Nach dem Sturm auf das Kapitol am vergangenen Mittwoch fordern Demokraten im Abgeordnetenhaus nun Konsequenzen für US-Präsident Donald Trump, der die Meute mit seinen Äußerungen angestachelt hatte. Ein zweites Amtsenthebungsverfahren steht im Raum, das den US-Präsidenten noch vor seinem Ausscheiden am 20. Januar aus dem Amt entfernen könnte.
Thomas Jäger ist Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik an der Uni Köln. In seinem Gastbeitrag erklärt er, welche Folgen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump haben könnte:
Die Demokraten haben sich festgelegt: entweder sorgen die Republikaner dafür, dass Donald Trump bis Mitte der Woche das Weiße Haus verlassen hat – sei es durch Rücktritt oder indem das Kabinett seine Unfähigkeit, das Amt auszuüben erklärt – oder das Repräsentantenhaus wird über eine zweite Anklage gegen den Präsidenten abstimmen. Der Vorwurf lautet Anstiftung zum Aufruhr und soll ohne weitere Untersuchungen des Repräsentantenhauses erhoben werden. Für die Demokraten ist es offensichtlich: Präsident Trump rief seine Anhänger nach Washington, während die Stimmen des Electoral College ausgezählt wurden, forderte sie auf, zum Kapitol zu marschieren und löste damit die gewaltsame Stürmung des Kongresses aus.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass es zur Anklage kommt. Präsident Trump war bisher der erste Präsident in der Geschichte der USA, der in seiner ersten Amtszeit angeklagt wurde. Dann wäre er auch der erste Präsident, der zweimal angeklagt wurde. Und hätte die Klage Erfolg, wäre er der erste Präsident, der aus dem Amt entfernt wurde.
Dazu wird es aber wohl nicht kommen. Denn der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, hat schon am Wochenende darauf hingewiesen, dass der erste Tag, an dem die Anklage verhandelt werden könnte, der 19. Januar sei. Es sei denn, alle 100 Senatoren würden einem anderen Verfahren zustimmen. Das aber wird nicht geschehen. Zwar wird McConnell in den nächsten Wochen von Chuck Schumer abgelöst, weil die Demokraten selbst den Mehrheitsführer stellen, sobald die neuen Senatoren aus Georgia bestätigt sind, und damit wird dieser den Zugriff auf die Tagesordnung haben.
Aber die Demokraten brauchen in jedem Fall 17 Senatoren aus den Reihen der Republikaner, um mit der Klage erfolgreich zu sein. Denn im Senat ist dafür eine zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Das war im ersten Erschrecken über den Sturm auf das Kapitol nicht ganz ausgeschlossen, aber inzwischen schließen sich die Reihen der Republikaner schon wieder. Nur die üblichen Abweichler haben gemeldet, mit den Demokarten stimmen zu wollen.
Wenn die Anklage erhoben wird und erst nach dem Ende von Trumps Amtszeit verhandelt wird – was aus dem Zweck des Impeachment begründet werden kann – geht es in unbekannte Wasser. Wer sitzt dem Prozess vor? Auch in diesem Fall der Vorsitzende Richter des Supreme Court?
Sollte das Impeachment erfolgreich sein, drohen Trump zwei Folgen: Die erste ist, aus dem Amt entfernt zu werden. Das wird er bis dahin aber schon verlassen haben. Die zweite ist, nie wieder für das Präsidentenamt kandidieren zu dürfen (andere Ämter strebt er sowieso nicht an). Unklar ist, ob diese zweite Strafe ebenfalls mit zwei-Drittel-Mehrheit oder mit einfacher Mehrheit ausgesprochen werden darf. Manche Demokraten meinen, gerade die Aussicht auf diese zweite Strafe könnte Republikaner reizen.
Denn Trump ist auch nach den Vorkommnissen letzte Woche bei der republikanischen Basis beliebt. Nicht alle Amerikaner denken, dass die Demokratie angegriffen wurde – viele meinen auch, die Kapitolstürmer wollten sie verteidigen. So könnten die Republikaner auf diese Weise Trump daran hindern, die nächsten vier Jahre seine erneute Kandidatur vorzubereiten und wie Grover Cleveland Ende des 19. Jahrhunderts mit Unterbrechung ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt zu werden.
Aber wären die Republikaner Trump damit los? Nein, soviel ist sicher. Trump wird dann mit dem Märtyrer-Bonus für seine Tochter auftreten, die in der Familie wohl für die politische Nachfolge ausgesucht wurde. Seine Söhne haben vier Jahre lang Wahlkampf geübt und imitieren ihren Vater inzwischen einigermaßen. Da die amerikanischen Wählerinnen aber ausschlaggebend sind und für alle praktischen Zwecke davon ausgegangen wird, dass Kamala Harris in vier Jahren für die Demokraten antritt, liegt die Wahl von Ivanka Trump nahe.
Donald Trump muss jetzt allerdings wieder einen Weg finden, häufig und breit kommunizieren zu können, nachdem ihn Twitter gesperrt und damit mundtot gemacht hat. Möglicherweise bekommen die immer wieder kolportierten Pläne, ein eigenes Medienunternehmen zu gründen, damit den letzten Schub.
Die Impeachment-Medaille hat daher auch eine Rückseite. Denn in den Augen seiner Anhänger könnte Donald Trump auf diese Weise zum Märtyrer werden. So als habe er dann das größte Opfer für die gemeinsame Sache erbracht. Das würde die Versöhnungsstrategie von Joe Biden von Beginn an ebenso unterhöhlen wie die Forderungen der Progressiven – also der linken Demokraten, Biden gehört auf die rechte Seite –, jetzt endlich eine progressive Agenda durchzusetzen: Staatliche Krankenversicherung – in den USA für viele der Vorbote des Sozialismus –, den Green New Deal – für viele das Ende der wirtschaftlichen Prosperität – und die Erweiterung des Supreme Court – für Republikaner der Einstieg in den Ein-Parteien-Staat.
Biden muss also dafür sorgen, dass sich die Progressiven in seine Politik einfügen, obwohl er nicht mehr auf die republikanische Mehrheit im Senat verweisen kann, auf die er Rücksicht nehmen müsste. Und er muss dafür sorgen, dass Donald Trump die Politik der Spaltung nicht derart heftig weiterführen kann. Einen Keil zwischen die Republikaner und Trump zu treiben – und genau darum geht es beim Impeachment – kommt ihm dabei prinzipiell gelegen. Außer, wenn in den Augen der republikanischen Basis das Impeachment als der eigentliche Putsch angesehen wird. Die amerikanische Demokratie kommt so oder so erst einmal nicht zur Ruhe.