Die LGBTQIA+-Community in Russland hatte schon immer einen schweren Stand. Doch bereits vor einem Jahr zeichnete sich ab, dass die Lage für Schwule, Lesben und andere queere Menschen in dem Land immer schwieriger wird. Im Dezember 2022 unterzeichnete der Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das "Gay-Propaganda" verbot. Mit zahlreichen Folgen für LGBTQIA+-Personen.
Denn damit wurde die Community quasi aus der Öffentlichkeit verbannt. So trafen sich die Menschen zwar weiter, mussten dabei aber zunehmend vorsichtig sein und unter dem Radar agieren.
Seit dem 30. November 2023 ist das kaum mehr möglich. Seitdem sind queere Menschen nicht mehr nur unerwünscht, sondern gelten als extremistisch, wie das Oberste Gericht des Landes urteilte. Welche Vorwürfe es gegen die "internationale LGBTIA+-Bewegung" gab, wurde nicht angeführt. Doch das Urteil bedeutet für Betroffene nichts Gutes. Innerhalb kürzester Zeit wurden bereits weitreichende Maßnahmen in dem Land getroffen.
Die etwa 15 Millionen Russ:innen, die wegen ihrer Sexualität oder Gender-Identität "nicht der Norm" entsprechen, gelten jetzt als kriminell. Die Formulierungen von Gesetzen und höchstrichterlichen Entscheidungen sind in Russland bewusst vage. Damit sie flexibel so ausgelegt werden können, wie es die Staatsführung für angebracht hält.
Die Entscheidung des Obersten Gerichts kann für die LGBTQIA+-Community nun fatale Folgen haben. Mit welcher Wucht wird sich wohl erst noch zeigen. Doch schon jetzt ist in dem von Wladimir Putin regierten Land die Repression in vollem Gange – samt Razzien, Verboten, Strafen und Schlimmerem.
Aktuell geht die Polizei in St. Petersburg und Moskau massiv gegen Klubs und Lokale vor, die als Treffpunkte für Homosexuelle bekannt sind, wie der "Tagesspiegel" schreibt. Allerdings unter dem Vorwand, Drogenkriminalität bekämpfen zu wollen.
Einige Behörden in dem Land haben jetzt mit Verweis auf das Urteil erste Schritte eingeleitet. So hat etwa ein Gericht in St. Petersburg den Fernsehsender Avia zu einer Geldstrafe verdonnert. Der Grund: ein Musikvideo, in dem zwei Frauen sich an den Händen halten.
Den Klub "Zentralnaja Stanzia" in St. Petersburg hat es noch schwerer getroffen. Ihm wurde jetzt der Mietvertrag gekündigt, wie das russische Exilmedium "Meduza" berichtet. Auch im Unterhaltungsbereich für Kinder gibt es Konsequenzen. Dem Bericht zufolge hat die staatliche Zensurbehörde etwa die US-Kinderserie "My Little Pony" mit der Altersfreigabe von 18+ versehen – weil das Pferdchen "Rainbow Dash" einen Regenbogenschweif hat.
Denn Russland vertritt in den Augen der Mächtigen und von Wladimir Putin "traditionelle Werte", zu denen Homosexualität nicht passt. Nach den Vorstellungen der Russland-Führung widersprechen Homosexuelle und queere Personen all den Sitten und der Moral in Russland. Auch die orthodoxe Kirche in dem Land unterstützte das Urteil. Es sei ein "Akt moralischer Selbstverteidigung", denn LGBTQIA+ sei mit dem "Konzept der Religiosität" nicht vereinbar.
Das Ganze sei so unsinnig, als würde man plötzlich alle Rentner:innen in Russland zu einer "öffentlichen Bewegung" erklären, schrieben Menschenrechtler:innen in einem Protestbrief ans Gericht, aus dem "Meduza" zitiert. Mit dessen Entscheidung wurde quasi eine ganze Gesellschaftsgruppe aufgrund ihrer Sexualität kriminalisiert.
Neu ist der Widerstand gegen Schwule, Lesben und andere queere Menschen nicht. Bereits unter der Herrschaft der Zaren war 1832 das erste Gesetz gegen Homosexualität erlassen worden. "Männerliebe" wurde verboten. Mit einschneidenden Konsequenzen für diejenigen, die gegen das Gesetz verstießen: Sie konnten nach Sibirien verbannt werden.
Kurze Zeit später mussten homosexuelle Männer sogar mit einer Gefängnisstrafe rechnen. Laut sowjetischem Strafrecht drohten dann sogar Haftstrafen bis zu acht Jahre oder die Einweisung in die Psychiatrie.
Zeiten, zu denen Homosexualität in Russland toleriert wurde, gab es in der neueren Geschichte des Landes nur zweimal: in den 20er Jahren und in den 90er Jahren, unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion.
Seit Putin an der Macht ist, bedeutet das aktuelle Urteil des Obersten Gerichts den Gipfel der Unterdrückung von Schwulen, Lesben und anderen queeren Menschen. Es ist nicht das erste Urteil in diesem Jahr, das die Rechte von LGBTQIA+-Personen einschränkt. So wurde etwa auch die medizinische Unterstützung von Geschlechtsumwandlungen verboten.
Offenbar haben Betroffene Angst. Wie das Schweizer Medium "Tagesanzeiger" schreibt, löschten zahlreiche Menschen bereits etwa Fotos aus Facebook und dem russischen VKontakte, lösen Gruppen auf und vernichten Hinweise auf ihre sexuelle Orientierung. Alexei Sergejew ist ein LGBTQIA+-Aktivist aus Sankt Petersburg. Er nennt das, was gerade passiert, das "Löschen der Geschichte" seiner Gemeinschaft.