnis, das die AfD erzielt hat, hat sie aber den Anspruch auf drei Ausschussvorsitze. Und mir fällt kein einziger ein, den ich denen gerne gegeben hätte. Ich möchte überhaupt keine Rechtsradikalen in irgendeiner Position mit Verantwortung.
Aber?
Klar, Ausschüsse sind wichtig, aber die Sitzungsleitung in einem Ausschuss bringt eine Partei nicht in die Position, ein Gesetz im Grundsatz zu verhindern oder es in ihrem Sinne zu verändern. Die Politik der Bundesregierung wird geprägt sein von dem, was SPD, Grüne und FDP parlamentarisch auf den Weg bringen. Im Kampf gegen Rechts insbesondere auch davon, wie das Innenministerium und die Sicherheitsbehörden arbeiten. Aber nicht davon, wie die Vorsitzenden des Innenausschusses denken. Das ist in erster Linie eine Belastung für die Beratungssituation dort vor Ort. Und sicherlich wird man sich dort vieles anhören müssen, was schwer erträglich ist.
Die Angst davor, dass die Gesellschaft sich spaltet, ist ein Thema, dass die junge Generation laut einer neuen Trendstudie besonders umtreibt. Ebenso die Sorge um die Absicherung bis ins hohe Alter – also die Rente. Auch sonst bedient die SPD viele Themen, die junge Menschen betreffen. Sie sind mit 32 Jahren nun Generalsekretär – wie möchten Sie die Themen der jungen Generation noch mehr in die Mitte der Partei bringen?
Ich möchte weiterhin junge Menschen in der SPD fördern, denn Repräsentation schafft Sensibilität. Sie haben zwar recht, ich bin mit 32 Jahren ein junger Generalsekretär, aber ich weiß nicht, ob 18- oder 19-Jährige mich noch so wahnsinnig jung finden. Und wir haben uns vorgenommen, viel in den Bereichen Ausbildung und Studium zu machen, zum Beispiel mit einer großen Bafög-Reform und der Ausbildungsgarantie.
Das waren explizit Vorhaben der Jusos.
Ja, sie zeigen, dass unsere Jugendorganisation wirklich die Themen junger Menschen in die SPD trägt und jetzt auch in Parlament und Regierung. Wir haben mit dieser Wahl und den 49 jungen Abgeordneten, die wir in den Bundestag gepusht haben, auch gezeigt, dass wir jungen Menschen Verantwortung tatsächlich anvertrauen.
Spitzenreiter bei jungen Menschen waren bei dieser Bundestagswahl die Grünen und die FDP, also ihre Koalitionspartner. Wie wollen Sie Ihre Partei bei der nächsten Wahl besser bei den jungen Menschen vermarkten?
Ich glaube, nach acht Jahren Große Koalition hat man nicht den Sexappeal-Award bei jungen Menschen. Aber ich glaube auch, dass uns jetzt viele noch einmal neu kennenlernen werden.
Inwiefern?
Nehmen wir als Beispiel das Transsexuellengesetz, das überwunden werden soll. Das stand bereits vor wenigen Monaten in der vergangenen Wahlperiode zur Abstimmung. Und am Ende haben wir gegen die Anträge von Grünen und FDP gestimmt.
Weil...
... wir uns in der Koalition nicht einigen konnten. Nicht weil wir gegen das Ansinnen waren. Im Gegenteil. Und ich glaube, dass solche Situationen bei manchen immer wieder dazu führen, zu denken, die SPD will das gar nicht. Und denen können wir jetzt zeigen: Wir wollen das sehr wohl. Und jetzt haben wir auch die Mehrheiten, vieles umzusetzen.
Vor der Ernennung der Minister gab es diverse Listen, auf denen Karl Lauterbach zum Beispiel nicht zu finden war. Jetzt ist er trotzdem Gesundheitsminister. Wurde dem öffentlichen Druck nachgegeben?
Nee, also diese Listen sind wirklich etwas Faszinierendes. Was darauf zu lesen war, war zu jeder Zeit Kokolores, denn die Ministerien werden tatsächlich erst am Ende der Koalitionsverhandlungen verteilt
Und Karl Lauterbach?
