Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu steht nach den Hamas-Angriffen nun unter enormem Druck.Bild: EPA Pool/AP / Abir Sultan
Analyse
12.10.2023, 19:4617.10.2023, 14:26
"Die Hamas-Angriffe sind der Anfang vom Ende für Netanjahu", verkündet die US-Tageszeitung "Wall Street Journal". Mit der Attacke der radikal-islamischen Terrorgruppe erlebt Israel die blutigsten Tage in den vergangenen 50 Jahren. Die Hamas-Terroristen richten ein regelrechtes Blutbad auf israelischem Boden an.
"Bürger Israels, wir sind im Krieg", teilt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit. Er verspricht, mit aller Härte gegen die Hamas vorzugehen – droht ihr mit der Auslöschung. Denn er weiß wohl, die Welt blickt in diesen Tagen auch auf ihn: So befand sich Netanjahu bereits vor dem brutalen Terrorangriff auf dünnem Eis. Jetzt knistert und knackt es unter seinen Füßen – denn die Last auf seinen Schultern wiegt nun schwerer.
Vor der Hamas-Attacke: Israel befand sich in einer innenpolitischen Krise
Vor dem überraschenden Großangriff der Hamas brodelte es in Israel, die Zustimmung für die rechtsreligiöse Regierung von Netanjahu bröckelte, tausende Israelis demonstrierten seit Monaten auf den Straßen. Auslöser war die kontroverse Justizreform.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu löste in Israel mit seiner Justizreform Chaos aus.Bild: Pool EPA / Abir Sultan
Durch sie soll der Einfluss des höchsten Gerichts beschnitten und die Machtposition der Regierung gestärkt werden – zulasten der unabhängigen Justiz. Sie erschwert demnach etwa auch die Amtsenthebung des Ministerpräsidenten, also für Netanjahu. Für viele glich das wie ein Putsch von oben.
Aber auch der Kampf um Frauenrechte zog liberale Israelis auf die Straßen. Denn: Rechts-religiöse Kräfte im Land fordern mehr Geschlechtertrennung. Immer wieder gibt es Berichte über Versuche, Frauen aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. So sorgte etwa der Vorfall für Furore, als ein Busfahrer eine Gruppe junger Frauen im Teenageralter aufforderte, sich züchtig zu bedecken und auf die hinteren Plätze zu setzen.
Tausende Israelis demonstrierten monatelang gegen die Justizreform von Netanjahu. Bild: imago images / Eyal Warshavsky
In den vergangene Monaten zeigte sich die Gespaltenheit der Gesellschaft in Israel, angetrieben durch den seit Jahrzehnten tobenden Machtkampf zwischen religiösen Fundamentalisten und Liberalen im Land. Brisant: Viele israelische Reservist:innen gingen einfach nicht mehr in die Armee, um Druck auf die Regierung auszuüben. Diese innere Zerrissenheit schwächte Israel – und die Hamas nutzte das wohl zu ihrem Vorteil.
"Mit dem Angriff vom 7. Oktober sind die Israelis ihrem wichtigsten Gut beraubt worden – ihrer Sicherheit."
Leiterin des Büros in Israel für die Konrad-Adenauer-Stiftung, Beatrice Gorawantschy
Netanjahu könnte an der Krise nun vollends zerbrechen oder gestärkt aus ihr hervorgehen. Denn seine Laufbahn zeigt: Er ist durchaus ein Meister des politischen Überlebens. Eines ist vorerst sicher: "Der Hamas-Überfall verschafft Netanjahu eine Atempause", sagt Politikwissenschaftler Heinz Gärtner im watson-Gespräch. Momentan vereint sich das Volk angesichts des äußeren Feindes hinter ihm. Die Frage lautet: Wie sieht es für Netanjahu aus, sobald sich der Sturm legt?
Dann wird das israelische Volk Antworten verlangen, wie all das geschehen konnte.
Experte: Geheimdienste haben Netanjahu wohl gewarnt
Laut Gärtner zeigen jetzt alle mit dem Finger auf die israelischen Geheimdienste. Doch die eigentliche Verantwortung liege bei der Regierung Israels. Der Experte geht davon aus, dass der Geheimdienst nicht vollends blind gewesen sei und Netanjahu eine gewisse Warnung vorlegte. "Wahrscheinlich stufte er diese nicht für so wichtig ein", meint Gärtner.
Auch Ägypten soll Israel gewarnt haben. Ein ägyptischer Geheimdienstbeamter sagt der Nachrichtenagentur AP, dass sie der israelischen Regierung mehrmals mitgeteilt haben, dass die Hamas im Gazastreifen "etwas Großes" plane. Doch Israel hielt daran fest, sich stattdessen auf das Westjordanland zu konzentrieren und nahm die Bedrohung aus dem Gazastreifen offenbar nicht ernst.
