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Gastbeitrag

Jette Nietzard: Gastbeitrag über Feminismus, Männer und Ikkimel

"Vielleicht ist es Zeit, in eine neue Era einzutreten", schreibt Jette Nietzard.
"Vielleicht ist es Zeit, in eine neue Era einzutreten", schreibt Jette Nietzard. bild: grüne jugend
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Bitches brauchen Gerechtigkeit

Jette Nietzard eckt oft an und das weiß sie auch. In der Politik sagt die Co-Chefin der Grünen Jugend ihre Meinung genauso deutlich wie auf Social Media. Hier schreibt sie über ihre Vorstellung von modernem Feminismus – und warum sie glaubt, dass junge Frauen unbequem sein müssen.
21.03.2025, 08:23
Jette Nietzard
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Triggerwarnung: Nennung der Worte Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe ohne detaillierte Schilderungen.

Wenn wir auf die Welt schauen, gibt es einen klaren Trend. Und der ist leider nicht Leoprint. Sondern die Abschaffung von Frauenrechten.

In den USA dürfen Frauen in vielen Bundesstaaten nicht einmal abtreiben, wenn sie vergewaltigt wurden. In Argentinien werden die Mittel im Kampf gegen häusliche Gewalt gekürzt und in Afghanistan dürfen Frauen in der Öffentlichkeit nicht sprechen.

Die Menschen, die das entscheiden, sind nationalistische Männer, die sich wünschen, dass Frauen ihnen dienen, statt eigene Rechte zu haben. Sie sind der Meinung, Frauen "gehören in die Küche, nicht in den Club" (SXTN).

"Wert sind wir nur etwas, wenn wir zur Reproduktion gedient haben."

Auch in Deutschland steht es politisch nicht glorreich um Frauenrechte. Dem Grundgesetz nach sind wir zwar gleichgestellt, das hinderte die Ampel-Regierung dennoch nicht, für ein Gewalthilfegesetz zu stimmen, das Frauen in Geflüchtetenunterkünften schutzlos zurücklässt, weil sie nur in einem bestimmten Bezirk wohnen dürfen und deshalb keinen Platz im Frauenhaus bekommen.

Im Sondierungspapier der kleinen Koalition aus Union und SPD ist der einzige konkrete Vorschlag für die Verbesserung der Lebenssituation von Frauen die Einführung einer Mütterrente. Wert sind wir nur etwas, wenn wir zur Reproduktion gedient haben.

Das ist nichts Neues: Seit mehr als 50 Jahren kämpfen wir für die Abschaffung von Paragraf 218 und haben gelernt, dass auch eine Bundeskanzlerin dem Kampf für Frauenrechte ungefähr nichts genützt hat.

Gleichberechtigung wird Berechnungen zufolge erst in 134 Jahren erreicht. Nicht einmal meine Kinder – sollte ich welche bekommen – werden gleichberechtigt leben.

Ich möchte ausdrücklich nicht die Errungenschaften von Frauenrechtler:innen der letzten 100 Jahre runtermachen: Wir arbeiten, leben und reisen allein und nehmen viele Dinge als selbstverständlich wahr, die unsere Mütter und Großmütter nicht durften.

Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Formen der Benachteiligung heute vor allem durch die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen armen und reichen Menschen bestimmt werden und weniger durch unser Dasein als Frau. Wenn du dir am Ende des Monats kein Essen mehr leisten kannst, bedeutet das für alle Geschlechter einen leeren Magen.

Sowohl Kapitalismus als auch Patriarchat beruhen auf Unterdrückung und Ausbeutung. Doch es gibt eine junge Generation von Frauen, die die Schnauze voll von Unterdrückung hat.

In der Popkultur und auf Tiktok ist schon lange ein neues Frauenbild angekommen. Bei einer Generation, die hörte und davon geprägt wurde, wie die Rapgruppe SXTN (mittlerweile leider aufgelöst, still crying about it) es 2015 gewagt hatte, das Wort Fotze als Selbstbezeichnung zu verwenden und damit das weibliche Rapgame zu verändern.

Die Rapperin Ikkimel beispielsweise rappt darüber, wie viel geilen Sex sie mit unterschiedlichen Männern hat. Der Sex ist natürlich geil, weil sie selbst geil ist. Und nicht, weil die Männer so geile Hengste sind. Auch hier kann man SXTN zitieren: "Jeder Hater ist ein Klick mehr! Du bist nicht mehr als ein Fick wert!"

"Warum sollten Frauen bei Männern in Heterobeziehungen bleiben, wenn sie 30 Prozent weniger zum Orgasmus kommen?"

Immer mehr Frauen stimmen zu. Kultur und Worte schaffen Wirklichkeit. Aber wenn wir ehrlich sind, ist die Wirklichkeit schon lange da. Während Frauen sich die letzten 100 Jahre emanzipiert haben, ist der Durchschnittsmann mehr oder weniger gleichgeblieben oder sogar konservativer geworden. Während Frauen jetzt auch arbeiten gehen dürfen, liegen 44 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit immer noch bei ihnen.

