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International
18.06.2018, 20:3822.06.2018, 16:45
Wenn sich ein Drehbuchautor diese Geschichte ausdenken würde, hätte man wohl gesagt: "Natüüürlich. Als ob man mit so etwas durchkommt..."
Tja. Anna "Delvey" hat bewiesen, dass jeder ein Luxusleben führen kann – solange man nur ein begabter Lügner ist. Die 27-Jährige prellte die New Yorker High-Society um hunderttausende Dollar und schwelgte selbst im Überfluss – bis sie vor Gericht landete. Netflix hat sich die Rechte an der Story aus Glamour und Verrat schon gesichert.
Wir erklären die unglaubliche Geschichte in 5 Akten.
1. Akt: Wer ist Anna Delvey?
Für ihre reichen Freunde war Anna Delvey eine Deutsche. Sie erzählte, sie komme aus Köln und ihr Vater würde Solaranlagen produzieren. Sie lebe von seinem Geld.
In Wirklichkeit hieß sie Anna Soprokin und kam eigentlich aus Russland. Ihr Vater, laut "Welt"-Bericht ein LKW-Fahrer, zog zwar mit ihr nach Eschweiler (NRW), da war Anna allerdings bereits 16 Jahre alt. Deutsch sprach sie bis zuletzt kaum.
Ihr alter Ego – die superreiche, hippe Globetrotterin – erfand sie erst mit 20 Jahren, als sie ein Praktikum bei einem Pariser Magazin machte. Von dort aus zog sie zuerst nach London und dann nach Soho in New York. Dem Epizentrum der globalen Schickeria...
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2. Akt: Wie sie sich ein Luxusleben erschlich
Wie das "New York Magazine" in einer umfangreichen Reportage recherchierte, bezog Anna im Februar 2017 ein Deluxe-Zimmer in einem Luxushotel in Soho, Kosten 400 Dollar die Nacht. Natürlich konnte sie das nicht zahlen, doch erst Monate später wurde das zum Problem.
Es war für Anna erschreckend einfach, sich als superreiches It-Girl neu zu erfinden. Wegbegleiter erzählten dem Magazin weiter, sie habe überall großzügig Geschenke und Trinkgelder verteilt, warf mit Bargeld nur so um sich. Es muss vorher geliehenes Geld gewesen sein, doch auch das bemerkte erst einmal keiner. Vorerst zahlte sie fröhlich weiter: Entweder bar, mit überzogenen Kreditkarten oder ungedeckten Schecks.
Anna schwelgte im Luxus. Maniküren, Massagen, Personal-Trainer, noble Restaurants, Shopping bei Gucci und Balenciaga, Lunch im Soho-Haus, Reisen nach Ibiza und Venedig, Partys mit Macaulay Culkin – wie ihr Leben aussah, lässt sich auf ihrem Instagram-Account verfolgen.
Ihre ehemalige Freundin Rachel Deloache Williams erklärte das Phänomen in der Vanity Fair so: "Die Welt war verzaubert, wenn sie da war – normale Regeln existierten für sie nicht. Ihr Lifestyle war so angenehm, ihr lockerer Materialismus war verführerisch."
Wurde es an einer Ecke eng, lieh sie sich an anderer wieder etwas Geld, um das Loch zu stopfen. Zuletzt plante sie eine Kunststiftung ins Leben zu rufen, die 25 Millionen Dollar kosten solle. Sie war bereits mit Geldgebern im Gespräch...
3. Akt: Wie alles aufflog
...bis es aufflog: Das Hotel in Soho hatte 30.000 Dollar an geplatzten Rechnungen auf dem Tisch und auch die Banken, die sich mit der Finanzierung der Stiftung beschäftigten, wurden misstrauisch. Den Ausschlag gab Rachel Deloache Williams – sie zeigte Anna wegen Verdachts auf Betrug an.
Und sie behielt recht: Die Hochstaplerin hatte die New Yorker Medien- und Kunstwelt um mehr als 235.000 Euro geprellt!
2015 in Venedig schaute sie noch wie ein Unschuldslamm
Bild: instagram/annadelvey
Nachdem Anna wegen schwerem Diebstahl angezeigt wurde, versäumte sie es, vor dem New Yorker Gericht zu erscheinen. Im Oktober 2017 griffen die Ermittler sie dann auf – in einer Entzugsklinik in Malibu. Jetzt wartet sie in einem Gefängnis am East River auf ihren Prozess.
4. Akt: Wie sie jetzt zum Star wird
Annas Geschichte ist so spektakulär, dass sie im Internet in Windeseile verbreitet wurde. Dort nennen "Fans" die Betrügerin auch "Soho Grifter" (Soho Gaunerin).
Erinnert an den zweifelhaften Ruhm der "Bling Ring"-Gang
Unter diesem Titel will Netflix jetzt eine Serie über Annas Geschichte produzieren. Die Zutaten für ein gutes Drama liefert ihre Geschichte schließlich: Ein dreistes Mädchen, ein Instagram-Account, glamouröse Reisen und ein Freundeskreis, der nichts hinterfragte, solange Anna 100-Dollar-Scheine auf den Tisch legte.
Fans freuen sich schon auf Twitter
5. Akt: Was an diesem Skandal so fasziniert
Was viele ihrer Fans so fasziniert ist auch Annas Dreistigkeit: Sie tat, als wäre sie ein It-Girl, also so wurde sie es.
Oder wie Eva Weisman vom "Guardian" es kommentiert – wir alle machen auf Social Media nichts anderes: "Die Geschichte von Anna Delvey und ihrer hauchdünnen Existenz erinnert uns an unsere eigenen Versuche, die Illusion eines fantastischen Lebens zu erschaffen." Anna hätte "Instagram in Fleisch und Blut übersetzt".
Das ist das Eine. Das Andere ist, dass Annas Geschichte zeigt, wie wenig die New Yorker High-Society sich mit ihren Freunden zu beschäftigen scheint. "Hier laufen so viele Trustfund-Kinder rum. Jeder ist dein bester Freund und keiner weiß nichts über irgendwen", sagt Marketingdirektor Tommy Saleh im "New York Magazine".
Hatte Anna also nur ein System ausgenutzt, das sich anbot? Zumindest hat sie eine Sache erfolgreich geschafft, selbst wenn sie es im Knast nicht genießen wird: Sie ist nicht mehr "nur" das Mädchen aus Eschweiler. Sie ist jetzt die berüchtigte Anna Delvey, ein Netflix-Star mit "Ocean's 8"-Nimbus.
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