Dennoch: Die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel gilt als eine der am besten überwachten der Welt. Kameras, Radaranlagen, Bewegungssensoren und Grenzposten – wie konnten die Hamas-Terroristen diese unbemerkt überqueren?
Palästinenser überqueren den Grenzzaun zu Israel und ergattern einen Panzer der Israelis.Bild: dpa / Abed Rahim Khatib
"Mit dem Angriff vom 7. Oktober sind die Israelis ihrem wichtigsten Gut beraubt worden – ihrer Sicherheit. Das wird für Netanjahu nicht ohne Folgen bleiben", sagt Beatrice Gorawantschy auf watson-Anfrage. Sie leitet das Büro in Israel für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.
Regierung wird früher oder später zur Rechenschaft gezogen
Laut ihr ist Israel auch an Tag sechs nach dem Angriff der Hamas weiterhin in Schockstarre und totaler Fassungslosigkeit ob der Brutalität der Ereignisse. Damit habe niemand gerechnet. Dabei war das Thema innere und äußere Sicherheit für Netanjahu im Wahlkampf besonders wichtig gewesen, meint sie. Er trage nicht umsonst den Spitznamen "Mr. Security".
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An den Spekulationen, ob andere Geheimdienste die israelische Regierung im Vorfeld gewarnt hätten, möchte sich Gorawantschy nicht beteiligen – hier stehe Aussage gegen Aussage, meint sie. Im Moment sei in Israel nicht die Zeit der Schuldzuweisungen, jetzt stehen alle Israelis geeint zusammen und füreinander ein, um ihr Land zu verteidigen.
Die Mobilisierung von über 300.000 Reservist:innen ist ihr zufolge ein wichtiges Indiz dafür. Auch die Politik sei über ihren Schatten gesprungen: Gerade wurde eine sogenannte Notstandsregierung der Nationalen Einheit gebildet, die die Regierung zusammen mit einer der größten Oppositionsparteien stellt. "Damit können weitreichende militärische Entscheidungen, die auf einer breiten Basis stehen, gefällt werden", führt Gorawantschy aus.
Aber wenn die kriegerischen Auseinandersetzungen "hoffentlich bald zum Ende kommen", werde in Israel sicherlich über die Ursachen debattiert und die Regierung zur Rechenschaft gezogen: "Dem wird sich auch Netanjahu nicht entziehen können", sagt die Israel-Expertin.
Die Zahl der Toten in Israel durch die Hamas-Angriffe ist nach Armeeangaben auf mehr als 1200 gestiegen.Bild: AP / Ohad Zwigenberg
Unter Netanjahus Führung musste Israel eine große Anzahl an zivilen Opfern hinnehmen und das Versagen des Militärs, die Menschen zu schützen. "Netanjahus Regierung hat in jeglicher Hinsicht versagt", schreibt etwa auch der israelische Autor Assaf Gavron in einem Gastbeitrag für die "Zeit".
Israelischer Autor macht Netanjahu schwere Vorwürfe
Unter anderem habe Netanjahu die Palästinenser-Frage ignoriert und sich zu sehr auf den Iran und Saudi-Arabien konzentriert. Weiter kritisiert Gavron, dass der israelische Ministerpräsident den rechtsextremen Parteien im Land zu viel Spielraum überlassen habe. "Sie verbreiteten Hass, Rassismus und die Behauptung jüdischer Überlegenheit und dachten, sie kämen damit durch, die Palästinenser fortwährend zu demütigen", meint er.
Unter Netanjahu wurden laut Gavron das Militär und die Polizei schwach, Korruption nahm zu, mit ihr antidemokratische Veränderung des Regierungssystems. "Er ließ es zu, dass den ultrareligiösen Parteien Zahlungen in Rekordhöhe zugeschanzt wurden, und opferte dafür die israelische Wirtschaft", führt er aus. All das habe Netanjahu einzig für sein politisches Überleben getan.
"Netanjahu hat uns geopfert. Unsere Sicherheit. Die Stabilität des Landes. Unsere Stärke. Unsere Moralität. Der Hamas ist das nicht entgangen", sagt er.
Sie ist in der Modebranche gefragt und setzt regelmäßig Akzente in Sachen Schönheitsideale: Ella Emhoff, ihres Zeichens Influencerin und Stieftochter von Kamala Harris. Sie legte einen nahezu kometenhaften Aufstieg als Model und Designerin hin.