Seit mehr als drei Jahren tobt der Krieg in der Ukraine, und allmählich verdichten sich die Zeichen, dass ein Ende nahen könnte. US-amerikanische Unterhändler haben in den vergangenen Wochen immer wieder Gespräche mit russischer und ukrainischer Seite geführt. Bislang allerdings ohne Erfolg.
"Es könnte bereits eine Waffenruhe geben, wenn echter Druck auf Russland ausgeübt würde", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nun in einer Videobotschaft am Samstag. Er dankte den Ländern, "die das verstehen", und den Druck auf den Kreml durch Sanktionen erhöht hätten.
Doch während eine wie auch immer geartete diplomatische Lösung näher rückt, sehen die baltischen Länder darin eine ernste Gefahr, wie die "Financial Times" berichtet. Die Verteidigungsminister Estlands, Lettlands und Litauens warnen: Ein vorübergehendes Ende der Kämpfe würde Russland nicht stoppen. Im Gegenteil, Moskau könnte die Zeit nutzen, um seine Armee neu aufzustellen und seine Bedrohung für andere Nachbarstaaten zu verstärken.
Nach Einschätzung der baltischen Regierungen könnte ein Waffenstillstand für Russland vor allem eines bedeuten: eine Atempause zur Neuaufstellung seiner Streitkräfte. "Wir alle verstehen, dass Russland seine Streitkräfte sehr schnell umverteilen wird, wenn der Krieg in der Ukraine beendet ist", warnt Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur in der "Financial Times".
Auch seine litauische Amtskollegin Dovilė Šakalienė teilt diese Sorge. Sie betont, dass Russland keineswegs militärisch geschwächt sei, sondern über eine kampferprobte Armee verfüge, die weiter ausgebaut werde: "Wir sollten uns nichts vormachen und nicht glauben, dass Russland nach der Ukraine-Krise am Ende ist." Russland werde die Zeit nach dem Waffenstillstand nutzen, um seine militärischen Fähigkeiten auszubauen. "Es verfügt bereits über eine riesige, kampferprobte Armee, die noch weiter wachsen wird", sagt Šakalienė.
Laut Pevkur könnte etwa die Hälfte der derzeit 600.000 in der Ukraine stationierten russischen Soldaten nach einem Waffenstillstand in andere Regionen verlegt werden.
"Diese Menschen werden nicht in die Regionen Russlands zurückkehren, um Mais zu ernten oder etwas anderes zu tun, weil der Lohn, den sie in der Armee erhalten, etwa fünf- bis zehnmal höher ist als das, was sie in ihrer Heimatstadt bekommen könnten", sagt Pevkur.
Zusätzliche Besorgnis herrscht in den baltischen Staaten aufgrund der bevorstehenden groß angelegten Militärübung "Zapad", die Russland alle vier Jahre abhält. Diese Manöver finden im Herbst 2025 nahe der Grenzen zu Estland, Lettland und Litauen statt und könnten als Tarnung für Truppenbewegungen oder eine weitere Eskalation dienen.
Gleichzeitig könnte die US-Truppenpräsenz in Europa schrumpfen, wie zuletzt ein interner Pentagon-Bericht, den die "Washington Post" veröffentlicht hat, nahelegt. Heißt: Estland, Lettland und Litauen könnten noch mehr auf sich allein gestellt sein.
Besonders kritisch sehen die baltischen Minister:innen daher mögliche Pläne, Nato-Kontingente für die Überwachung eines Waffenstillstands in der Ukraine abzuziehen. Jede Verlegung von Nato-Truppen aus ihren Ländern könne ihre eigene Sicherheit gefährden.