Politik
International

Fliegen: Experten kritisieren EU-Richtlinien für Corona in Flugzeugen

Woman waiting in a long line for a flight wearing a N95 face mask during a global pandemic
Weltweit ist der Flugverkehr fast zum Erliegen gekommen, doch einige Passagiere sind noch immer unterwegs.Bild: E+ / AJ_Watt
International

Trotz EU-Richtlinien: Warum Flugreisen gerade "ziemlich gefährlich" sein können

27.05.2020, 10:3327.05.2020, 11:10
Mehr «Politik»

Der Flugverkehr nimmt weltweit wieder zu. Die Europäische Union hat Richtlinien erlassen, mit denen die Airlines Passagiere vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen sollen. Die gehen Experten nicht weit genug.

Sie kritisieren die Richtlinien der Europäischen Union zu Flugreisen als unzureichend. Infektionsepidemiologe Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule Berlin befürchtet: "Wenn wir das alles so zulassen, gibt es wieder eine zweite Welle."

Die Europäische Kommission hatte am vergangenen Donnerstag Vorgaben zu Flugreisen vorgestellt. Zentraler Punkt dabei: Passagiere sollen während der Reise Schutzmasken tragen und körperlichen Abstand einhalten.

Dazu sollen die Airlines im Flugzeug den Mittelplatz je Reihe oder aber jede zweite Reihe freihalten. Laut der Vorgaben müssen sich die Airlines daran nur halten, solange "die Zahl der Passagiere es erlaubt". Wenn das Flugzeug ausgebucht ist, müssen die Fluggesellschaften an Bord nicht mehr für Abstand sorgen.

Flugreisen ohne Konzept

Recherchen von des ARD-Magazins "Report Mainz" zeigen, dass auch in den vergangenen Tagen voll besetzte Flugzeuge von deutschen Flughäfen gestartet sind, ohne dass Sitzplätze freigelassen wurden. Die Passagiere konnten während der mehrere Stunden andauernden Flüge maximal einen Abstand von 50 Zentimetern einhalten und beim Ein- und Aussteigen standen sie dicht an dicht im Mittelgang.

Ulrichs bewertet gegenüber Report Mainz Videoaufnahmen von Flugreisen: "Das sieht so aus wie wir es schon gewohnt sind, ohne Konzept, nur manche haben eine Maske auf." Es sei in der Verantwortung des Betreibers sicherzustellen, dass das Risiko einer Übertragung minimiert werde.

Airlines setzen auf OP-Luft

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft schreibt Report Mainz auf Anfrage, das Infektionsrisiko im Flugzeug sei "extrem gering". Erreicht werde das durch Mund-Nasenschutz und spezielle Filter, die für OP-Luft in der Kabine sorgen würden.

Rollfeld des Frankfurter Flughafens. Viele Maschinen der Lufthansa, die derzeit nicht eingesetzt werden, sind am Fraport, dem Heimatflughafen der Lufthansa geparkt. Hier eine Boeing 747. Die Lufthansa ...
Wie hier in Frankfurt sind viele Flugzeuge momentan geparkt, einige fliegen jedoch.Bild: picture alliance / Daniel Kubirski

Der amerikanische Forscher Prof. Qingyan Chen hält die Aussagen der Fluggesellschaften für irreführend. Er hat im Auftrag der US-Luftfahrtbehörde FAA und des Flugzeugherstellers Boeing zu Infektionsrisiken in Flugzeugkabinen geforscht und hält volle Flieger für "ziemlich gefährlich". Im Interview mit Report Mainz erklärt er: "Unsere Forschung zeigt, dass die Tröpfchen bis zu vier Minuten lang an Bord zirkulieren können, bevor sie in der Klimaanlage gefiltert werden."

Am gefährlichsten sei der Sitz direkt neben einem kranken Passagier. Er kritisiert das Konzept der EU-Kommission als unzureichend: "Entweder die Fluggesellschaften lassen den Mittelsitz frei oder sie geben den Passagieren richtige Masken mit FFP2-Standard."

FFP2-Masken oder freier Mittelsitz

Auch Infektionsepidemiologe Ulrichs kritisiert, dass die EU-Kommission OP-Masken oder selbstgenähte Masken als Ersatz für den physischen Abstand erlaube: "Wenn ein kranker Passagier gegen die Maske hustet, dann kann es sehr gut sein, dass dann durch den Druck nach außen, hinten und seitlich dann die Tröpfchen weiterverbreitet werden. Gerade zu den Sitznachbarn." Auch er fordert, dass die Airlines FFP2-Masken an ihre Passagiere ausgeben sollten oder alternativ den Mittelsitz freilassen müssten.

Passengers with protective face masks, gloves and other measures as seen at Istanbul Airport on March 18, 2020 in Istanbul, Turkey, during the Covid-19 crisis. Hundreds of traveling people are strande ...
Passagiere am Flughafen Istanbul, einige mit Mund-Nase-SchutzBild: NurPhoto / Nicolas Economou

Ein freier Mittelsitz könne das Risiko einer Infektion um den Faktor 10 reduzieren, so die Berechnung des Flugzeugforschers Dieter Scholz der Hamburg University of Applied Sciences. Auch er hält das Konzept der EU und der Airlines zum Infektionsschutz für völlig unzureichend: "So kann man Infektionen im Flugzeug auf keinen Fall verhindern. Wir werden belogen, ohne dass die Airlines dabei rot werden."

EU-Kommission räumt Ansteckungsrisiko ein – Drosten: Flugreisen vergleichsweise sicher

Auf Anfrage von Report Mainz räumt die EU-Kommission ein, dass eine Ansteckung durch Atemtröpfchen von Sitznachbarn durchaus möglich sei. "Wir wollen das Risiko vermindern – eliminieren können wir es nicht", so ein Sprecher der Kommission schriftlich. Auch der Europaabgeordnete Ismail Ertug (SPD), Mitglied des Verkehrsausschusses des EU-Parlamentes, kritisiert die Richtlinie der EU zu Flugreisen: "Was jetzt auf dem Tisch liegt, das ist nicht ausreichend. Wir müssen schauen, ob wir im Europäischen Parlament versuchen, diese Empfehlungen zu konkretisieren."

Der leitende Virologe der Charité, Christian Drosten, schätzt Reisen mit dem Flugzeug übrigens als vergleichsweise ungefährlich ein. Dort säßen zwar viele Menschen lang und eng zusammen, trotzdem sei es verhältnismäßig sicher, sagte er in seinem Podcast am Dienstag.

"Da weiß man, dass das Aerosol-Risiko eigentlich gering ist", sagt Drosten. In der Vergangenheit hätte sich gezeigt, dass immer nur bestimmte Luftkanäle und Sitzreihen für Tröpfcheninfektionen relevant sind und der Rest verschont bleibt. Die Luftzirkulation funktioniert also besser, als man denkt, "ansonsten geht man nicht davon aus, dass das ganze Flugzeug betroffen wäre von einem Aerosol. Da gibt es Daten, die das zeigen."

(lau)

USA: Trumps "Grenz-Zar" droht Bürgermeister von Denver mit Gefängnis

Vor etwa zwei Wochen hat der künftige US-Präsident Donald Trump Tom Homan als seinen neuen "Grenz-Zar" vorgestellt. In dieser Position soll er die geplanten massenhaften Abschiebungen überwachen. "Schock und Furcht" seien laut eigener Aussage die Eckpfeiler seiner Arbeit.

Zur Story