Die Entscheidung für Karl Lauterbach ist eine ganz logische gewesen. Es war die Erwartungshaltung von eigentlich allen – sowohl von den vielen, die ihn schätzen und denen er Orientierung bietet, als auch von denen, die ihn anstrengend finden. Alle erkennen an: Er ist das Gesicht der Pandemiebekämpfung. Und am wichtigsten ist: Er kann das. Vermutlich besser als alle anderen.
Wobei wir natürlich alle hoffen, dass er nicht die komplette Legislaturperiode mit der Bekämpfung der Pandemie zu tun haben wird.
Das wäre schön!
Aber nun noch einmal zu Ihrem Parteitag, bei dem ein neuer SPD-Vorsitz gewählt wird: Welche Erwartungen haben Sie denn an das neue Spitzenduo Saskia Esken und Lars Klingbeil?
Wir haben uns gemeinsam vorgenommen, die SPD programmatisch auf der Höhe zu halten. Und wir wollen auch in vielen Bereichen arbeiten, in denen die SPD nicht die Ministerien führt. Um bereit zu sein, jederzeit auch noch mehr Verantwortung übernehmen zu können. Wir wollen also einen Vorrat schaffen von Ideen, die über eine Wahlperiode hinausweisen.
Das klingt so, als wäre der Plan in vier Jahren nicht erneut zu dritt zu regieren, sondern gar zu zweit?
Wir freuen uns jetzt auf die gemeinsame Regierungsarbeit. Aber ich werde mich nicht dagegen wehren, wenn meine Partei in Zukunft bei Wahlen noch stärker wird. Ich arbeite sogar genau dafür. Und wenn wir stärker werden, kann das dazu führen, dass man am Ende weniger Partner braucht. Das ist dann quasi ein demokratischer Kollateralschaden, den wir in Kauf nehmen würden.
Das haben Sie sehr diplomatisch ausgedrückt.
(lacht)
Parität wird von der SPD immer wieder als wichtig erklärt. Das neue Kabinett von Olaf Scholz wurde gleichberechtigt besetzt. In der SPD-Spitze allerdings ist mit Blick auf die Achse Kanzler-Vorsitz-Generalsekretär Saskia Esken die einzige Frau. Hat die SPD ein Frauenproblem?
Ein Frauenproblem haben wir nicht. Aber die SPD misst sich selbst an ihren Forderungen zum Thema Gleichstellung und deswegen müssen wir auch immer wieder checken, ob wir unserem hohen Anspruch gerecht werden.
Und wird die SPD diesem Anspruch gerecht?
Dieser Anspruch hat beispielsweise dazu geführt, dass wir die Bundestagspräsidentin mit Bärbel Bas, einer sehr erfahrenen Abgeordneten, besetzt haben. Wir werden auch in unserem Präsidium, also der engsten Parteispitze, wieder paritätisch aufgestellt sein. Und das wird auch meine Aufgabe als Generalsekretär sein, der Gleichstellung auch im Alltag noch stärker Geltung zu verschaffen.
Was haben Sie vor?
Auch bei uns sind kaum mehr als ein Drittel der Mitglieder Frauen. Das schlägt sich hier und dort auch in unserer Organisationsstruktur nieder. Und damit können wir nicht zufrieden sein. Ebenso wollen wir entsprechend der gesetzlichen Grundlage bald Parität auf den Führungspositionen deutscher Ministerien erreichen. Dafür wird sich die SPD in der Regierung einsetzen. Ich werde nicht über etwas hinweglächeln, was noch nicht optimal ist, sondern ich begreife das wirklich als eine Herausforderung. Gerade auch für uns Männer in der SPD.
Das heißt, das Jahrzehnt der Gleichstellung – wie es im Koalitionsvertrag heißt – wird jetzt eingeleitet, damit Sie 2030 sagen können: Ja, die SPD ist eine paritätische Partei.
...in einer paritätischen Gesellschaft. Und als Sozialdemokrat würde ich immer hinzufügen, dass wir schon vor 30 Jahren verstanden haben, dass dafür auch Quotenregelungen notwendig sind. Ich wünschte mir eine Welt, in der das alles von allein passieren wird. Aber in dieser Welt leben wir leider noch nicht.
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