Vielerorts werden Fachkräfte verzweifelt gesucht: Wegen Kita-Ausbau und Ganztagsanspruch in Schulen mehr Erziehungs- und Lehrkräfte, für Energiewende und klimagerechten Umbau mehr Leute im Handwerk, infolge demografischer Alterung mehr Kräfte im Gesundheits- und Pflege-Sektor. Auftragsbücher sind voll, Care-Berufe überlastet, Windräder können nur gebaut werden, wenn Planer und Ingenieurinnen parat sind.
Laut jüngster Konjunktur-Umfrage des Münchener ifo-Instituts leiden 36 Prozent der Unternehmen in Deutschland unter Fachkräftemangel. Auch der öffentliche Dienst sucht händeringend nach Fachkräften. Zugleich findet Unterricht an manchen Schulen in provisorischen Containern statt, weil die Klassenräume nicht ausreichen. Schulstunden fallen aus, weil Lehrkräfte fehlen. Wo zukünftige Fachkräfte ausgebildet werden, müssen Qualität, Kapazitäten und Leistungsfähigkeit gesteigert werden.
Wenn wir dem Fachkräftemangel entgegenwirken wollen, müssen wir dringend mehr und gezielter in unser Bildungssystem investieren. Deutschland muss zu einem Chancenland werden, das niemanden zurücklässt und das Bildungsniveau steigert. Nur wenn Bildungs- und Teilhabechancen für alle gefördert werden, können wir unseren Wohlstand nachhaltig sicherstellen. Nur als Chancenland werden wir die Dekarbonisierung, Demografie und Digitalisierung meistern, Innovations- und Zukunftsfähigkeit sichern.
Jede neue Bildungsstudie kommt einem blauen Brief für das Bildungssystem gleich. Laut Studien erreicht ein Viertel der Viertklässler nicht die notwendigen Standards beim Lesen, auch beim Schreiben und Rechnen sinkt das Kompetenzniveau. In Brennpunkt-Schulen sieht es noch düsterer aus. Grundschulen sind im Vergleich zu gymnasialen Oberstufen unterfinanziert. Und damit gerade die Orte, an denen die wichtigsten Basiskompetenzen fürs Leben erlernt werden sollen.
Im Dezember erlebte das Land einen zweiten "PISA-Schock", die PISA-Diagnose war desaströs. Das Fundament für Fachkräfte der Zukunft darf nicht weiter bröseln. Es braucht einen gesamtstaatlichen Bildungsruck statt Gleichmut.
Laut dem Berufsbildungsbericht ist die Anzahl der 20- bis 34-Jährigen ohne Berufsabschluss auf ganze 2,86 Millionen gestiegen. Aktuell verlassen jedes Jahr etwa 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss. Ihre beruflichen Chancen sind gering, die Risiken für uns alle groß. Als Gesellschaft verlieren wir viel zu früh potenzielle Fachkräfte.
Ein Grund dafür ist, dass wir unsere Schulen bislang weder auskömmlich noch nach konkretem Bedarf finanzieren. Bildungserfolg muss endlich von der sozialen Herkunft entkoppelt werden.
Mit dem neuen Startchancen-Programm werden Bund und Länder in den nächsten zehn Jahren 20 Milliarden Euro zielgerichtet in bessere Schulqualität und in Bildungschancen investieren: 4000 Schulen in benachteiligten Quartieren erhalten mehr Geld und eine bessere Ausstattung und mehr Selbstständigkeit.
Das Programm richtet sich insbesondere an Grundschulen und trägt so dazu bei, dass Grundkompetenzen wieder besser vermittelt werden. Stellen für Schulsozialarbeit werden geschaffen, sodass an unseren Schulen bald mehr multiprofessionelle Teams arbeiten.
