Für die Regierungschefs der EU-Länder (hier Angela Merkel unter anderem mit dem niederländischen Premierminister Rutte und dem französischen Präsidenten Macron) ist es das erste Treffen seit März.Bild: www.imago-images.de / Xinhua
International
Dass die Verhandlungen über das größte Finanzpaket in der Geschichte der EU hart werden dürften, war klar. Aber so hart? Für die deutsche Kanzlerin steht auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel viel auf dem Spiel.
Angela Merkel trifft um 9.17 Uhr als erste ein, die
deutsche Kanzlerin weiß, was sie ihrem Ruf schuldig ist. Als
international geschätzte Krisenmanagerin will sie nach einer ersten
Brüsseler Nacht ohne greifbare Ergebnisse die losen Enden des Streits
um das EU-Wiederaufbaupaket und den mehrjährigen Haushalt
zusammenbinden.
Ihr geht es an diesem Samstag beim EU-Sondergipfel
nicht nur um Milliarden gegen Corona-Krise und
Massenarbeitslosigkeit. Merkel sieht in den Verhandlungen auch ein
Signal im internationalen Kräftemessen mit den USA, China und
Russland: Reißt sich die EU zusammen? Schafft sie die gemeinsame
Kraftanstrengung? Oder scheitert alles an Einzelinteressen?
Ein Scheitern wäre auch Merkels Scheitern – und ein denkbar
schlechtes Zeichen gleich zu Beginn der bis Ende des Jahres dauernden
deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die EU ist zerstritten,
zersplittert in Grüppchen wie die selbst ernannten "Sparsamen Vier" – die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark. Manche in Berlin
fürchten schon ein Ende der EU, würde dies so weitergehen. Und das
angesichts der größten Krise, in der Europa wegen des Coronavirus
nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges steht.
Verhandlungen mit Abstand: In der momentanen Situation ist es nicht einfach, alle Teilnehmer an einen Tisch zu bekommen.Bild: www.imago-images.de / Xinhua
Ein Scheitern wäre ein Desaster, und das auch noch im letzten Jahr
der Ära Merkel, die 2021 nicht wieder als deutsche Kanzlerin antritt.
Am Freitag hatte Merkel ihren 66. Geburtstag auf dem Sondergipfel
gefeiert – viele in der Runde machen der Kanzlerin kleine Geschenke.
Nur einen Durchbruch schon in der Nacht schenkt ihr niemand. Auch
deshalb fährt Merkel am Samstag gut eineinhalb Stunden, bevor die
große Runde der 27 wieder zusammenkommt, am Verhandlungsgebäude vor.
Etwas Verwirrung gibt es, als sie aus ihrer Limousine steigt. Auf dem
Absatz macht sie kehrt – will Merkel gleich wieder einsteigen und
abfahren? Oder hat sie nur etwas vergessen? Nach einem kurzen Hin und
Her mit ihrer Delegation winkt die Kanzlerin ab, schüttelt etwas
unwirsch den Kopf – und steuert in europablauem Blazer mit weißer
Corona-Maske über Mund und Nase zur ersten vorentscheidenden Runde.
Lange Verhandlungen – bisher kaum Ergebnisse
Ratschef Charles Michel ist dabei, EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen, Merkels deutsche EU-Vertraute, der Franzose Emmanuel
Macron. Auch die Hauptkontrahenten sitzen am Tisch, der Niederländer
Mark Rutte als Vertreter der "Sparsamen" und auf der anderen Seite
der Italiener Giuseppe Conte und der Spanier Pedro Sánchez. Die von
der Corona-Pandemie besonders stark betroffenen südlichen EU-Staaten erhoffen
sich möglichst viel Hilfsgeld unter möglichst geringen Bedingungen.
Die Zusammensetzung ist ein schönes Beispiel für Merkels
Verhandlungstaktik: Alle hatte sie vor dem Gipfel einzeln getroffen
und dabei versucht, sie von der Bedeutung des Milliarden-Pakets zu
überzeugen. Und dann noch Seite an Seite mit Macron, ihrem
wichtigsten Verbündeten und ausgewiesenen Europäer unter den Chefs,
mit dem sie den ersten überraschenden ersten Aufschlag für ein 500
Milliarden schweres Zuschuss-Paket in der Krise vorgelegt hatte. Mehr
Gewicht gegenüber den zögernden Partnern geht kaum.
