Israel kämpft nicht nur gegen die im Gazastreifen herrschende terroristische Hamas. Auch im Land selbst hat Israel seinen eigenen Kampf zu führen. Die Spaltung in der israelischen Gesellschaft führte immer wieder zu Auseinandersetzungen, die sich in den vergangenen Wochen offenbar nochmals zuspitzten. Der Streit über die Justizreform ließ die Kluft zwischen streng religiösen und weltlichen Juden größer werden. Sie standen sich unversöhnlich gegenüber.
Der brutale Angriff der Hamas am 7. Oktober füllt diese Kluft nun offenbar etwas auf. Das unmenschliche Metzeln der Hamas und der Ausbruch des Krieges bringt ultraorthodoxe und weltliche Juden dazu, sich wieder ein Stück weit anzunähern.
Den Streit zwischen den ultraorthodoxen Juden und der übrigen israelischen Bevölkerung ist nicht neu. Besonders sichtbar ist der Kontrast bei Betrachtung der beiden wichtigsten Großstädte in Israel: Während die Gesellschaft in Tel Aviv immer weltlicher wird, wächst der Anteil der religiös Orthodoxen in Jerusalem. Die Weltanschauungen der beiden Gruppen sind völlig verschieden.
Der Alltag der Mehrheitsgesellschaft ist zwar durch die jüdische Religion geprägt. Aber: Der Staat ist modern und demokratisch, die weltliche Ausrichtung überwiegt. Es wird auch gefeiert und getanzt.
Die Ultraorthodoxen akzeptieren als Grundlagen jüdischen Lebens und jüdischer Identität hingegen nur die Thora und die religiösen Gesetze (Halacha), wie es etwa auf der Webseite des Deutschen Institutes für Internationale Politik und Sicherheit heißt. Große Teile der Ultraorthodoxen lehnen den Staat Israel und den Zionismus aus religiösen Gründen ab. Sie leben, als hätte es Aufklärung und Demokratie nie gegeben. Geht es nach ihnen, müssten Frauen in Bussen etwa hinten sitzen.
Gesichter von Frauen auf Plakaten oder Produktverpackungen sind für sie inakzeptabel. Sie sind von der Wehrpflicht befreit, statt am normalen Unterricht teilzunehmen, lernt der Nachwuchs hier die Thora.
Umso erstaunlicher sind die neusten Entwicklungen seit dem brutalen Angriff der Hamas auf das Land. Immer mehr Ultraorthodoxe melden sich laut Armee nun freiwillig zum Wehrdienst, wie deren Sprecher Daniel Hagari sagt:
Das plötzliche rege Interesse vonseiten Ultraorthodoxer ist ungewöhnlich, normalerweise nehmen sie Abstand von Strukturen außerhalb ihres Zirkels. Eine Annäherung, findet auch Nechumi Yaffe. Sie ist Politikwissenschaftlerin und die einzige ultraorthodoxe Professorin im Land. Gegenüber dem ARD-Studio Tel Aviv schätzt sie die Situation ein: "Viele Menschen kommen sich gerade näher. (...) Die Ultraorthodoxen wollen jetzt einfach Verbündete sein, helfen und ihren Anteil leisten."
Ausschlaggebend sei hierfür der nun eingetretene "schrecklichste Moment seit der Gründung des Landes".
Auch die Armee hat sich nun darauf eingestellt. Die ersten 120 Ausbildungen laufen bereits seit Anfang der Woche. Im Land ist zudem von einer "historischen Gelegenheit" die Rede, die Ultraorthodoxen, die sich sonst gerne isolieren, besser zu integrieren.
Die ultraorthodoxen Juden übernehmen bei der Armee nun Aufgaben, die Israel der Verteidigung helfen sollen. Sie organisieren etwa Essen, Schutzkleidung oder Transporte für Soldat:innen an der Front. Diese Hilfe wird angesichts der Mobilisierung Hunderttausender Menschen innerhalb kürzester Zeit auch dringend benötigt.
Die Logistik ist derzeit für das Land eine große Herausforderung, wie internationale Medien berichten. Jetzt füllen die Ultraorthodoxen gemeinsam mit anderen Initiativen diese Lücke. Eine Kampfausbildung würde eine lange Zeit in Anspruch nehmen.
Ob die gesellschaftliche Spaltung nun tatsächlich auch langfristig überwunden sein könnte, ist ungewiss. Hier hält sich auch die Politikwissenschaftlerin zurück. Dennoch kommen sich viele Menschen ihrer Meinung nach gerade näher:
Doch so schön das auch klingt, die Extremen unter den Ultraorthodoxen hören diese Entwicklung nicht gern, wie etwa Itzik, ein ultraorthodoxer Jude, gegenüber der tagesschau erzählt. Er ist einer der 2000 Freiwilligen. " Er berichtet von den Schwierigkeiten, die ihm nun seine Entscheidung bringt.
Er hatte in dieser neuen Situation seit Kriegsausbruch das Gefühl, mehr tun zu müssen. Offenbar ist er damit nicht allein.
Die Politikwissenschaftlerin Yaffe glaubt, dass angesichts des Krieges nun etwa 30 Prozent der Ultraorthodoxen sich für den Wehrdienst melden wollen. Weitere 20 Prozent könnten sich zumindest vorstellen, andere Aufgaben zu übernehmen.