Gerade sieht es aus, als könne der lange Kampf vieler Menschen für die Abschaffung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch Erfolg haben: Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche wären dann endlich auch in Deutschland kein Vergehen mehr.
So, wie viele Aktivist:innen sich zu Bündnissen und Protest auf der Straße verabredet haben, haben sich auch Parlamentarier:innen über Parteigrenzen hinweg zusammengetan, um zu erreichen, was der Bundesregierung nicht mehr möglich schien: Schwangerschaftsabbrüche endlich nicht mehr als Straftat zu werten.
Nach einer ersten Lesung im Parlament Anfang des Monats hängt die Gesetzesinitiative nun allerdings im Rechtsausschuss fest. Und – so die Befürchtung – dort könnte sie auch stecken bleiben, es droht ihr das Scheitern am Widerstand der FDP, CDU und AfD. Sie wollen verhindern, dass der Entwurf im Parlament zur Abstimmung gestellt wird. Das darf nicht passieren.
Denn die Frage, ob eine Schwangere über ihren Körper bestimmen darf, ist keine Frage der Moral, der politischen Ansichten oder des individuellen Geschmacks. Es ist noch nicht mal eine Frage. Es ist ein Recht, genauer gesagt: ein Menschenrecht.
Werden Abtreibungen unter Strafe gestellt oder nur in bestimmten Ausnahmefällen erlaubt, werden mindestens vier elementare Menschenrechte stark beschnitten.
Das Recht, über den eigenen Körper selbst zu bestimmen, ist ein Menschenrecht. Wenn Abtreibungen strafbar sind, dann ist dieses Recht außer Kraft gesetzt – denn dann bestimmen andere über den eigenen Körper.
Es ist ein Recht, nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert zu werden. Betroffen von der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen sind aber überwiegend Frauen.
Es ist ein Recht, Zugang zu Gesundheit und ärztlicher Versorgung zu haben. Dazu gehören Schwangerschaftsabbrüche. Da sie unter Strafe gestellt sind, wird auch dieses Recht beschnitten. Schwangerschaftsabbrüche finden trotzdem statt, nur eben – besonders in anderen Ländern – unsicherer und risikoreicher.
Nicht zuletzt ist es ein Recht, aufgrund seiner sozialen Lage nicht diskriminiert zu werden. Die Kosten für eine Abtreibung muss aber jede ungewollt Schwangere zunächst selbst tragen. Das führt dazu, dass sich arme Menschen einen Schwangerschaftsabbruch weniger leisten können oder ein umständliches Prozedere zur Kostenübernahme durchlaufen müssen.
Dass Abtreibungen legalisiert gehören, sagen nicht nur wir als Menschenrechtsorganisation, das sagen auch die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation, die deutsche Kommission aus Expert:innen, die extra für diese Frage eingesetzt wurde – und das sagt laut Umfragen eine große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland.
Je nach Meinungsforschungsinstitut liegt die Zustimmung hier zwischen 75 und 80 Prozent, im Osten sogar teilweise bei um die 90 Prozent.
In anderen Ländern hat der Druck der Straße bereits zu Gesetzesänderungen geführt. In den vergangenen 30 Jahren haben mehr als 50 Länder ihre Gesetze geändert, um besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen.
In diesem Jahr ist viel passiert, auch in Europa: So hat Frankreich im März das Recht auf Abtreibung in die französische Verfassung aufgenommen. Gerade erst im Dezember hat Norwegen ein Gesetz verabschiedet, mit dem die gesetzliche Frist für Schwangerschaftsabbrüche von zwölf auf 18 Wochen verlängert wurde.
Die nun zur Debatte stehende Gesetzesänderung hätte für alle ungewollt Schwangeren ganz konkrete, praktische Vorteile: Wenn Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr als Straftat verstanden werden, sondern als ganz normale Gesundheitsleistung, dann entfiele die Stigmatisierung, unter der viele ungewollt Schwangere auch psychisch leiden.
