Bei landesweiten Protesten nach der Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) sind Zehntausende Menschen gegen Wahlfälschung auf die Straße gegangen. Dabei kam es in der Nacht zum Montag zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Es gab viele Verletzte. Die Polizei ging brutal gegen friedliche Demonstranten vor. In der Hauptstadt Minsk setzten die Sicherheitskräfte Wasserwerfer, Gummigeschosse und Blendgranaten ein. Solche Proteste hat die Ex-Sowjetrepublik noch nie erlebt. Die Hoffnungen der Menschen ruhen nun auf der Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja.
Die 37-Jährige soll nach Prognosen staatlicher Meinungsforscher die von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl jedoch verloren – Staatschef Alexander Lukaschenko sie dagegen gewonnen haben. Die Wahlkommission veröffentlichten aber auch Stunden nach Schließung der Wahllokale keine ersten offiziellen Ergebnisse. Es war lediglich die Rede von einem Sieg Lukaschenkos. Die Internetseite der Wahlleitung war zunächst nicht abrufbar – wie viele andere Webseiten in Belarus.
Tichanowskaja wollte ihre Niederlage nicht einräumen: "Es kann keine Anerkennung eines solchen Wahlergebnisses geben", sagte Sprecherin Anna Krasulina der Deutschen Presse-Agentur. Es sei damit zu rechnen gewesen, dass die staatlichen Prognosen Lukaschenko rund 80 Prozent der Stimmen zuschreiben würden. "Das ist fern jeder Realität." Von Lukaschenko gab es nach der Abstimmung keine Reaktion.
Stattdessen kam im Innenministerium ein Krisenstab zusammen. Die Lage sei unter Kontrolle, teilten die Behörden staatlichen Medien zufolge mit. Wie viele Menschen festgenommen wurden, teilten sie zunächst nicht mit. Die Menschenrechtsorganisation Wesna sprach in der Nacht von zunächst mehr als 50 Festnahmen allein Minsk. Landesweit sollen es 120 gewesen sein. Diese Zahl dürfte weiter steigen.
Nach Angaben von Beobachtern sollen sich in der Hauptstadt bis zu 100.000 Menschen an den Demonstrationen beteiligt haben. Auf Videos war etwa zu sehen, wie Demonstranten aus Müllcontainern Barrikaden errichteten. Menschenmassen zogen durch die Straßen – auch in anderen Städten des Landes. In sozialen Netzwerken wurden immer wieder Videos veröffentlicht, wie Polizisten brutal auf Menschen einprügelten. Auch Demonstranten attackierten Polizisten, um Festnahmen zu verhindern. Es gab viele Bilder von blutüberströmten Menschen.
Tichanowskaja rief die Sicherheitskräfte in der Nacht zum Gewaltverzicht auf.
An ihre Anhänger appellierte sie, Provokationen zu unterlassen. "Ich weiß, dass die Menschen in Belarus morgen in einem neuen Land aufwachen werden", meinte Tichanowskaja.
In einzelnen Orten kam es auch zu ersten Siegesfeiern für die Oppositionskandidatin. Die Menschen riefen die Uniformierten auf, sich dem Wählerwillen zu beugen und dem Volk anzuschließen. In einzelnen Ortschaften habe die Polizei kaum Widerstand leisten können gegen die Menschenmengen, berichteten oppositionsnahe Portale im Internet, das landesweit zeitweise nicht funktionierte.
Wann offizielle Wahlergebnisse vorliegen, war zunächst nicht klar. Einzelne örtliche Wahlkommissionen traten am Abend vor die Menschenmengen und verkündeten Ergebnisse, nach denen Staatschef Lukaschenko eine schwere Niederlage erlitten habe. Teils kam Tichanowskaja demnach auf zwischen 80 bis 90 Prozent der Stimmen.
Vor den Wahllokalen hatten sich am Sonntag teils lange Warteschlangen von einigen Hundert Metern gebildet. Das gab es in der Ex-Sowjetrepublik noch nie. Nach Angaben der Wahlkommission stimmten 84 Prozent der Wahlberechtigten ab. Schon am Wahltag und in den Wochen davor gab es viele Festnahmen. Lukaschenko, der als "letzter Diktator Europas" gilt, hatte mit dem Einsatz von Militär gedroht, um seine Macht zu erhalten. In Belarus wird noch die Todesstrafe vollstreckt.
Ziel Tichanowskajas war es im Wahlkampf, die Abstimmung zu gewinnen, als Präsidentin alle politischen Gefangenen freizulassen und dann freie Neuwahlen anzusetzen. Sie kandidiert an Stelle ihres Ehemanns Sergej Tichanowski. Der regierungskritische Blogger sitzt wie der frühere Banken-Chef Viktor Babariko in Haft - wegen Anschuldigungen, die als politisch inszeniert gelten.
(lin/dpa)