Wichtige Partner in der Krise: Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Frankreichs Emmanuel Macron. Bild: AA / Dursun Aydemir
Doch gelingt es der EU, sich auf das größte Konjunkturprogramm in
ihrer Geschichte zu einigen? Auf einen Plan, der die Folgen der
Corona-Pandemie zumindest abfedert? Der neue Gräben zwischen den
Mitgliedstaaten verhindert? Der vielleicht sogar die Basis für eine
noch engere, international noch schlagkräftigere Gemeinschaft bietet?
Am Samstagnachmittag, Nachmittag zwei des EU-Sondergipfels in
Brüssel, steht hinter diesen Fragen ein großes Fragenzeichen. Seit 20
Stunden sitzen Merkel und die anderen 26 Staats- und Regierungschefs
da schon in wechselnden Formaten zusammen und versuchen, eine
Einigung über die Konfliktpunkte zu erzielen. Es geht darum, wie viel
Geld es braucht, wie es vergeben wird und wer wie viel zum vermutlich
mehr als 1800 Milliarden Euro schweren Finanzpaket beitragen muss.
Niederlande, Ungarn und Polen haben andere Vorstellungen
Wieder einmal wird klar, dass auch in der EU beim Geld die
Freundschaft meist aufhört. Mit unverhohlenen Blockadedrohungen
versuchen Länder wie die Niederlande, Ungarn und die Polen ihre
Interessen durchzudrücken. Wie bei allen großen Entscheidungen in der
EU gilt bei Haushaltsfragen das Einstimmigkeitsprinzip. Theoretisch
könnten damit selbst Mini-EU-Staaten wie Zypern oder Malta
Verhandlungen zum Platzen bringen. In der Nacht zum Samstag, nach
Ende der ersten langen Verhandlungsrunde, sei die Stimmung eher
düster gewesen, sagen Diplomaten.
Im Laufe des Samstags keimt dann aber immerhin etwas Hoffnung auf. In
einem Kompromisspapier schlägt Ratspräsident Charles Michel höhere
Rabatte für Länder vor, die ihre jeweiligen Beiträge zum EU-Haushalt
ohne Korrektur als zu hoch erachten. Schweden, Österreich und
Dänemark könnten zusammen eine weitere jährliche Ermäßigung in Höhe
von 100 Millionen Euro bekommen. Der niederländische
Ministerpräsident Rutte soll hingegen wie verlangt ein
Einspruchsrecht gegen die Vergabe von Corona-Hilfen erhalten, wenn er
Reformauflagen als nicht erfüllt betrachtet. Die ersten Reaktionen
seien positiv gewesen, erklären EU-Vertreter und Diplomaten.
Muss sich Gehör verschaffen: Ratspräsident Charles Michel hat die schwierige Aufgabe, zwischen den Ländern zu vermitteln.Bild: www.imago-images.de / Xinhua
Doch gilt das auch für Ungarns Viktor Orban? Zusammen mit seinem
polnischen Kollegen Mateusz Morawiecki ist Orban in Total-Opposition
gegen ein neues Instrument, das die Vergabe der Corona- und
Haushalts-Milliarden an rechtsstaatliche Standards knüpfen soll.
Michel strich den Rechtsstaatsteil in seinem Kompromissvorschlag
allerdings nicht, sondern ergänzte ihn nur um wenige Klarstellungen.
Orban präsentierte daraufhin einen eigenen, komplett entzahnten
Gegenvorschlag. Eine Kürzung von EU-Mitteln soll demnach nur
einstimmig, also nicht ohne seine Zustimmung, beschlossen werden.
Bundeskanzlerin Merkel und die anderen Befürworter des neuen
Rechtsstaatsmechanismus saßen damit am Samstagnachmittag in einer
Zwickmühle: Lassen sie die Forderung nach dem neuen Instrument
fallen, müssen sie den Vorwurf fürchten, die Rechtsstaatlichkeit
wirtschaftlichen Interessen geopfert zu haben. Bleiben sie hart,
könnten sie für ein Scheitern des Gipfels verantwortlich sein.
(lau/dpa)
Kari Lake ist eine aufstrebende US-Politikerin der Republikanischen Partei. Sie ist eine loyale Anhängerin von Donald Trump und würde laut eigener Aussage selbst zur Waffe greifen, um ihn zu schützen.