Deutschland hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland empfangen. Kanzlerin Angela Merkel sprach dabei auch die Deutschen an, die noch in Haft sitzen in der Türkei.
Konkrete Angaben zu einzelnen Fällen inhaftierter Deutscher macht das Auswärtige Amt nicht – und beruft sich dabei auf Persönlichkeitsrechte und Datenschutz. Ob die Bundesregierung von einer Verhaftung mit politischem Hintergrund ausgeht, lässt sich deshalb nicht in jedem Fall mit Sicherheit sagen.
Insgesamt sind derzeit mindestens sechs Fälle bekannt, in denen es zumindest Hinweise auf eine politisch begründete Verhaftung gibt. Die meisten der bekannten Inhaftierten haben türkische oder kurdische Wurzeln, teilweise haben sie sowohl die deutsche, als auch die türkische Staatsbürgerschaft.
Im Fall Dennis E. geht es um Facebook-Posts und den Vorwurf der "Terrorpropaganda" für die PKK. Die türkische Polizei nahm den 55-Jährigen Ende Juli bei einem Besuch im südtürkischen Iskenderun fest, wo er auch inhaftiert ist.
Wie Spiegel Online unter Berufung auf Medienberichte schreibt, habe ein ehemaliger türkischer Offizier Dennis E. bei den Behörden denunziert. Spiegel Online habe Einblick in ein Vernehmungsprotokoll nehmen können. Darin bestreite der Familienvater die Vorwürfe. Er sei kein PKK-Anhänger, sondern Mitglied der SPD. (Spiegel Online)
Polizisten hielten vor den Wahlen Ende Juni einen Bus der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP an und nahmen die kurdischstämmige Sängerin mit dem Künstlernamen Hozan Cane mit. İnaç hatte im westtürkischen Edirne eine Wahlkampfveranstaltung der HDP unterstützt. Ihr wird die Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen.
Die Tochter der inhaftierten Sängerin erklärte der Deutschen Welle, dass sich die Vorwürfe der türkischen Behörden auf Fotos stützten, auf denen İnaç gemeinsam mit Kämpfern der Kurdenmiliz YPG zu sehen sei. Dabei handele es sich jedoch um Szenenbilder aus einem Film, für den Saide İnaç das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und in dem sie auch selber mitgespielt habe. (Deutsche Welle)
Der Sozialarbeiter war Mitte April in Istanbul festgenommen worden. Er schrieb aus Deutschland frei für die linke Nachrichtenagentur Etha, für die auch Mesale Tolu arbeitete. Wie Tolu wird Demirci Mitgliedschaft in der linksextremen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) vorgeworfen. Die MLKP gilt in der Türkei als Terrororganisation.
Der konkrete Vorwurf: Demirci habe in den Jahren von 2013 bis 2015 an drei Beerdigungen von MLKP-Mitgliedern teilgenommen, die auf der Seite der Kurdenmiliz YPG in Syrien gegen den "Islamischen Staat" gekämpft haben. ("Kölner Stadt-Anzeiger")
Patrick K. war Mitte März nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu im türkisch-syrischen Grenzgebiet festgenommen worden. Anadolu schreibt, er habe sich in Syrien der Kurdenmiliz YPG anschließen wollen.
Freunde und Familie des Mannes in Deutschland berichten jedoch, Patrick K. sei lediglich zum Wandern in die kurdischen Gebiete der Türkei gereist. Laut Angaben der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu habe K. in einem Verhör angegeben, vier Jahre bei der Bundeswehr gedient zu haben. Diese Angaben aus der Türkei dementieren jedoch sowohl die Freunde des Mannes, als auch das Verteidigungsministerium: Patrick K. habe keinen Wehrdienst geleistet. ("Gießener Allgemeine")
Schon mehr als ein Jahr lang sitzt Altaylı ohne Anklage in Einzelhaft – seine Familie macht sich Sorgen um seine Gesundheit. Altaylı ist Jurist und Schriftsteller, arbeitete in den 60er Jahren für den türkischen Geheimdienst MIT. Anschließend baute er in Deutschland Strukturen der rechtsextremen türkischen Partei MHP in Deutschland auf.
In einer Petition, die Altaylıs Tochter Zeynep Potente verfasst hat, erklärt sie, ihr Vater habe sich nach dem Zerfall der Sowjetunion von der ultranationalistischen MHP distanziert und trete heute für eine westliche und liberale Türkei ein.
Im August vergangenen Jahres war er in Antalya festgenommen worden, wo die Familie eine Ferienanlage betreibt. Ihm wird Unterstützung der Gülen-Bewegung vorgeworfen, die in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist und von der türkischen Regierung für den Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird.
Bereits im Juli 2017 wurde Nejat U. zu einer Haftstrafe von neun Jahren und neun Monaten verurteilt. Bekannt wurde der Fall jedoch erst durch einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung", des WDR und des NDR am 11. September 2018.
Dem 55-Jährigen wurde demnach die Mitgliedschaft in einem Unternehmerverein zur Last gelegt. Dieser gehöre zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen und sei damit Teil einer Terrororganisation, argumentierte die Anklage. Zudem habe er ein Konto bei einer Gülen-nahen Bank besessen, und seine Kinder hätten eine Gülen-nahe Schule besucht. Der türkische Staat beschuldigt den in den USA lebenden muslimischen Prediger, Drahtzieher des Putschversuchs gewesen zu sein.
Der Familienvater habe lange in Aachen gelebt, sei aber 2000 in die Türkei zurückgekehrt. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, das deutsche Konsulat in Izmir betreue den Gefangenen.
Bis Mitte September saß auch der 46-jährige Ilhami A. aus Hamburg in der Türkei in Haft. Er war im August festgenommen worden und wurde nach etwa einem Monat in Untersuchungshaft zu einer Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen "Terrorpropaganda" verurteilt. Dabei ging es nach Angaben seines Anwalts um regierungskritische Äußerungen auf Facebook. Ilhami A. hat Berufung gegen das Urteil eingelegt und darf bis zu einer endgültigen Entscheidung die Türkei nicht verlassen. (Zeit Online)
Erst vor wenigen Tagen wurde der 48-jährige Hasan Inak aus Wedel bei Hamburg bei seiner Einreise am Flughafen Antaly vorübergehend festgenommen. Auch bei dem kurdischstämmigen Inak, der sowohl die deutsche, als auch die türkische Staatsbürgerschaft hat, habe der Vorwurf "Terrorpropaganda" gelautet. ("Schweriner Volkszeitung")
Viel höher als die Zahlen deutscher und internationaler Staatsbürger in türkischer Haft ist die Anzahl türkischer Bürger, die aus politischen Gründen inhaftiert sind.
Erst vor wenigen Wochen haben Behörden in Istanbul mehr als 500 streikende Arbeiter festgenommen. Sie hatten gegen die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle des dritten Istanbuler Flughafens demonstriert. Der neue Flughafen soll Erdoğans Vorzeigeprojekt werden, beim Bau sind bislang jedoch schon mindestens 27 Arbeiter gestorben.
Noch immer sitzen in der Türkei nach verschiedenen Angaben mehr als 150 Journalisten in Haft. (Deutsche Welle, Stockholm Center for Freedom, Turkey Purge)
Seit dem gescheiterten Putschversuch wurden Zehntausende in der Türkei wegen angeblichen Verstrickungen in die Organisation des Putsches, vermeintlicher oder tatsächlicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, oder wegen angeblicher "Terrorpropaganda" festgenommen. Noch mehr Menschen verloren ihre Jobs.
(mit dpa/afp)