Saudi-Arabien sorgt mit einer drakonische Strafe erneut für Entsetzen. Aufgrund kritischer Tweets wurde ein schwer kranker Mann in Riad zu 20 Jahren Haft verdonnert. Monate zuvor hatte ein saudisches Gericht seinen Bruder wegen ähnlicher Vergehen zum Tode verurteilt. Das Urteilt folgt auf ein Versprechen des saudischen Staatschefs, das "schlechte Gesetz" abzuschaffen.
Bereits seit knapp zwei Jahren sitzt Asaad al-Ghamdi hinter Gittern. Wie die britische Zeitung "The Guardian" berichtet, waren Sicherheitskräfte im November 2022 nachts in seine Wohnung in der Metropole Jeddah im Westen des Landes eingedrungen. Vor den Augen seiner Familie verhafteten Anti-Terror-Einheiten den 47-jährigen Familienvater, stellten die Wohnung auf den Kopf und konfiszierten elektronische Geräte und Dokumente.
Bis zu seinem ersten Gerichtstag vor dem Terrorismus-Tribunal Special Criminal Court (SCC) in der saudischen Hauptstadt hielten die Behörden den Lehrer, der unter Epilepsie leidet, zehn Monate lang im berüchtigten Dhaban Central Prison vor den Toren Jeddahs fest.
In dem Hochsicherheitsgefängnis sitzen neben politischen Häftlingen vor allem Terroristen des Islamischen Staat (IS) und al-Qaida ein. Laut Human Rights Watch wurde al-Ghamdi in den ersten drei Monaten in strikter Einzelhaft festgehalten. Zudem soll er in den ersten beiden Haftmonaten komplett von der Außenwelt isoliert gewesen sein. In der Folge erlitt er hinter Gittern mehrere epileptische Anfälle.
Schuldig befand das berüchtigte SCC am 9. Juli al-Ghamdi gleich mehrerer Vergehen, die regelmäßig von Menschenrechtsaktivisten angeprangert werden. Darunter befinden sich "Verstöße gegen Religion und Justiz von König und Kronprinz" sowie "Veröffentlichung falscher und bösartiger Nachrichten und Gerüchte".
Zum Verhängnis wurden al-Ghamdi kritische Tweets zur staatlichen Investitionspolitik. Dem Gericht reichten wenige kritische Beiträge zum sogenannten "Project 2030" auf dem Kurznachrichtendienst X aus, um 20 Jahre Haft zu rechtfertigen. Der Lehrer hatte dabei für mehr Fördergelder in seiner Heimatstadt Jeddah geworben.
Ähnlich harmlos mutet der Grund für das Todesurteil seines 55 Jahre alten Bruders Mohammed an. Er hatte der Familie eines verstorbenen Regimekritikers auf X und Youtube kondoliert und dessen Tod betrauert. Gepostet hatte er den Beitrag auf zwei Kanälen mit insgesamt zehn Followern.
Wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf ihrer Homepage bekannt gab, handelt es sich bei dem jüngsten Urteil um einen Fall von Rachejustiz. Das eigentliche Ziel der Verfolgung sei der in Großbritannien lebende Bruder Saeed bin Nasser al-Ghamdi. Der renommierte islamische Gelehrte wurde bereits vor Jahren durch Kritik an der politischen Führung zum Staatsfeind und flüchtete daraufhin nach Europa.
Das drakonische Urteil gegen Asaad al-Ghamdi ist bereits der zweite Vergeltungsschlag binnen eines Jahres gegen die Familie des Regime-Kritikers. Im Juli 2023 erhielt der pensionierte Lehrer Mohammed al-Ghamdi sogar ein Todesurteil für denselben Straftatbestand. Aus dem britischen Exil twitterte Saeed al-Ghamdi damals: "Diese Fehlentscheidung zielt darauf ab, mich persönlich zu verletzen, nachdem Untersuchungen gescheitert sind, mich zurück ins Land zu bringen."
Erst im September 2023 hatte der saudische Kronprinz Mohammed Bin-Salman in einem Interview mit dem US-Sender Fox News das Urteil gegen Mohammed al-Ghamdi als "schlecht" und "beschämend für unser Land" bezeichnet. Er betonte, dass er das Parlament gedrängt habe, die Abschaffung der extrem restriktiven Anti-Terrorgesetze zu "priorisieren". Allerdings könne er sich nicht über einen rechtskräftigen Richterspruch hinwegsetzen.
Amnesty International brandmarkte den Richterspruch gegen Mohammed al-Ghamdi im vergangenen Jahr als "lächerlich". Der Vertreter der Menschenrechtsorganisation Philip Luther kommentierte: "Saudische Behörden haben Milliarden von Dollar ausgegeben, um ihr Image aufzupolieren, aber kein Geld der Welt kann reinwaschen, wie repressiv das Land geworden ist."
Einen Bruch mit den Menschenrechten und internationalen Justizabkommen stellen auch die Begleitumstände des Gerichtsprozesses dar. Die Familie al-Ghamdis berichtete, dass die Staatsanwaltschaft bis zum Prozessauftakt die Anklagepunkte geheim hielt.
Außerdem verweigerten ihm die Behörden zehn Monate lang anwaltlichen Beistand. Erst vor Gericht traf al-Ghamdi erstmals auf seinen Pflichtverteidiger. Der vom saudischen Staat bestellte Rechtsbeistand führte allerdings weder Argumente gegen eine Verurteilung an, noch reichte er Beweismaterial an die Angehörigen weiter. Außerdem weigerte er sich der Familie zufolge, die kritischen Gesundheit seines Mandanten zu thematisieren.