International
21.08.2018, 06:2521.08.2018, 07:09
Ende August soll die Journalistin Mesale Tolu wieder in
Deutschland sein. Die Aufhebung der Reisesperre ist nach der Anklage
wegen Terrorvorwürfen, U-Haft und Zwangsaufenthalt in der Türkei das
Ende eines Alptraums nicht nur für die junge deutsche Journalistin
und ihre Familie, sondern auch für deutsche Diplomaten.
- Der Fall hatte, zusammen mit dem des ein Jahr lang inhaftierten "Welt"-Reporters Deniz Yücel und des Menschenrechtlers Peter Steudtner, die Beziehungen zur Türkei auf Eiseskälte abkühlen lassen.
- Trotzdem ist nun längst nicht wieder alles in Butter zwischen der Türkei und Deutschland. Denn der Fall Tolu ist zwar ein sehr prominenter, aber doch nur einer von vielen.
- Natürlich freue man sich für Frau Tolu, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin am Montag.
Mehr zu dem Fall von Mesale Tolu hier:
"Aber es gibt ja noch eine ganze Reihe von anderen Haftfällen, die wir nicht aus den Augen verlieren werden, nur weil es in einem Fall positive Nachrichten gibt."
ein Sprecher des Außenministeriums
Die schwierige Lage von Deutschen in der Türkei:
- Insgesamt sind es aktuell sieben Deutsche, die aus "politischen Gründen" in der Türkei noch in Haft sind, darunter der 73-jährige Enver Altayli, der seit einem Jahr ohne Anklageschrift in Einzelhaft sitzt.
- Außerdem gehen die Festnahmen weiter. Erst vergangene Woche war wieder ein Deutscher mit türkisch-kurdischen Wurzeln in der Türkei im Knast gelandet, angeblich, weil er auf sozialen Medien Propaganda für Terrorgruppen gemacht hatte.
Die 4 wichtigsten Fragen zum aktuellen Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland.
Wieso der türkische Kurswechsel im Fall Tolu?
Der Fall Tolu zeigt wohl eher, dass sich die Interessenslage in der
Türkei geändert hat. Hauptgrund: "Die Türkei braucht Freunde - und
unter Umständen bald sehr konkrete wirtschaftliche Hilfestellungen",
sagt Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul,
der die Menschenrechtsfälle aufmerksam beobachtet.
"Zum Beispiel, was
die Kreditfreigaben großer internationaler Finanzorganisationen
angeht." Denn der Streit mit den USA um Andrew Brunson, einen Pastor,
den die Türkei wegen Terrorvorwürfen festhält, war in den vergangenen
Wochen total entglitten. US-Sanktionen hatten Märkte und Investoren
verunsichert und die türkische Währung Lira schwer abstürzen lassen.
Plötzlich war die Rede vom "Wirtschaftskrieg".
Wie sieht die türkische Kehrtwende in Richtung Europa aus?
- Plötzlich darf Tolu ausreisen.
- Plötzlich kommt mit Taner Kilic ein türkischer Repräsentant der in London beheimateten Menschenrechtsorganisation Amnesty International frei.
- Plötzlich dürfen zwei griechische Soldaten aus dem Gefängnis, deren Inhaftierung das Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei ähnlich belastet hatte wie die Fälle Yücel, Steudtner und Tolu das deutsch-türkische.
Europäische Regierungen hatten während des gerade aufgehobenen
zweijährigen Ausnahmezustand nach dem Putschversuch von 2016 Erdogans
zunehmend "autoritären" Kurs scharf kritisiert, was in der Türkei mit
großem Ärger registriert worden war. Dazu die Inhaftierung von
Deutschen, Griechen, US-Amerikanern: Eine Analyse in der Zeitschrift "Foreign Policy" hatte den Begriff der "Geisel-Diplomatie" geprägt.
Nun, im Streit mit der Weltmacht USA, sind die "Geiseln" offenbar
plötzlich praktisches Faustpfand und Politik-Instrument. Ein
westlicher Diplomat sagt am Montag, eine zuverlässige Annäherung an
Europa sehe er da - noch - nicht - "eher ein Zweckbündnis, das so
lange hält, wie es der Türkei in ihrer derzeitigen Situation hilft".
Die Türkei auf Schmusekurs – und wie reagiert die Bundesregierung?
Die jedenfalls setzt sehr öffentlich den Schmusekurs fort. Vergangene
Woche hatte der Finanzminister und Schwiegersohn des Präsidenten,
Berat Albayrak, sich für die "Äußerungen des gesunden
Menschenverstandes" aus Deutschland bedankt. Angela Merkel hatte
zuvor gesagt, dass die wirtschaftliche Stabilität der Türkei für
Europa wichtig sei.
Die Schmeicheleien aus Ankara höre die Kanzlerin aber mit
Zurückhaltung, heißt es in Berlin. Die Bundesregierung gibt sich
betont schmallippig, als es darum geht, die Aufhebung der
Ausreisesperre gegen Tolu zu kommentieren.
Zur Frage möglicher
Wirtschaftshilfen für den Nato-Partner, die unter anderem von
SPD-Chefin Andrea Nahles ins Gespräch gebracht worden waren, sagt
Regierungssprecher Steffen Seibert knapp, man habe ja bereits
mehrfach "das deutsche Interesse an einer wirtschaftlichen Stabilität
der Türkei geäußert". Die Frage deutscher Hilfen für die Türkei "stellt sich für die Bundesregierung aktuell nicht".
Warum reagiert die Bundesregierung zurückhaltend?
Der gedämpfte Ton in Richtung Ankara verwundert nicht - weder die
Kanzlerin noch der Außenminister dürften die Ausfälle Erdogans
vergessen haben, mit denen er erst vor wenigen Monaten die
Bundesregierung überzogen hatte. Da hatte Erdogan beispielsweise von
Nazi-Methoden gesprochen, weil deutsche Kommunen Wahlkampfauftritte
türkischer Minister aus Sicherheitsgründen verweigert hatten.
Dennoch weiß die Kanzlerin: Will sie etwa bei einer politischen
Lösung im Syrien-Konflikt weiter- und damit einer Rückkehr der
syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat näherkommen, dürfte sie auf
Unterstützung aus Ankara angewiesen sein. Zumal sich Erdogan nach
Kräften bemüht, eine politischen Lösung im Syrien-Krieg zu finden.
Es ist ein wesentlicher Grundsatz von Merkels Politik, sich auf
Provokationen von schwierigen Verhandlungspartnern wie Trump, Putin
oder eben Erdogan nicht einzulassen. Selbst auf dem Höhepunkt der
Beleidigungen aus Ankara gegen sie und ihre Politik habe Merkel den
Gesprächsfaden nie abreißen lassen, wird in der CDU betont. Das
könnte sich nun auszahlen.
Ob der neue Schmusekurs aus Ankara nur ein Lippenbekenntnis und rein
taktisch ist oder ob er konkrete positive Auswirkungen auf das
deutsch-türkische Verhältnis hat, könnte sich schon Ende kommenden
Monats zeigen. Am 28. und 29. September kommt Erdogan zum
Staatsbesuch nach Deutschland. Dann wird er nicht nur von
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren
empfangen - es wird auch ein Treffen mit Merkel geben.
(pb/dpa)
Robert Habeck ist wohl eine der einprägsamsten Figuren der Politiklandschaft Deutschlands. Seit Dezember 2021 ist er Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sowie Vizekanzler der Bundesrepublik. Als Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen hat er sich einen Namen als pragmatischer und kommunikationsstarker Politiker gemacht.