Wären Schwangerschaftsabbrüche Teil der Gesundheitsversorgung, würden sie Teil des Leistungsspektrums der Krankenkassen werden müssen. Das würde schlicht bedeuten: Die Kosten für eine Abtreibung würden nicht wie bisher auf die ungewollt Schwangere abgewälzt, sondern finanziert werden.
Zuletzt würde die verpflichtende Wartezeit von drei Tagen entfallen, viele ungewollt Schwangere könnten so schneller aus der belastenden Situation entkommen und ihre bereits getroffene Entscheidung umsetzen.
In Deutschland bestimmt dennoch ein Gesetz aus der Kaiserzeit über den Körper von Frauen. Und es droht, weiterhin Bestand zu haben. Das sagt viel darüber aus, wer und was derzeit die Politik bestimmt: nicht elementare Rechte, gute Argumente und Mehrheiten in diesem Land, sondern gezielte Stimmungsmache.
Wir als Menschenrechtsorganisation beobachten mit Sorge die zunehmenden Versuche, menschenverachtende Positionen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Dahinter stehen oft Akteur:innen, die strategisch vorgehen und Emotionen instrumentalisieren.
Die Abwertung von Frauenrechten und feministischen Kämpfen gehört zu dieser Strategie. Bei den Menschenrechtsfeinden steht das Thema Abtreibung weit oben auf der Agenda.
Und sie sind laut: Wer eine Schwangerschaft beendet, wird von ihnen verurteilt, manchmal sogar öffentlich angefeindet oder vor Frauenarztpraxen belästigt. Als Reaktion darauf hat der Bundestag jüngst ein Gesetz gegen Gehsteigbelästigung verabschiedet.
Fehlinformationen über Schwangerschaftsabbrüche sind im Umlauf und werden gezielt gestreut. Auch wenn die Stimmungsmacher:innen es vorgeben: Es geht ihnen nicht um Gerechtigkeit oder Menschlichkeit. Es geht um patriarchale Macht. Es geht darum, traditionelle Rollenbilder zu zementieren und das Verhältnis der Geschlechter im Ungleichgewicht zu lassen.
Wir wollen eine Gesellschaft, die Menschenrechte achtet. Eine Gesellschaft, in der wir gleichberechtigt zusammenleben. Das ist der Auftrag unseres Grundgesetzes und dazu ist der überfraktionelle Gesetzesentwurf zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein Beitrag.
Wir sagen das, obwohl uns der Gesetzesentwurf noch nicht weit genug geht. Nur in den ersten zwölf Wochen würden Abbrüche nach dem Entwurf rechtmäßig werden, das ist unserer Meinung nach zu kurz – aber auch besser als nichts. Auch die Pflichtberatung würde im neuen Gesetz bestehen bleiben. Das kritisieren sogar die Vereinten Nationen.
Auch wir denken, die Beratungsstellen könnten ihre Kapazitäten viel besser für die Menschen einsetzen, die wirklich Beratung suchen, wollen und brauchen, statt Menschen zu einem Termin zu zwingen, die sich ihre schwere Entscheidung bereits sehr gut überlegt haben und vertreten können.
Der überfraktionelle Gesetzentwurf ist trotz dieser Kritik gerade unsere einzige real-historische Chance, Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland zu entkriminalisieren. Wenn CDU, AfD und FDP es schaffen, das Thema im Rechtsausschuss auf unbestimmte Zeit zu vertagen und damit eine parlamentarische Abstimmung zu Abtreibungen in den kommenden Wochen verhindern, dann ist das vermutlich auf absehbare Zeit die vorerst letzte Chance gewesen.
Es ist eigentlich ganz einfach: Wer eine faire und gleichberechtigte Gesellschaft will, muss den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ermöglichen. Der Rechtsausschuss muss am Mittwoch für diese Abstimmung den Weg freimachen.