Der Kompromiss für das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) war bereits ein Politikum, als es noch keine Einigung der Mitgliedsstaaten gab. Und der Durchbruch, den die Vertreter:innen der EU-Staaten nun nach jahrelangen Verhandlungen errungen haben, ändert daran nichts. Viele zeigen sich schockiert und lassen ihrem Frust auf Social Media freien Lauf.
Die deutsche Bundesregierung währenddessen zeigt sich erleichtert über die Einigung, selbst die Grüne Außenministerin Annalena Baerbock wirkt zufrieden – und das, obwohl die Frage des GEAS ihre Partei auf dem Parteitag vor eine Zerreißprobe stellte. Worauf sich die Mitgliedsstaaten geeinigt haben und was die Kritiker:innen befürchten, hat watson für euch zusammengefasst.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die für Deutschland an den Verhandlungen teilgenommen hat, zeigt sich im Anschluss hochzufrieden: "Wenn wir das Europa der offenen Grenzen im Inneren bewahren wollen, müssen wir die Außengrenzen schützen und funktionierende Verfahren erreichen."
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nennt den Beschluss auf X, früher Twitter, "ganz wichtig". Er schreibt: "Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind – auch Deutschland." Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) zeigt sich begeistert von den Plänen. Er schreibt auf X: "Wir schaffen Ordnung und klare Regeln für die Migration nach Europa und dämmen die irreguläre Migration ein."
Insbesondere bei Grünen und Linken in Deutschland hatte es während der Verhandlungen Sorgen um Menschenrechtsstandards gegeben. Aus Baerbocks Sicht wurden hier Verbesserungen erzielt, so sollten auch in Krisenfällen humanitäre Standards erhalten bleiben.
Trotzdem räumt sie ein: "Bei der pauschalen Ausnahme von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren konnten wir uns als Deutschland nicht durchsetzen." Das bedeutet, dass auch Familien und Kinder unter haftähnlichen Bedingungen in den Lagern festgehalten werden können, bis ihr Asylverfahren bearbeitet wurde.
Vorgesehen sind künftig nämlich einheitliche Grenzverfahren an den Außengrenzen – und dabei soll ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten, angestrebt werden. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. Asylanträge sollen künftig schneller bearbeitet werden.
Ankommende Menschen können dem Vorhaben zufolge mit Fingerabdrücken und Fotos registriert werden, um zu überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind. Abgelehnte Asylsuchende sollen künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden.
Und auch die Verteilung der Schutzsuchenden unter den EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem "Solidaritätsmechanismus" neu geregelt: Wenn die Länder keine Geflüchteten aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen.
Gerade dieser Punkt war in den Verhandlungen der EU-Staaten untereinander lange Grund für Streitereien, da Länder wie Ungarn eine Solidaritätspflicht ablehnen. Die EU-Staaten konnten sich allerdings bereits im Juni auch ohne die Zustimmung Ungarns auf eine gemeinsame Position einigen. So soll verhindert werden, dass, wie in den Jahren 2015/16, als im Zuge des Arabischen Frühlings tausende Menschen in der EU Schutz suchten, Menschen unregistriert in die EU gelangen.
Harsche Kritik an der Einigung kam unter anderem von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Generalsekretärin der NGO in Deutschland, Julia Duchrow, erklärt in einer Mitteilung:
Ähnlich bewertet offensichtlich auch die Organisation Sea-Watch die Situation. Auf X schreibt der Verein für zivile Seenotrettung: "Der neue EU-Migrationspakt ist ein Todesurteil für Asylrechte und ein blutiger Schandfleck auf den Menschenrechten." Die Reform befeuere Gewalt an den Grenzen und das Sterbenlassen von Menschen im Mittelmeer.
Auch Linken-Chefin Janine Wissler wettert lautstark gegen die EU-Pläne. Sie seien ein "Kniefall vor den rechten Kräften in Europa", schreibt sie auf X. Ihre Parteifreundin Katharina König-Preuss pflichtet ihr bei und schreibt, ebenfalls auf X: "Schutzsuchende werden nun an EU-Außengrenzen eingesperrt, festgehalten, kriminalisiert & abgeschoben, auch in sogenannte sichere Drittstaaten."
(Mit Material der dpa)