Das ist ein beherzter Anfang. Diesem Meilenstein für ein Chancenland müssen weitere folgen. Eine der größten bildungspolitischen Herausforderungen ist der Lehrkräftemangel. Lehrerinnen und Lehrer bilden zukünftige Fachkräfte aus und leisten damit einen fundamentalen Beitrag für künftigen Wohlstand.
Es müssen wieder mehr junge Menschen für das Lehramtsstudium begeistert werden. Dazu braucht es eine bessere Lehrkräfteausbildung, die auf die Vermittlung von Future Skills setzt, didaktische, diagnostische und pädagogische Kompetenzen stärkt, auf die gestiegene Vielfalt an unseren Schulen besser vorbereitet.
Darüber hinaus kann bessere Berufsorientierung an Schulen dabei helfen, den Fachkräftemangel abzumildern. Denn das Matching zwischen Schulabgängern und Ausbildungsbetrieben beziehungsweise den Hochschulen sollte besser klappen. 2022 löste fast jeder dritte Auszubildende seinen Ausbildungsvertrag vorzeitig auf, ermittelte das Bundesinstitut für Berufsbildung. Ähnlich ist es an den Hochschulen: Laut Deutschem Zentrum für Hochschulforschung lag die Studienabbruchquote im Bachelorstudium im Jahr 2020 bei 28 Prozent.
An unseren Schulen muss deshalb frühzeitig und umfassend über das ganze Berufsspektrum informiert werden. Viele Abbrüche sind Fachrichtungswechsel oder münden in zweiten oder dritten Anläufen, sehr chancengerecht, effizient und effektiv sind die Übergänge jedoch nicht.
Sowohl ein Studium als auch eine Ausbildung eröffnen Karriereoptionen und Zukunftschancen. Beides ist gleich viel wert. Es sollte unser Ziel sein, dass mehr Arbeiterkinder ein Studium aufnehmen und mehr Akademikerkinder für eine Ausbildung gewonnen werden.
Wir brauchen bundesweit mehr Meister und mehr Master. Lehrkräfte müssen Jugendliche bei der Berufsorientierung supporten können, Kooperationen mit Jugendberufsagenturen auf- und ausgebaut werden. Ein kurzes Orientierungspraktikum in der Schulzeit reicht längst nicht aus. Jugendlichen muss ein guter Überblick über Job- und Karrierechancen vermittelt werden. Damit sie eine fundierte Bildungs- und Berufsentscheidung basierend auf ihren vielfältigen Interessen und Fähigkeiten treffen können.
Natürlich gilt es auch an anderer Stelle, Arbeits- und Fachkräfte-Potenziale zu heben: Das ist das Ziel der ressortübergreifenden Fachkräftestrategie dieser Bundesregierung. Neben einer Steigerung der Ausbildungsqualität und Weiterbildungskultur sind attraktive Arbeitsbedingungen und eine höhere die Erwerbsbeteiligung sinnvoll. Care-Berufe müssen attraktiver werden.
Endlich erleichtern wir Fachkräfte-Einwanderung: Mit Punktesystem, schnellerer Einbürgerung und Chancen-Aufenthaltsrecht bekommen internationale Talente und Spitzenkräfte die Einladung, in Deutschland schneller Fuß zu fassen.
Verbesserungen sind dabei nur im gemeinsamen Zusammenwirken möglich. Ambitionierte Bildungsziele müssen Bund, Länder und Kommunen im Schulterschluss mit der Wirtschaft gemeinsam verfolgen, die Zivilgesellschaft einbeziehen und auf die Empfehlungen der Bildungsforschung hören.
Die Fachkräftekrise erfordert ressortübergreifende Ansätze und gute Kooperationen mit Sozialpartnern und Kammern. Unternehmen müssen sich öffnen, Diversität leben, zweite Chancen vergeben, auf Abschlüsse und auf Anschlüsse. Gemeinsam können wir Deutschland zum Chancenland machen. Denn das Wirksamste gegen Arbeits- und Fachkräftemangel ist: alle Potenziale heben, Einstiege organisieren und kein Talent verlorengeben.