Ungeachtet massiver Warnungen der russischen Behörden haben Unterstützer des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny zu neuen landesweiten Protesten aufgerufen. Knapp zwei Wochen nach der Inhaftierung des Oppositionspolitikers sind an diesem Sonntag Demonstrationen in mehr als 100 Städten geplant, wie sein Team mitteilte. Auch im Ausland wollen Menschen demnach für den 44-Jährigen auf die Straße gehen. Neben Städten in mehreren Ländern Europas und in den USA wurden Berlin, Frankfurt/Main und München aufgelistet.
In der russischen Hauptstadt Moskau wollen die Behörden den Zulauf zu den Protesten in Kreml-Nähe (12.00 Uhr Ortszeit, 10.00 Uhr MEZ) möglichst gering halten. Auf Anordnung der Polizei werden sieben Stationen der U-Bahn im Stadtzentrum geschlossen und mehrere Straßen gesperrt. Zudem sollten Geschäfte, Cafés und Restaurants am späten Vormittag nach Angaben der Stadtverwaltung schließen, darunter ein riesiges Kinderkaufhaus. Die Türen des bekannten Historischen Museums am Roten Platz bleiben ebenfalls zu.
Auch in anderen Städten Russlands treffen die Behörden Vorkehrungen. In St. Petersburg im Norden des Landes wurden bereits am Samstag Absperrgitter aufgestellt. Die Polizei warnte vor der Teilnahme an den nicht genehmigten Protesten und drohte mit Festnahmen. Unter Verweis auf die Corona-Pandemie werden Demonstrationen in Russland schon seit Monaten nicht mehr erlaubt. Menschenrechtler sehen darin einen Vorwand, um die Versammlungsfreiheit einzuschränken.
Bereits am vergangenen Wochenende waren Hunderttausende dem Aufruf Nawalnys gefolgt und hatten landesweit für seine Freilassung und gegen Präsident Wladimir Putin demonstriert. Dabei sind Menschenrechtlern zufolge rund 4000 Menschen festgenommen worden. Kritik gab es am brutalen Vorgehen einiger Sicherheitskräfte.
Nawalny selbst hatte aus seiner Haft heraus zu den neuen Protesten aufgerufen: "Niemand möchte in einem Land leben, in dem Willkür und Korruption herrschen. Wir haben die Mehrheit auf unserer Seite." Der 44-Jährige war vor zwei Wochen nach seiner Rückkehr aus Deutschland an einem Moskauer Flughafen festgenommen worden, weil er gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben soll. Zu dieser Zeit erholte er sich in Deutschland von einem Giftanschlag.
Am kommenden Dienstag will ein Gericht entscheiden, ob eine alte Bewährungsstrafe in eine Haftstrafe umgewandelt wird. Ihm drohen viele Jahre Gefängnis. Viele seiner Unterstützer standen bereits vor Gericht. Erst am Freitag wurden Nawalnys Bruder Oleg, seine Mitarbeiterin Ljubow Sobol und die Ärztin Anastassija Wassiljewa zu zwei Monaten Hausarrest verurteilt. Im Internet dürfen sie in dieser Zeit nicht aktiv werden – und so etwa nicht zu Protesten aufrufen.
Ins Visier der Ermittler sind zudem Internetplattformen geraten, die Aufrufe zu Nawalny-Demonstrationen veröffentlicht haben. Die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte bereits Geldstrafen unter anderem gegen Twitter, Facebook und Youtube verhängt. In diesem Zusammenhang wurde am Samstag der Chefredakteur des kremlkritischen Internetportals Mediazona, Sergej Smirnow, festgenommen. Medienvertreter reagierten empört und kritisierten dies als Versuch, "neuen Druck auf Journalisten in Russland" auszuüben.
Die Proteste angeheizt hatte das jüngste Enthüllungsvideo von Nawalnys Team. Der auf Youtube mehr als 103 Millionen Mal aufgerufene Film "Ein Palast für Putin" schreibt Putin ein aus Schmiergeldern finanziertes "Zarenreich" am Schwarzen Meer zu. Der Kreml hatte das zurückgewiesen. Am Samstag äußerte sich der Putin-Vertraute Arkadi Rotenberg und behauptete, Eigentümer des luxuriösen Anwesens zu sein.
Er sei der Begünstigte, sagte der Oligarch in einem Video über den Palast. "Jetzt ist es kein Geheimnis mehr." Er habe das Anwesen vor mehreren Jahren erworben. "Es war ein ziemlich schwieriges Objekt." Es solle nun zu einem Hotel umgebaut werden. Nawalnys Team kommentierte dies im Kurznachrichtendienst Twitter ironisch mit Blick auf die hohen Sicherheitsvorkehrungen rund um den Palast: Natürlich werde jedem Hotel eine Flugverbotszone gewährt.
Rotenberg ist ein langjähriger enger Vertrauter und Ex-Judopartner des Kremlchefs. Der 69-Jährige gilt als einer der reichsten Menschen in Russland. Er steht auf einer Liste von Russen, die vom Westen im Zuge des Krieges in der Ostukraine mit Sanktionen belegt wurden.
Nawalny war im August in Sibirien Opfer eines Mordanschlags mit dem Nervengift Nowitschok geworden. Er macht ein "Killerkommando" des Inlandsgeheimdienstes FSB unter Putins Befehl dafür verantwortlich. Putin und der FSB weisen das zurück.
(lau/dpa)