Warum sollten Frauen bei Männern in Heterobeziehungen bleiben, wenn sie 30 Prozent weniger zum Orgasmus kommen? Und warum sollte man eigentlich Kinder mit Männern bekommen, wenn drei von vier nach einer Trennung nicht mal den Mindestunterhalt zahlen?

Studien wie die der Bertelsmann-Stiftung und auch die kulturelle Verschiebung unter jungen Frauen zeigen, dass es eine Veränderung braucht. Und zwar strukturell. Aktuell suchen immer mehr Frauen individuelle Lösungen, indem sie Männer ausnutzen – "weil wir keine Liebe, sondern Scheine brauchen" (Shoki287).

Auf Tiktok sprechen sie darüber, wie sie mit Männern flirten, damit der Barabend gratis ist; wie sie sich auf Dates verabreden, um nicht kochen zu müssen; wie sie im Prinzip das Patriarchat mit seinen eigenen Waffen schlagen.

"Feministische Bewegungen gibt es schon lange, doch vielleicht ist es Zeit, in eine neue Era einzutreten."

Ich beglückwünsche all diese Frauen ausdrücklich und würde mich immer dafür einsetzen, dieses Verhalten als aktive Umverteilung von Ressourcen, die uns aufgrund von Unterdrückung seit Jahrhunderten verweigert werden, zu verstehen. Gleichzeitig muss man anerkennen: Diese Frauen sind gebildet, haben pretty privilege und genug Geld, um aus Thailand nach Hause zu kommen, sollte sich spontan kein Mann mehr finden, der den nächsten Flug bezahlt. So geht es in der Realität den wenigsten Frauen.

Feministische Bewegungen gibt es schon lange, doch vielleicht ist es Zeit, in eine neue Era einzutreten. Und da haben diese Frauen auf Tiktok oder Rapperinnen wie Ikkimel einen Vorteil: Sie haben Aufmerksamkeit. Und wir leben in einer Welt, in der Aufmerksamkeit sehr viel wert ist.

Es reicht nicht, die eigene Aufmerksamkeit individuell dafür zu nutzen, mittelmäßige Männer auszunehmen. Das müssen wir schon strukturell tun, um erfolgreich zu sein. Männern müssen Privilegien genommen werden. Eine neue Generation von Feminist:innen hat keinen Respekt vor Männern, nur weil sie Männer sind, sondern wenn sie beweisen, dass sie einen Mehrwert für Gesellschaft und Beziehungen beitragen.

Eine neue Generation Feminist:innen muss auch dafür kämpfen, dass nicht nur hübsche weiße Frauen so leben können, wie sie wollen. Sie muss anerkennen, dass Queerfeindlichkeit und Rassismus eine ebenso große Rolle in diesem gesellschaftlichen Kampf spielen. Wir müssen gegen die Unterdrückung aller Frauen, inter, trans, nicht-binärer und agender Personen (kurz: FINTA*) und weiterer vom Patriarchat klein gehaltener Gruppen kämpfen.

Womit wir wieder in der deutschen Politik angekommen sind: Wie kann es sein, dass ein Mann, der dafür gestimmt hat, dass die Vergewaltigung in der Ehe straffrei bleibt, uns regieren soll?

Sorry, das können wir uns wirklich nicht gefallen lassen!

Weil mein Job ja nun eigentlich ist, Politikerin zu sein, glaube ich daran, dass diese Kämpfe sich am Ende in Gesetzen widerspiegeln müssen.

Deshalb muss Ikkimel nicht über ein neues Ehegattensplitting rappen, aber in der Konsequenz unserer Popkultur müssen wir uns für diese Veränderungen einsetzen. Weil das nicht nur das Leben einzelner von uns verbessert, sondern aller. Zum Beispiel mit einem Gesetz, das die Beweispflicht für sexuelle Übergriffe nicht den Betroffenen, sondern den Tätern überlässt.

"Nur ja heißt ja statt bitte nein" wäre keine schlechte Songzeile.

Täglich stirbt eine von uns durch die Gewalt von ihrem (Ex-)Partner. Täglich sterben Frauen und FINTA*, weil Medizin oder Airbags nur an Männern getestet wurden. Täglich wird uns was ins Getränk gekippt, werden wir angefasst, wird uns hinterhergepfiffen, weil Männer denken, unsere Körper gehören ihnen.

Es gibt eine Studie, die belegt, dass sich Politik nachhaltig verändert, wenn nur ein paar Prozent der Bevölkerung auf die Straße gehen und aktiv für eine andere Politik streiten. Fridays for Future hat genau das geschafft und den Diskurs über Klimaschutz nachhaltig über Jahre verändert.

Das können wir auch. Und es ist allerhöchste Zeit. Denn Bitches brauchen Gerechtigkeit.

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